Ein Phantom und kein Kollege

Am Taxistand am Chlodwigplatz sammeln die Fahrer Indizien. Einer wird deutlich: „Wenn die Frauen nicht mitspielen, wie soll das gehen?“

aus Köln BARBARA BOLLWAHN
DE PAEZ CASANOVA

Das Phantombild sieht gruselig aus. Da, wo sonst der linke Schneidezahn ist, klafft eine fast einen halben Zentimeter breite Lücke. Dazu ein fleischiges Doppelkinn, eine bleiche Gesichtsfarbe und buschige, an der Nasenwurzel zusammengewachsene Augenbrauen. Auf dem Schädel glänzt eine Halbglatze, am Hinterkopf fallen die Haare dagegen in dünnen Strähnen auf die Schultern.

Dieser Mann soll in seinem Auto eine Frau vergewaltigt haben. Nachts auf dem Nachhauseweg in einem Auto, das sie für ein sicheres Taxi hielt. Als die Polizei vor zehn Tagen von 130 eingegangenen Hinweisen zu dem Mann noch rund 20 abzuarbeiten hatte, riss die Beamten ein neuer Fall aus den Ermittlungen. Zum dritten Mal in 15 Monaten war eine Frau in einem Taxi vergewaltigt worden. Zumindest sah es so aus wie ein Taxi. Ob es tatsächlich eines war, ist in der Stadt umstritten. Die Zeitungen sind sich sicher, dagegen mögen die Kölner Taxifahrer nicht daran glauben.

Bisher hatten die Chauffeure in der Öffentlichkeit entweder die Beschützerrolle: Die Polizei empfahl sie Frauen, die allein unterwegs sind. Oder sie waren die Opfer von Gangstern, die ihre Kasse hergeben mussten und manchmal sogar verletzt oder getötet wurden. Aber Taxifahrer als Vergewaltiger?

Alle drei Opfer haben der Polizei berichtet, dass sie neben dem Fahrer eines cremefarbenen Wagens mit Taxischild Platz genommen hätten. In allen drei Fällen wurden sie auf dem Beifahrersitz vergewaltigt. In allen drei Fällen – und darauf weisen Taxifahrer gern hin – konnten sie keine Angaben zu Kennzeichen oder Taxinummer machen. Die Beschreibungen der Männer lassen nicht unbedingt auf einen einzigen Täter schließen. Mal sprach er gebrochen Deutsch, mal nicht. Einmal wurde die Zahnlücke beschrieben, einmal ein Schnauzbart. Zweimal erinnerten sich die Opfer an ein „südländisches Aussehen“, die Altersangaben schwankten zwischen 35 und 50 Jahren.

Jagd nach dem Monster

Ein Taxistand um Mitternacht am Chlodwigplatz in der Südstadt. Über ein Dutzend cremefarbene Mercedeswagen wartet in der Nähe des Severinstors mit erleuchtetem Taxischild. Fast im Minutentakt setzen sich die Taxen in Bewegung. Das Geschäft läuft gut in dieser heißen Nacht. Trotzdem ist die Stimmung unter den Fahrern schlecht. Sie haben noch die Schlagzeilen im Kopf. „Angst im Taxi“, hat die Bild getitelt: „Noch eine Sex-Bestie“. Und der Express schrieb über die „Sexfalle Taxi“ und blies zur „Jagd nach dem Sex-Monster“.

Den Fahrern passt das nicht, sie wollen nichts zu tun haben mit dem Mann mit der Zahnlücke und sind überzeugt, dass sie für ihn zum „Sündenbock“ gemacht werden sollen. Einer der Fahrer empört sich: Jemand, der wie „ein Ableger Frankensteins“ aussieht, könne unmöglich hinterm Steuer eines Taxis sitzen. Zur Bekräftigung präsentieren die Fahrer „Indizien“, die sie an den Angaben der Opfer zweifeln lassen. Seltsam, dass die Frauen die Polizei nicht mit Kennzeichen oder Konzessionsnummer versorgen konnten. Und dass eins der Opfer nach der Vergewaltigung umherirrte und sich dann mit einem Taxi nach Hause fahren ließ.

„Schwer nachvollziehbar“ seien die Vergewaltigungen, sagt ein jüngerer Chauffeur. Jeder Fahrer kenne mindestens zehn Kollegen so gut, dass der Täter auf dem Phantombild längst hätte gefunden sein müssen. Gerade so, als wolle er den vergewaltigten Frauen nicht jegliche Glaubwürdigkeit absprechen, versichert er noch generös: „Ich kenne keinen, der sagt, die Schlampe ist selbst schuld.“ Ein paar Meter weiter wird ein Kollege um die 50 deutlicher: „Lassen Sie uns mal ehrlich sein: Wenn die Frauen nicht mitspielen, wie soll das gehen?“, fragt er in rheinischem Singsang. „Das soll mir mal einer vormachen. Das ist mir alles suspekt.“

Mag sein, dass die Männer mit der Technik unter der Kühlerhaube behutsamer umgehen als mit der Psyche von Vergewaltigungsopfern. Doch Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Frauen haben auch Taxifahrerinnen. Eine 53-Jährige sagt: „Es ist doch seltsam, dass sich die Frauen nichts merken konnten.“ Eine Fahrerin hat ins Internetgästebuch des Taxi-Rufs geschrieben, dass es „sicher die Taxifahrer gibt, die jeden weiblichen Fahrgast als potenzielles Freiwild ansehen und dies mehr oder weniger offen kundtun“. Viel häufiger sei jedoch der männliche Fahrgast, der Fahrerinnen „als sexuelles Freiwild ansieht und dies auch mehr oder weniger offen kundtut“.

Lieber auf die Rückbank setzen

Zu einem Umsatzeinbruch im Taxigewerbe haben die Vergewaltigungen nicht geführt. Einigen Fahrern ist aber aufgefallen, dass jüngere Frauen in letzter Zeit öfter auf der Rückbank Platz nehmen und ältere Kundinnen mit den Worten einsteigen: „Sie werden mich doch nicht vergewaltigen?“ Aber bei der Zentrale vom Taxi-Ruf, dem 1.230 Taxen angehören, werden nicht häufiger Fahrerinnen angefordert. Solch eine Nachfrage wäre auch kaum zu befriedigen. Denn von den 1.000 Fahrern, die im nächtlichen Köln unterwegs sind, sind nur 50 Frauen.

Der Geschäftsführer der Taxi-Ruf AG, Bernd Schößler, sagt, bei Bestellungen von Taxifahrerinnen seien die Kollegen in der Zentrale vorsichtig. Der Grund: Wenn ein Mann anruft und eine Fahrerin für eine Fahrt zur Oper für seine Frau bestellen will, könne es sich ebenso um einen Trick handeln. So eine Opfergeschichte passt schon eher zum Taxifahrerbild.

Allerdings redet Schößler besonnener als viele seiner Kollegen. „Es fällt mir schwer, zu glauben, es könnte ein Kollege gewesen sein“, sagt er. Er wolle aber nicht ausschließen, dass es „schwarze Schafe“ gibt. Schößler konzentriert sich derzeit auf die Zusammenarbeit mit der Polizei und auf die Erhöhung der Sicherheit in Taxen. Die will er mit Lichtbildausweisen des Fahrers erreichen, die gut sichtbar für Fahrgäste im Wagen angebracht werden sollen. In Hamburg gibt es solche Ausweise schon.

Haltestelle Friesenplatz. Hier stieg die erste vergewaltigte Frau in den Wagen. Ein 47-jähriger Fahrer sagt, es gebe sicher in Taxen „Gespräche“ oder „Anbändeleien“. „Das ist ganz klar.“ Doch Vergewaltigungen? „Das kann ich mir nicht vorstellen“, sagt der korpulente Mann mit Schnauzer und schüttelt den Kopf. Er glaubt, wie viele Kollegen, dass es sich bei den Tätern nicht um Taxifahrer handelt, zumindest nicht welche aus Köln, sondern um Männer, die sich ein gebrauchtes Taxi zulegen und ein Schild aufs Dach montieren, das in jedem Autozubehörgeschäft zu kaufen ist. Ein gebürtiger Iraner gibt zu bedenken, dass es durchaus denkbar sei, dass es auch im Taxigewerbe Vergewaltiger gibt. „Es ist zum Kotzen.“ Trotzdem meint auch er, dass Taxifahrer zu Sündenböcken gemacht werden. Deshalb müssten die Fälle schnellstmöglich geklärt werden.

Für die Aufklärung ist Monika Laenzen zuständig. Sie leitet das Kommissariat für Sexualdelikte. Bisher hat die Polizei noch nicht viel rausgefunden. „Den potenziellen Täterkreis kriegt man nicht eingeschränkt“, sagt Laenzen. Denn es könne sich sowohl um Täter aus Köln als auch von außerhalb handeln. Zwei der Vergewaltigungen ereigneten sich an Wochenenden mit Großveranstaltungen, zu denen viele auswärtige Taxen unterwegs waren.

Keinerlei Zweifel an den Opfern

Anders als viele Taxifahrer hat die Polizistin „keinerlei Zweifel“ an dem von den Opfern jeweils geschilderten Tathergang. Deshalb, sagt sie ruhig, bestehe auch kein Grund zu der Annahme, dass es sich bei den Tätern nicht um Taxifahrer handelt. Dafür, dass die Frauen keinerlei Angaben zu Kennzeichen oder Konzessionsnummer machen konnten, hat Laenzen eine simple Erklärung: Die Taten geschahen im Dunkeln, die Frauen befanden sich in Ausnahmesituationen: „Ihnen wurde Gewalt angetan.“

Pauschale Beschuldigungen von Taxifahrern erhebt Laenzen nicht. Vergewaltiger gebe es unter Pfarrern wie auch unter Lehrern, Babysittern, Vätern und Nachbarn zu finden. Aber sie beklagt, dass derzeit der Eindruck erweckt werde, im Taxi seien Frauen geschützt. Sie fragt: „Und was ist mit Vergewaltigungen in der Ehe? Da denkt man auch, da kann nichts passieren.“

22 Fälle in 11 Jahren

Dass Taxis nicht immer die Sicherheit bieten, die sie suggerieren, zeigen die Zahlen des Landeskriminalamts in Düsseldorf. Seit 1990 wurden in Nordrhein-Westfalen zwölf Fälle von Vergewaltigung und sexueller Belästigung durch Taxifahrer aufgeklärt. Dazu kommt ein Fall von sexuellem Missbrauch an einem Kind, das ein Fahrer regelmäßig gefahren hatte. Ungeklärt sind neun Fälle, zu denen auch die letzten drei Vergewaltigungen in Köln zählen.

Taxifahrer oder nicht – Kommissarin Laenzen hofft, dass die Laboruntersuchungen der Unterwäsche und Abstriche der beiden letzten Opfer DNA-haltiges Material der Täter zutage fördern. Die Untersuchungen im ersten Fall waren negativ. Doch auch wenn Blut, Sekrete oder Haare gefunden werden sollte, ist es angesichts der Größe des Kreises potenzieller Täter derzeit fraglich, ob Speichelproben genommen werden.

Vor wenigen Tagen hat die Polizei die Ermittlungskommission von 7 auf 12 Beamte aufgestockt. Außerdem wurde eine Belohnung von 5.000 Mark ausgesetzt. 3.000 Mark kommen von der Staatsanwaltschaft, 2.000 Mark gibt der Taxi-Ruf dazu. Der Grund: In der Nacht von letztem Samstag auf Sonntag stieg eine Kölnerin in der Nachbarstadt Leverkusen in ein Funktaxi – also ohne Taxischild, aber mit Taxameter. Der Fahrer des Wagens mit Kölner Kennzeichen grabschte die Frau an und forderte Sex von ihr. Als der Mann an einer roten Ampel halten musste, stieß die Frau die Tür auf und entkam.