Der große Bluff

Obwohl das Kinogeschäft boomt, geraten die deutschen Firmen in Bedrängnis. Multiplexkönig Hans-Joachim Flebbe und die quer durch die Branche surfenden Kölmel-Brüder sind die prominentesten Opfer von Kurseinbrüchen und Expansionsgelüsten

Der deutsche Traum vom Global-Player-Dasein ist ausgeträumt

von PHILIP KOEP

Das Kinogeschäft läuft bestens, die Umsätze sind bestens, drei Jahre in Folge konnten die Besucherzahlen auf Rekordhöhe getoppt werden. Auch im ersten Halbjahr 2001 wurde ein Zuwachs von 8 Prozent verzeichnet. Nach massenwirksamem Pearl-Harbor-Getöse stehen noch die Verfilmungen „Harry Potter“ und „Herr der Ringe“ am Horizont, und das anspruchsvollere Publikum darf sich dieser Tage von „Die fabelhafte Welt der Amélie“ angesprochen fühlen. Auch der sensationelle Erfolg von „Der Schuh des Manitu“ (bisher 4 Millionen Zuschauer) lässt eine gepfefferte Jahresbilanz von weit über 150 Millionen Kinobesuchen erwarten. Doch statt Euphorie herrscht in der Branche gedrückte Stimmung, einige der großen Firmen geraten sogar in Bedrängnis. Symptomatisch für dieses Paradox ist der Niedergang von drei Galionsfiguren des Medienbooms: Es geht um den Multiplexkönig Hans-Joachim Flebbe und die auf mehreren Medienparketten tanzenden Kölmel-Brüder.

Branchenriese Flebbe hatte eigentlich ein goldenes Händchen. Mit einem kleinen Programmkino in Hannover fing er 1975 noch während des Studiums an. Schnell kamen neue Säle hinzu, Flebbe sattelte von Programmkino auf Multiplex um, fand einen potenten Geldgeber, zog sich mit Börsenmillionen aus dessen Konkurs und plante von nun an international. Den einstigen Kinoketten-Rivalen UFA übernahm er mal eben, und der Traum vom europäischen Cinemaxx-Imperium schien zum Greifen nahe. Doch vor kurzem kam es knüppeldick für den smarten Macher: Die Cinemaxx-Aktie brach ein, die Bilanz färbte sich tiefrot. Das Unternehmen des erfolgsgewohnten Sonnyboys ist inzwischen hoch verschuldet und leidet an Liquiditätsproblemen. Wenn Hans-Joachim Flebbe jetzt seinen Fünfzigsten feiert, dürften einige Sorgenfalten seinen jungenhaften Charme trüben.

Auch die Rechnung von Michael Kölmel ging zunächst auf. Mit einem Studentenfilmclub in Göttingen fing alles in den 70ern an. Der Mathematiker übernahm 1981 sein erstes Kino und gründete wenige Jahre später den Kinoweltverleih. 1989 wurde der promovierte Volkswirtschaftler Chefredakteur einer Zeitschrift namens Börse online. Kölmel stieg in den Filmrechtehandel ein und verschaffte „Kinowelt“ mit Produktionen wie „Der englische Patient“ und „Scream“ Millionengewinne. Der Börsengang spülte zusätzliches Geld in die Kasse. Michael Kölmel und sein Bruder Rainer sind bald ein Duo wie die Haffa-Brüder: The sky is the limit. Sportrechte, Fernsehhandel, Filmdeals – die Kinowelt Medien AG träumt von der Kirch-Liga. Dann der Coup: Für eine halbe Milliarde Mark schnappt die Kinowelt den Platzhirschen Kirch und RTL ein US-Filmpaket vor der Nase weg. Doch nun mauern die Medienkonzerne gegen den Emporkömmling, Kölmel bleibt auf seinen Filmen sitzen, und die Kosten schnüren der Kinowelt die Luft ab. Der Aktienkurs rauscht derweil in den Keller. Ein drastisches Sanierungsprogramm stößt die Sportbeteiligungen ab und die Fußballregionalliga vor den Kopf.

Doch auch der Filmverleih läuft nicht mehr so geschmiert wie früher – inzwischen bringen zu viele Verleihe zu viele Filme heraus und graben sich gegenseitig das Wasser ab. Im Rahmen drastischer Sparmaßnahmen stoßen die Kölmels von ihnen übernommene Firmen ab (Beispiel: Progress), und nun wird auch noch die hauseigene Filmkunstabteilung, der arthaus-Verleih, dichtgemacht. Für Rainer und Michael Kölmel sicher ein bitterer Schritt, denn dort spielten die Konzernherren noch das anspruchsvolle Programm, für das 1984 der Kinowelt-Verleih eigentlich gegründet wurde. Aus der Münchner Zentrale kommt derweil eine Hiobsbotschaft nach der anderen: Entlassungen, Insolvenz, das Kinoweltpapier liegt bei 1,5 Euro und fliegt aus dem Nemax raus.

Michael Kölmels Traum von der internationalen Liga war eine Milchmädchenrechnung. Doch die Krise hat nicht nur Flebbe und Kölmel an den Rand des Abgrunds gerückt. Die ganze Branche leidet am dramatischen Kursverlust auf dem Neuen Markt, aber auch an verwegenen Expansionsstrategien, leichtfertig verballerten Millionen und der gigantischen Fehlkalkulation der Multiplex-Marktstrategen. Die Anfang der 90er-Jahre erwarteten 200 Millionen Jahresbesucher hatte man nämlich aus dem Multiplex-Boom in den USA hochgerechnet. Dieses Ziel wurde deutlich verfehlt, die Refinanzierung der teuren Kinopaläste stockt gewaltig. Obwohl die Umsatzzahlen bei leicht gestiegenen Eintrittspreisen jährlich steigen (+9,6 Prozent), reicht der Zuwachs nicht. Die großen Kinobetreiber wie Cinemaxx, UFA und UCI schreiben rote Zahlen und die Gewinnzone ist erst 2002 in Sicht – wenn alles gut geht. Die ersten Multiplexe sind jedoch bereits zu, weitere Schließungen sind nur eine Frage der Zeit.

Auch in den USA ist der Multiplex-Traum längst ausgeträumt, die Kinoketten sind reihenweise in Konkurs gegangen. Der neue Trend heißt Megaplex: Riesenmultiplexe mit bis zu 30 Leinwänden. Die maroden Multiplexketten werden indes von Buyout-Gesellschaften übernommen und finanziell ausgeschlachtet. Wohin diese Umwälzung der US-Kinolandschaft führen soll, ist kaum absehbar. Für Buyout und Megaplexe sind auf dem deutschen Markt jedoch weithin keine Investoren sichtbar. Wer noch Geld hat, der meidet Nemax, Kinos und Medienfonds.

Die Träume vom Global-Player-Dasein mussten auch die anderen deutschen Filmunternehmen aufgegeben. Verleih- und Produktionsfirmen wie Senator, Constantin, Intertainment, Helkon und Advanced haben sich mit ihren Ambitionen vornehmlich als Cashburner erwiesen. Es sind die Aktionäre, die nun das Lehrgeld für die Misserfolge in Hollywood zahlen. Dort hatte man das deutsche Geld aus prallen Filmfonds und Aktienemissionen bereitwillig angenommen und in brachliegende Projekte gepumpt. Gleich reihenweise floppten die Deutschmark-Movies an den Kassen. Gar nicht erst auf die Leinwand gelangte „Battlefield Earth“, John Travoltas Hommage an den Scientology-Gründer und SciFi-Autor Ron Hubbard. Der Stallone-Film „Eye See You“ verschlang über 100 Millonen und verschwand im Archiv, die Komödie „Rocky & Bullwinkle“ mit Robert De Niro kam nur als Video raus, und Blödelkomödiant Leslie Nielsen ( „Die nackte Kanone“) hat mit „2001 – A Space Travesty“ auch keine Kinozukunft. Das Remake des Actioners „Rollerball“ erntete bei Testvorführungen vernichtende Kritiken, und Sharon Stones Comeback in „Basic Instinct 2“ bleibt uns erspart. Andere Peinlichkeiten verstopften hierzulande die Kinos, damit die deutschen Geldgeber ihre Investitionsgüter wenigstens auf der Leinwand abblitzen sehen konnten. Für das nächste Jahr erwarten Insider bei den massenhaft aufgelegten Filmfonds eine Ernüchterung wie beim Neuen Markt.

Nemax-Baisse, Filmflops und die Multiplexkrise – die drei Miseren treffen Unternehmen durch vielschichtige Verflechtungen doppelt und dreifach: Die Senator Entertainment AG ( „Marlene“, „Aimee und Jaguar“) hält zum Beispiel neben anderen Investitionsbereichen auch Anteile an der Cinemaxx AG und hat eine frühere deutsche Filmhoffnung, die Produktionsfirma X-Filme („Lola rennt“) zu 51 Prozent geschluckt.

Über die Krise der Großen könnten sich die kleinen Kinos eigentlich freuen. Doch verwundete Elefanten sind gefährlich, im Todeskampf kann noch etliches Terrain in der Kinolandschaft zertrampelt werden. Allein 69 herkömmliche Kinos gaben in den ersten sechs Monaten dieses Jahres auf – Hauptgrund ist neben Unrentabilität die Konkurrenz der Multiplexe. Und während der Multiplex-Schock noch gar nicht bewältigt ist, stehen der Branche längst neue Herausforderungen ins Haus. Die Digitalisierung der Filmtheater wird erneut gigantische Investitionen erfordern. Auf 500.000 bis 700.000 Mark schätzen Experten die Kosten der Umstellung auf digitale Projektoren – pro Saal wohlgemerkt. Nachdem der Multiplexbau rund 4 bis 5 Milliarden Mark verschlungen hat, wird die Digitalisierung der Kinolandschaft weitere 2 Milliarden kosten. Wer dieses Geld aufbringen soll, ob Produzenten, Verleiher oder Kinobesitzer, ist noch ungeklärt. Nutznießer wären vor allem die Produzenten, die teure Kopien sparen und unter Umständen den Verleihbereich „überbrücken“ könnten.

Derweil ziehen weitere dunkle Wolken auf. Die Babyboomer der Sechziger sind nämlich gerade dabei, aus dem Kinoalter herauszuwachsen. Die nachfolgenden Jahrgänge lassen das Publikumspotenzial um 30 bis 40 Prozent schrumpfen. Die Talfahrt hat wohl gerade erst begonnen.