Von Woolworth ins Nagelstudio und wieder zurück

In vivo Experimentalsystem

Rabattgesetz hin oder her. Jeder kennt das Gefühl, ach was, dieses unsagbar befriedigende, tiefe Wissen, endlich das ultimative Gerät gekauft zu haben. Zum genau richtigen Preis. Schließlich stimmt beim ultimativen Gerät sowieso jeglicher Preis. Und jeder versteht, wie man darauf brennt, aller Welt von diesem sagenhaften Kauf zu berichten. Es geschah also bei Woolie. Woolie ist Woolworth. Meines Wissens gibt es Woolworth nur noch in Berlin. Nein, in München hab ich zuletzt auch einen gesehen. Trotzdem, irgendwie hat Woolworth sein Filialsystem stark eingeschränkt, das war mal zu lesen. Aber darum geht es ja nun eigentlich nicht.

Anfangen muss ich sowieso bei Karstadt. Alle guten Geschichten haben einen komplizierten Anfang. Nach meiner letzten Lektüre möchte ich die Sache sogar ein Experimentalsystem nennen. Ein Experimentalsystem, das ist das materielle Arrangement, die Apparaturen und Messgeräte etc., mit dem man seine Laborversuche angeht. Nach Hans Jörg Rheinberger ist es aber noch mehr, denn es ist eine Konstruktion, die am Ende nicht nur (vielleicht) neues Wissen im Labor auswirft, sondern zugleich neues Wissen über das Wissen(können) im Labor. Ein Experimentalsystem gut einzurichten, das ist die Kunst. Und dabei gibt es – entgegen der landläufigen Meinung, sagt Rheinberger – keinen wohl definierten theoretischen Rahmen, in dem mit entsprechenden Prüfverfahren irgendwelche Hypothesen verifiziert oder falsifiziert werden. Also nix Popper. Stattdessen also lustig drauflosforschen. Aber N. sagt, wer glaubt denn heute noch an den Quatsch mit den Protokollsätzen. Das ist eine Spitze gegen Rheinberger. Warum müssen Freunde immer die Lektüre niedermachen, mit der man gerade beschäftigt ist? Für eine Antwort bin ich eine dankbare Abnehmerin.

Um aber auf meine epistemologische Maschine, auch bekannt als Experimentalsystem, zurückzukommen und damit zu Karstadt. Vor Karstadt habe ich gebissen und gerissen. An meinen Nagelhäuten. Wobei noch erwähnenswert erscheint, dass offensichtlich nur Frauen Nagelhäute besitzen. Jedenfalls solche, die sie beschäftigen. Die rissig sind und hart und mit denen man sich Laufmaschen an den Strümpfen zieht. Also Zupfen mit den Nägeln und Beißen mit den Zähnen ist nicht die richtige Anordnung des Versuchs, zu schönen, glatten Nagelhäuten zu kommen.

Im zweiten In-vivo-Versuch kam Dr. Scholl’s Hornhautcreme zum Einsatz. Dr. Scholl’s mit seiner gelbblauen Produktpalette vermittelt einem übrigens sofort das Gefühl, mindestens 180 Jahre alt zu sein. Und mit der Hornhautcreme kriegt man dieses Gefühl auch nicht weg. –Weil sie nicht funktioniert. Zwischendurch überlegte ich, in ein Nagelstudio zu gehen. Aber 120 Mark für eine Sitzung, das machte mich nachdenklich. Ich wollte mich schon bereit erklären, eine Reportage über den Besuch eines Nagelstudios zu schreiben, sofern die Redaktion die Maniküre bezahlt.

Meine ersten Recherchen ließen sich übrigens ziemlich erfolgreich an. Zumindest wusste ich danach besser über die Verwandtschaftsverhältnisse im Berliner Nuttenmilieu Bescheid. Denn eines Abends, als ich aus der Galerie Gebauer in der Torstraße rauskomme, entdecke ich gegenüber ein Nagelstudio. Ich linse rein und sehe eine zierliche, schöne Frau, die sich die Nägel richten lässt. Sie trug dieses blonde Big Hair, das Damen bestimmter Provenienz auszeichnet. Es war genau das Bild, das ich schon vorher, weiß der Henker, warum, mit dieser Institution in Verbindung brachte. Ins Nagelstudio gehen die Frauen, die definitiv an jedem Finger wenigstens einen Goldring tragen. Und Nagelstudios heißen „Planet Nails“.

Jedenfalls, einige Zeit später komme ich mit Monique, just einer dieser Damen bestimmter Provinienz, ins Gespräch. Warum, das würde nun wieder ganz und gar am Thema vorbeiführen. Ich erzähle Monique vom Nagelstudio und der großartigen Blonden, als sie mich plötzlich ausfragt. Kaum sage ich mit Gewissheit, dass die Frau, ja, älter aussah, war alles klar: Die Dame heißt Chérie und sie ist die Exfrau von Moniques Ehemann. Damit freilich endete vorerst meine Verfolgung der Nagelstudiospur.

Womit wir wieder bei Karstadt wären. Da habe ich mir nämlich eine Maniküre gekauft. Pfeilring, Solingen versteht sich. Runtergesetzt, das versteht sich ebenfalls. Das war noch vor dem Fall des Rabattgesetzes. Tatsächlich gab es die Solinger Edelware in einem schicken Ledermäppchen für nur 85,- statt für 189,- DM. Das könnte man schon fast ein Happy End nennen. Wenn ich mir nicht die Nagelhäute mehr auf- als weggeschnitten hätte. Dochdann kam auch schon Woolie und die Erleuchtung. Nämlich die elektrische Maniküre für 22,73 Mark (Euro-, nicht Rabattpreis). Fan-tas-tisch. Einfach wegschleifen. Das Ding ist so gut, dass ich inzwischen meine Nägel einfach in Ruhe lasse. Keine manuelle, keine elektrische Maniküre, einfach nur Handcreme.

BRIGITTE WERNEBURG