Affentanz im Menschenpark

Mit oder ohne Ganzkörperbehaarung? Tim Burtons Neufassung vom „Planet der Affen“ geht erstaunlich nah an die Grenze zwischen den Arten

Bei Burton wünscht man sich, es gäbe mehr als nur einen kleinen finalen Kuss

von HARALD FRICKE

Es waren nicht Affen, sondern Hunde, Katzen und Graugänse. 1963 veröffentlichte Konrad Lorenz seine Studie über „das sogenannte Böse“, in der er sich an einer Naturgeschichte der Aggressionen versuchte. Aller Anfang liegt im Trieb: Weibchen bevorzugen bei der Fortpflanzung das stärkste Männchen, das in der Lage ist, ein Revier für sie zu sichern. Fehlt aber ein solcher Anlass, staut sich die Angriffsbereitschaft beim Männchen und das Tier sucht nach bekämpfbaren Gegnern. Gleichzeitig müssen sich besonders aggressive Tiere vor einer, so Lorenz, „artschädigenden Wirkung roher Beschädigungskämpfe“ schützen, indem sie sich „Kommentkämpfe“ in weit gehend ritualisierten Formen liefern, wobei im entscheidenden Moment Tötungshemmungen wirksam werden – das ist „moralanaloges Verhalten“. Damit sind die Wände, die das Tier vom Menschen trennen, sehr, sehr dünn.

Auf diese Parallele wiederum baute ein Jahr später Pierre Boulles Science-Fiction-Erzählung „Planet der Affen“ auf, die zwischen 1968 und 1974 als Vorlage für den Boom an „Affen“-Verfilmungen diente – bis hin zum aktuellen Remake von Tim Burton. Bei Boulle verkehren sich die Verhältnisse: Wissenschaftler geraten im 39. Jahrhundert auf einen Planeten, der von Gorillas, Orang-Utans und Schimpansen beherrscht wird, während ein verkümmerter Rest Menschen im Primatenzustand dahinlebt. Die Affen können sprechen, die Menschen bilden wieder Horden, weil sich die Evolution eine Drehung weiter geschraubt hat. Gewalt gibt es auf beiden Seiten: Die Wilden bekämpfen jeden andersartigen Eindringling, Gorillas jagen zum Spaß Frauen und Kinder. Nur die Schimpansen sind skeptisch, ob sie ihr Wissen nicht bloß von den Menschen geerbt haben, lange vor der anthropologischen Katastrophe.

Burton hat sich an diese Story gehalten. Bei ihm beginnt die Irrfahrt des Space-Kadetten Leo Davidson (Mark Wahlberg) in einer Art Replik auf Stanley Kubricks „Odyssee“. Fast meint man, der Film knüpfe nach dem Knochenwurf an, mit dem Kubrick von der Affenwelt ins All schaltete. Burtons Evolution schreitet aber nicht ohne Ironie voran. Er lässt im Raumschiff Affen und Soldaten die gleichen Aufgaben erledigen, nur im Ernstfall wird das Tier noch vor dem Menschen geopfert – ein schrecklicher Irrtum, wie sich nach der Havarie auf dem fremden Planeten herausstellt. Dort nämlich hat sich die Hierarchie umgekehrt und Davidson ist nun auf die Hilfe der für ihn immer noch unterentwickelten Spezies angewiesen, um zurück zur Erde zu gelangen.

Affentanz im Menschenpark? Was immer man heute in die Notgemeinschaft zwischen den Arten hineininterpretieren könnte, der Konflikt des original „Planet of the Apes“ war Mitte der 60er-Jahre politisch aufgeladen: mal als Bild vom Kalten Krieg, mal als fragwürdige, wenn nicht rassistische Parabel zur Black-Power-Bewegung. Die einen beklagten den Überlegenheitsgestus, mit dem Charlton Heston als Taylor den Kampf gegen die Affen austrägt. Andere waren nicht amüsiert, weil der edle Erdling zarte Gefühle für die Schimpansenfrau Zira entwickelt. Auch bei Burton wünschte man sich, es gäbe mehr als nur einen kleinen finalen Kuss – wie im richtigen Tierfilm eben.

Im Sixties-Kino kam noch der Reiz von Menschen in Affenkostümen hinzu, die John Chambers kreiert hatte. Der Make-up-Spezialist war für Spocks angespitzte Ohren zuständig gewesen, nun stellte er in vier Monaten an die 200 Masken fertig, die eher wie gehärteter Kautschuk mit angeklebtem Langhaar aussahen. Die Affen von 68 waren dicht bewachsene Hippies in schicken Maharadschi-Gewändern, während Hestons Outfit als Raumschiffbrüchiger im Lendenschurz an seine Sandalenfilme erinnerte. Der Spaß kam an, „Planet of the Apes“ wurde mit Plastikfiguren bis „Ape-Puzzles“ und Planeten-Spielzeug zu einem frühen Franchise-Spektakel. Der Film selbst spielte erstaunliche 26 Millionen Dollar ein.

Ein solches Ergebnis wäre für Burtons Neufassung von 2001 ein Desaster. Schließlich geht es bei einem Budget von 100 Millionen Dollar diesmal auch für den Trash-Liebhaber um mehr als nur eine weitere Hommage an B-Movies nach „Ed Wood“ und „Mars Attacks!“. Ganz erste Wahl ist Burton ohnehin nicht gewesen: 1994 wollte Oliver Stone eine ähnliche Geschichte mit Arnold Schwarzenegger als schießfreudigem Primatenforscher filmen, drei Jahre später zeigte sich James Cameron an dem „Apes“-Thema interessiert, entschied sich dann aber für „Titanic“.

Am Ende war man bei der ausführenden Twentieth Century Fox doch dankbar, dass Burton den Job übernommen hat. Nicht ohne Grund: Seine Credibility ist in Hollywood gewaltig. Burton ist der Darling all jener, die Hollywood als kalte Geldmaschine verachten, während sie bei ihm noch von Kulissenzauber und Kinoromantik träumen können. Dass er mit seinen jungshaften Science-Fiction-Grillen seit „Batman“ Box-Office-Hits landet, erleichtert zudem die Vertragsverhandlungen. Selbst das Gruselmärchen „Sleepy Hollow“ mit Johnny Depp und Christina Ricci spielte gut das Doppelte der Produktionskosten ein.

Entsprechend verzichtete auch Tim Roth auf seine Rolle in „Harry Potter“, als er von dem Projekt hörte, um sich, statt einen Zaubermantel zu tragen, in eine Schimpansenmontur nähen zu lassen, die er während der Dreharbeiten ganztägig tragen musste. Außerdem durften Roth, seine Partnerin Helena Bonham Carter als Forscheräffin Ari und Michael Clark Duncan als Gorilla-Offizier auf einer „Affenschule“ mit dem Bewegungskoordinator Terry Notary vom Cirque Soleil ihren „inneren Affen suchen“. „Hätten wir das nicht gemacht“, so Roth im Interview mit The Face, „dann wäre ein Film in National-Geographic-Qualität entstanden, mit Menschen, die herummarschieren und dabei alberne Masken tragen.“

Tatsächlich, es funktioniert. Mit jeder Minute des Films staunt man mehr, wie wenig menschlich manche der Figuren wirken. Tim Roth ist als General Thade ein kriegstreibender Affe, in dessen Zähneblecken jene Aggression aufscheint, die Lorenz so genau bei Graugänsen beobachtet hatte. Wenn er tötet, dann mit der ganzen Wucht seines triebgesteuerten Wesens, das dem eines Menschen in Uniform ähneln soll. Nur manchmal wird aus dem inneren Schimpansen doch wieder ein Verwandter König Lears, der lieber Shakespeare deklamieren würde, als Armeen von Primaten zu befehligen. Helena Bonham Carter dagegen wurde etwas nachlässig und mit zu blassem Teint ausgestattet als Intellektuelle, die besorgt zusieht, wie Affe Roth seinen Hass an der Menschheit abreagiert.

Leider helfen ihr die Sympathien für den zivilisierten US-Piloten, auf die der Film baut, auch kaum weiter. Mark Wahlberg als Menschenretter ist nicht abendfüllend. Dass er schon früh das Oberteil seines Astronautenanzugs gegen ein eng anliegendes Shirt wechselt, macht zwar einiges her, wenn man denn Fit-for-Fun-Waschbrettbäuche mag. Aber nach einer Stunde – inzwischen ist man von Burton in alle Geheimnisse der hoch entwickelten Affenkolonie eingeführt worden – steht Wahlberg immer noch ungläubig herum, murrt, weil er mit „goddamn monkeys“ als Gesprächspartnern nichts anfangen kann, und will eigentlich nur nach Hause. Hier hätte der Film jedoch zeigen können, wie viel die Menschheit von den Affen etwa in der Organisation des Soziallebens gelernt hat, hier wäre Artenaustausch möglich gewesen: Warum nicht mit einer Schimpansin über Systemtheorie diskutieren? Warum nicht verliebt Pfötchen halten und sich gegenseitig Keats-Gedichte vorschwärmen?

Wahlberg verkörpert in seiner dumpfen Dominanzgläubigkeit jedoch lediglich den Menschen, der sich selbst am nächsten steht. Vielleicht hat Burton damit am Ende, unfreiwillig womöglich, dem neuen US-Patriotismus unter Bush Vorschub geleistet, der in Amerika auch wieder nur das „Home of the brave“ sieht und im Rest der Welt Erfüllungsgehilfen seines Masterplan.

Vielleicht wollte der Filmemacher mit der wirren Krähennestfrisur und dem irren Raubtierlächeln damit aber auch die Zuschauer auf die Probe stellen, welches Alpha-Männchen besser zur Identifikation taugt: das mit oder das ohne Ganzkörperbehaarung. Die Auflösung wird man wohl erst in ein, zwei Jahren erfahren, wenn es zu einer Fortsetzung kommt. Die Voraussetzungen dafür sind günstig: Die Pointe von Burtons „Planet der Affen“ ist der definitive Brückenkopf in ein neues Affenzeitalter.

„Planet der Affen“. Regie: Tim Burton. Mit Tim Roth, Mark Wahlberg, Helena Bonham Carter und vielen anderen Affen, USA 120 Min.