Der Globalmatador

Jenseits von Genua: Manu Chao machte mit Radio Bemba Station in Berlin und erinnerte mit zirkusreifem Spektakel an die beste Zeit von Mano Negra

von DANIEL BAX

Es ist drei Monate her, da war Manu Chao schon einmal in Berlin, um einer Hand voll Journalisten Interviews zu geben. Seine Vorbehalte gegenüber Deutschland dürfte die Stippvisite allerdings kaum verringert haben. Am Abend war Manu Chao nämlich mit einem Kompagnon losgezogen und hatte versucht, in einer Bar zu spielen, wie er es in seiner Heimatstadt Barcelona häufig macht. Doch die Bedienung in dem spanischen Lokal in Berlin-Mitte ließ den Fremden mit der Gitarre abblitzen: Sorry, aber – keine Straßenmusiker bitte.

Nun sieht man Manu Chao nicht den millionenschweren Globalmatador an, der er längst ist – eher sieht er aus wie einer jener Punks, die sommers an den Straßenecken stehen und den vorbeifahrenden Autos für ein paar Mark die Fensterscheiben wischen. Aber als Manu Chao nun am vergangenen Wochenende wieder in die Stadt kam, konnte er hoffen, diesmal etwas gnädigere Aufnahme zu finden.

Zu seinem Konzert hatten sich die erwartbaren Zaungäste eingefunden: Die PDS gab kleine rote Gysi-Gummibärchen aus, und Aktivisten verteilten vor der Halle Flugblätter für die „sofortige Freilassung aller Gefangenen von Genua und Göteborg“. Dort, in Genua, hatte Manu Chao beim G-8-Gipfel ein Gratiskonzert für die Gegendemonstranten gegeben, wie er überhaupt gerne Freikonzerte gibt: Das war schon die Philosophie von Mano Negra, mit der Manu Chao seine Band an den Rand des – finanziellen und gesundheitlichen – Ruins getrieben hatte, bevor sie sich, nach einer Kräfte zehrenden Tournee an Bord eines Frachters entlang der südamerikanischen Küste, Mitte der 90er auflöste.

Lange hatte Manu Chao seitdem einen Bogen um Nordeuropa gemacht, sich lieber in Südamerika herumgetrieben, wo er mancherorts zwar wie ein Volksheld verehrt wird, aber immer noch inkognito reisen kann. Nach dem Überraschungserfolg seines Soloalbums „Clandestino“, dass sich weltweit über 3 Millionen Mal verkaufte, hat Manu Chao eine neue Band um sich geschart, die er „Radio Bemba“ ruft – „Buschfunk“ zu Deutsch. Ein karibischer MC zählt dazu, der das Publikum in der Halle zur Einstimmung anfeuerte, dessen Gesichter schon vor dem Auftritt tiefrot glühten – schließlich hatte man bereits zwei Vorgruppen überstanden.

„Radio Bemba“, Manu Chaos bunt zusammengewürfelte Kapelle, spiegelt das Prinzip seines Patchwork-Sounds: Der Mann am Keyboard im Fußballtrikot der brasilianischen Nationalelf, die beiden kubanischen Bläser, die immer wieder wie zum Angriff nach vorne stürmten, und der Akkordeonist, der mit seinem Cowboyhut an einen mexikanischen Ranchero erinnert – ein panamerikanisches Panoptikum. Und dann war da noch der bullige, tätowierte Typ, der aussah wie das Mitglied einer Chicano-Gang aus L. A., der von der Seitenlinie aus mit lauten „Booyaka!“-Rufen Stimmung machte. Manu Chao selbst trug seine für ihn so typische Bommelmütze, die ihm aber bald über die Augen rutschte, was ja stets ein wenig debil wirkt. Nach einer halben Stund hatte er genug davon und riss sie sich vom Kopf, schüttelte sich und schnitt ausgiebig Grimassen zum verzerrten Sound seiner Gitarre.

In ihrer Liveversion klingen die Stücke von Manu Chao tatsächlich völlig anders als auf Platte, kommen seine melancholisch-verspielten Songminiaturen weit rockiger und aggressiver daher. Auf der Bühne verbindet sich die melodische Seite seiner Solovorlagen mit jener anarchischen Punkenergie, wie man sie noch von Mano Negra her kennt. Im Publikum hielt sich der Anteil der um die 30-Jährigen, die diese Band noch kannten, die Waage mit dem jener, die Manu Chao erst durch seine Soloalben entdeckt haben. Doch jede Solidarität der Generationen wich bald dem Einsatz des Ellenbogens, und schon bald tanzten die Teenager im vorderen Teil der Halle Pogo, während sich die Älteren weiter hinten in Sicherheit brachten.

Nur einen Moment der Besinnung gönnte Manu Chao seinem Auditorium. Da legte er den Finger auf die Lippen, und die Band reihte sich auf wie Rekruten zum Fahnenappell, während die Stimme des Subcomandante Marcos vom Band erklang. Der sagte etwas von „Frieden“, „Gerechtigkeit“ und „Bildung“, was man auch ohne Kenntnisse des Spanischen verstehen konnte: Eine Geste, für die Manu Chao in Südamerika meist viel Applaus erntet. In Deutschland dagegen, wo solche Revolutionsromantik fremd ist, erntet Manu Chao damit eher Verwunderung.

Mit seinem zirkusreifen Bühnenspektakel treibt er das Publikum dennoch bis zur Erschöpfung. Am Ende des Konzerts schien im Saal sogar eine gewisse Erleichterung zu herrschen, nicht noch mehr gefordert worden zu sein.