Der reichste Mann von Wien

Weg mit der Walzerseligkeit: Hans Neuenfels zerbröselt „Die Fledermaus“ und Jossi Wieler macht mit „Ariadne auf Naxos“ alles wieder gut – Strauß und Strauss bei den Salzburger Festspielen

Auf die angemaßte Nobilität der Strauß’schen Schöpfungen antwortet Neuenfelsmit Demontage

von FRIEDER REININGHAUS

Durchaus sinnig ließ der scheidende Künstlerische Leiter der Salzburger Festspiele, Gérard Mortier, zum Ende des Opernparcours „Die Fledermaus“ von Johann Strauß und „Ariadne auf Naxos“ von Richard Strauss zusammenfinden. Verbunden sind die beiden Werke durch Verdrängung und glückliches Vergessen und die dazu quer stehende „einholende Erinnerung“.

Die „Fledermaus“ hatte es von Anfang an in sich. Vom Absturz aus einer auf Pump etablierten feinen Welt in die Knastsphäre handelt die Operette des Jahres 1873. Marc Minkowski und das Salzburger Mozarteum-Orchester ließen die wechselhafte Dynamik der windigen Walzerseligkeit aufleuchten wie ein Feuerwerk in gesicherter Entfernung – jenseits aller sülzigen Untugenden der Operettentradition.

Vor den mittleren Arkaden der Salzburger Felsenreitschule, die zu einem Staatsopernsegment aufgefüttert wurden, zwischen alten Kutschen und etwas Küchenmobiliar inszenierte Hans Neuenfels die Geschichte vom Dr. Falke, der mit Hilfe einer vom Prinzen Orlowsky ausgerichteten Fete einen Racheplan schmiedet: Rache für einen Streich, den ihm sein Intimfeind Gabriel Eisenstein einst nach einer Ballnacht im Fledermauskostüm spielte.

Mit gewaltigen weißen Reifrock-Halskrause-Tonnen brach sich wieder einmal die ausschweifende, auf Zwangsvorstellungen verweisende Neuenfels’sche Theaterfantasie Bahn. Allerdings gepaart mit derbem Realismus. Fast beiläufig schlagen junge Rechtsradikale den unfähigen Advokaten Dr. Blind zusammen. Solche Bezugnahme auf gegenwärtige gesellschaftliche Realitäten gewinnt mit Orlowskys Bunkerfest die Oberhand. Es wird ernst – mit penetranter Gründlichkeit und lähmender Konsequenz: Der russische Prinz umgibt sich mit allem, was richtig hässlich und brutal ist. Auch die Gedichteinlagen von Elisabeth Trissenaar können den „Kunstcharakter“ der völlig zerbröselnden Veranstaltung nicht retten.

Sie sollten es ja auch gar nicht, wie die Einlassungen der Trissenaar als Schließerin Frosch im Katzenjammer nach der trostlosen Party dann offenbaren. Da wird das Entschuldigungsritual der neueren deutschen Politik parodiert, außerdem die Homoehe, Wien als Lebensaufgabe, die Sozialarbeit in der Haftanstalt oder das Vulgärpsychologisieren: Mutterverstümmelungsfantasien, Vatersyndrome. Hänsel und Gretel, die beiden linkischen Kinder der Eisensteins, die es eigentlich gar nicht geben dürfte, müssen dran glauben: Doppelselbstmord.

„Komm, Nacht, und mache mich sehend“ steht eine Zeit lang über der Szene. Neuenfels hat „Die Fledermaus“ auf seine Weise mit doppeltem Kontrapunkt zerschreddert: Auf die angemaßte Nobilität der Strauß’schen Schöpfungen wie auf die beschönigende Rezeptionsgeschichte antwortet er mit konsequenter Demontage.

Damit aber Festspiel-Salzburg doch wieder ins Lot komme, versöhnte Jossi Wielers Inszenierung der „Ariadne auf Naxos“ die von Neuenfels provozierten Premierengäste und die notorisch beleidigte Wiener Presse. Die Oper, die Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss 1926 herausbrachten, ist ein durch und durch nostalgisches Werk. Es führt in eine Zeit, in der Wien noch richtig schön war und die wichtigste Hauptstadt. Der reichste Mann dieses barocken Wien, so der Plot, habe für eine besondere Feierlichkeit eine größere Anzahl von Künstlern eingekauft: Opernsänger und Unterhaltungsmusiker. Unter denen kommt es zu erheblichen Spannungen, als der Hausherr bekannt geben lässt, dass die Programme simultan stattfinden sollen, um rechtzeitig vor dem Brillantfeuerwerk beendet zu sein.

Anna Viebrock und Jossi Wieler haben die halb öffentliche, halb private Welt des Superreichen als Foyer nachgebaut, wie es sich in Museen, Opern- und Festspielneubauten der Sechzigerjahre findet: sterile Betonwände mit Feinputz, Glasvitrinen und neben den Türen oder Durchgängen Stelen mit künstlerisch gestalteten Köpfen. Mit verbundenen Augen werden grüppchenweise die Musikanten hineingeführt. Was den gesellschaftlichen Rahmen ihrer Tätigkeit betrifft, sind sie zunächst ebenso blind (wie der Dr. Blind der „Fledermaus“). Sie greifen Platz im Vorhof des Reichtums und der Kultur, geraten sich bei der Vorbereitung für den seriösen Auftritt beziehungsweise die Buffa gebührend in die Wolle, verstricken sich in Lehrgespräche über die Autonomie der Kunst und die Realitäten des Lebens. Sie spielen dann das Spiel von der verlorenen Liebe der Ariadne sowie ihrer Tröstung durch die männer- und lebenserfahrene Zerbinetta – und das alles in der mit Sitzgruppen bestückten trivialen Umgebung: Ein Wunder der Heiligen Caecilie mit den Mitteln der Musik.

In deren höchsten kunstfertigen Tönen bewegt sich – unter der Leitung von Christoph von Dohnányi und über den Wiener Philharmonikern – die silberstimmige Sopranistin Natalie Dessay. Deborah Polaski schließlich lieferte mit ihrer Ariadneklage die feinen Zwischentöne, passend zum metaphysisch überwölbten Aufbruch zu neuen Ufern des Lebens. Ein versöhnliches Opernfinale, das den Jüngeren Respekt abnötigte und einem gealterten Festspielpublikum beschwichtigenden Balsam auf die Seele strich.