Eine Farbe Blau

Der Himmel über Hokkaido: Kazuyoshi Kumakiris stiller Film „A Hole In The Sky“ erzählt in langen Einstellungen behutsam vom Verlassensein. Der frühe Wenders hätte es nicht besser machen können

von DETLEF KUHLBRODT

Dem Klischee nach ist Japan dicht besiedelt und hochmodern. Es gibt jedoch auch Gegenden wie die umfangreiche Insel Hokkaido im Norden, wo kaum jemand wohnt. Inzwischen scheint Hokkaido der Lieblingsdrehort vieler japanischer Regisseure zu sein. In den letzten zwei Jahren gab es allein im Forum der Berlinale acht japanische Filme, die auf dieser Insel spielten.

Der 29-jährige Regisseur Kazuyoshi Kumakiri sagt, er hätte seinen zweiten langen Spielfilm „A Hole In The Sky“ eigentlich in jeder abgelegenen Gegend Japans drehen können, „aber da ich auf Hokkaido aufgewachsen bin, wusste ich, dass der Himmel dort blauer und weiter ist als irgendwo sonst in Japan.“

Dies angenehm frische Himmelblau, das es nur am Meer gibt, setzt Kazuyoshi Kumakiri oft sehr schön in Szene; wenn Ichio, der traurige Held, mit dem Mädchen zusammen, das ihn verlassen wird, das Dach des an einer Fernstraße gelegenen Restaurants rostrot streicht oder er eine Fahne da anbringt oder ein roter Jeep vor der gelben Wand des Restaurants steht und der Himmel da drüber ist superblau.

„A Hole In The Sky“ ist ein wehmütig-stiller Film, so schön, melancholisch und traurig, wie nette junge Menschen zu sein pflegen. Manchmal erinnert er an die frühen Sachen von Wim Wenders. Während die männlichen Wenders-Helden der 70er-Jahre sich jedoch in ihrer Melancholie eingerichtet haben und sich in ihrem selbst gewählten Alleinsein genießerisch spiegeln, möchte Ichio da raus.

Ichio ist um die zwanzig und hat sein ganzes Leben damit verbracht, in dem Restaurant „Hole In The Sky“ Essen für vorbeifahrende Gäste zu kochen. Er lebt hier allein mit seinem unglücklichen Vater, den er dafür verantwortlich macht, dass Ichios Mutter die Familie verließ, als er noch ein Kind war. Der Vater liebt Pferdewetten und fährt mit wechselndem Erfolg den Pferderennen hinterher, während Ichio den Betrieb aufrechterhält. Irgendwann betritt Taeko, eine junge Herumtreiberin, mit ihrem Freund das Restaurant. Beide haben sich zerstritten. Der Freund fährt wortlos ohne sie weiter. Taeko bleibt, schläft im Garten in einer Hundehütte, freundet sich irgendwie mit Ichio an und hilft dann im Restaurant aus. Ichio ist immer schweigsam und zu traurig, die beginnende Liebesgeschichte ohne Angst zu genießen, und schmerzhaft eifersüchtig, wenn Taeko mit anderen spricht.

Er ist ein Außenseiter und bei den Menschen in der nahe gelegenen kleinen Stadt eher unbeliebt. Wie sein Vater, der bei einem Eisskulpturenwettbewerb vor Jahren einen großen Iglu gebaut hatte, in dem er Kindern Filme von den Luftschlachten des Ersten Weltkriegs zeigte. Wegen der von dem Filmprojektor ausgehenden Hitze war der Iglu eingestürzt und viele der Kinder verletzten sich. So waren Vater und Sohn in Ungnade gefallen.

Ichio und Taeko leben so dahin. Sie arbeiten zusammen, streichen das Dach und schauen sich alte Super-8-Filme an. Einer davon ist eine Amateursexgeschichte mit seiner Mutter. Dann sitzen sie wieder auf dem Dach und rauchen Zigaretten.

Bei einem Ausflug treffen sie zufällig den Exfreund von Takeo. Die beiden Männer kämpfen; der andere ist stärker. Taeko will am nächsten Tag weiterziehen. Ichio will sie nicht gehen lassen wie einst seine Mutter. Je mehr er sie drängt zu bleiben, desto entschlossener ist sie zu gehen. Am Ende gibt es eine quälend lange Retraumatisierung, die möglicherweise zum Guten führt, auch wenn das Mädchen dann fort ist.

Später fiel mir ein, dass ich den Debütfilm „Kichiku“ von Kumakiri vor vier Jahren gesehen hatte, und wunderte mich sehr. Denn während „A Hole In The Sky“ in langen Einstellungen traurigsehnsüchtig und behutsam vom Verlassensein erzählt, war „Kichiku enkai“ einer der wütendsten und brutalsten Filme, die ich je gesehen habe.

Damals hatte der Ex-Festivalchef de Hadeln vor der Aufführung eine kleine Rede gehalten, die mit den Worten „Don’t be afraid to leave“ und „Don’t complain afterwards“ endete und später hatten japanische 70er-Jahre-Linksradikale einander hingemetzelt und aufgegessen.

„A Hole In The Sky“. Buch & Regie: Kazuyoshi Kumakiri, Japan 2001, 127 Minuten. Ab heute im fsk, Kreuzberg