Den Bürgern aller Idiome verformte er die Chromosome

In seinen wildesten Zeiten schrieb Umberto Eco auch Schlagertexte. Heute kämpft der Großintellektuelle gegen Silvio Berlusconi – nie hitzig erregt, dafür voller Akribie

Erst einige Wochen ist es her, da machte sich Umberto Eco bei der Linken mal wieder richtig unbeliebt. Die Tageszeitung L'Unità hatte einen Appell von 700 Universitätsdozenten organisiert, die sich mit der Bitte an den Staatspräsidenten wandten, er möge doch die Aufklärung der Geschehnisse von Genua höchstselbst in die Hände nehmen.

Und Eco? Der wohl weltweit renommierteste Linksintellektuelle Italiens lehnte ein Mittun brüsk ab. Nichts halte er von solcher Unterschriftensammelei, und schon gar nicht in diesem Falle: Aufklärung des Polizeiskandals rund um den G-8-Gipfel sei Sache des Parlaments, nicht des Präsidenten. Der versnobte Großintellektuelle also, dem seine Millionenauflagen, seine gut 20 Ehrendoktorhüte zu Kopf gestiegen sind?

Dröhnende Appelle im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit sind Ecos Sache nicht. Schon Zeitungsinterviews gibt er höchst ungern, und um TV-Studios macht er einen großen Bogen. Trotzdem ist Eco seit nun bald 40 Jahren präsent mit seiner Sicht vom Lauf der Dinge. Als Experte für die Geheimnisse der Massenkommunikation hat er schon früh herausbekommen, dass es ruhig auch volkstümlich hergehen darf. Schon in den 60ern rechnete er mit den „Apokalyptikern“ ab, die über die „platte“ Massenkultur lamentierten.

Eco ging gleich ans Werk und steuerte zur Melodie des Celentano-Schlagers „24.000 Küsse“ einen neuen Text bei: „Mit 24 Megatonnen / lösen wir jetzt alle Probleme / Mit einer Bombe, das ist klar / wird die Freiheit endlich wahr. / Den Bürgern aller Idiome / verformen wir die Chromosome.“

Vom Schlager kam Eco schnell wieder ab. Erhalten blieb er den Italienern als leise ironischer Kommentator in Blättern wie La Stampa, Il Manifesto oder La Repubblica. Seit 16 Jahren gehört ihm die Kolumne „La Bustina di Minerva“ im Wochenmagazin L'Espresso. Dort präsentiert sich ein Eco, der ungefähr so belesen ist wie seine Romanhelden.

Doch ab und zu meldet sich der Polemiker, und der ist plötzlich gar nicht mehr burlesk-verspielt. Ob es um die Verurteilung des früheren Lotta-Continua-Chefs Adriano Sofri geht, um die Debatte über die angebliche marxistische Hegemonie in Italiens Kultur, um Berlusconis Wahlkampagne oder zuletzt um Genua – Eco äußert sich: Nie hitzig erregt, dafür voller Akribie. Quellen werden dabei reichlich zitiert. Vor allem eine Quelle, die Eco wie kein anderer einzusetzen weiß: seine persönlichen Erinnerungen. So schlägt er von Genua den Bogen zurück zu Turin 1951, als er zum Opfer prügelnder Polizisten wurde, die streikende Arbeiter auseinander trieben.

Seit Berlusconi auf der politischen Bühne ist, führt Eco seinen persönlichen Kampf gegen den Volksverführer. Da liefert er wieder gescheite Texte, die in einer überraschenden Volte Berlusconi als den „letzten Kommunisten“ entlarven. In Personenkult und populistischer Massenmobilisierung sei der starke Mann der Rechten der wahre Schüler des legendären KPI-Chefs Togliatti.

Doch angesichts der geballten TV-Macht Berlusconis war das Eco nicht genug. Der sonst so Reservierte griff diesmal zu einer ihm ungewohnten Form: dem Appell. Unter dem Titel „Wem die Stunde schlägt“ warnte er vor der Errichtung eines „De-facto-Regimes“ in Italien und rief den Bürgern zu: „Die Stunde schlägt dir!“ Da nur eine Minderheit überhaupt lese, habe Berlusconi mit der Kontrolle des Privat- wie des Staatsfernsehens ein Informationsmonopol im Lande. Da klingt Vielschreiber Eco plötzlich einigermaßen resigniert, denn er hat nur die Kraft des geschriebenen Wortes. Die aber nutzt er, wo immer er kann. MICHAEL BRAUN, ROM