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: Unwirkliches Geschichtskino bei Amos Gitai und Werner Herzog

Unter der Käseglocke der Correctness

Zugegeben, tagespolitische Ereignisse, Nachrichten und ähnliche Botschaften aus der anderen Wirklichkeit dringen nur als ferner Nachhall durch den Festivalfilter. Umso erstaunter ist man, wenn sich unter der Käseglocke aus Zelluloid plötzlich Universen auftun, die noch weltfremder sind, als man sich selbst schon fühlt. Zum Beispiel wenn ein israelischer Film, der in einem fernen hinteren Winkel seines Drehbuchgewissens vermutlich etwas mit dem zu tun haben wollte, was sich gerade im Nahen Osten abspielt, historisierenden Eskapismus betreibt.

In „Eden“ von Amos Gitai geht es um vier arg prototypische Menschen, deren Wege sich während des Zweiten Weltkrieges in Jerusalem kreuzen: eine jüdische Fanatikerin, die Brandsätze gegen die englischen Besatzer wirft; ein träumerischer Intellektueller, der ein geradezu lyrisches Verständnis für die Sache der Palästinenser hat, und ein idealistischer junger Architekt, der sich so leidenschaftlich für die Zukunft Israels ins Zeug legt, dass er die hin und wieder noch leidenschaftlicher gespreizten Beine seiner jungen Frau nicht mehr wahrnimmt. In langen Einstellungen entsteht ein bemühtes Kammerspiel, das allen Seiten gerecht wird. „Eden“ sagt nichts über die israelische Gegenwart, dafür einiges über die Haltung von Amos Gitai aus, der seit Jahren selbstgefällig jüdische Themen, Mythen und Geschichte auschlachtet, ohne sich dabei je über eine folgenlos konsensfähige Political Correctness hinauszuwagen.

Interessanterweise hat Gitai ausgerechnet im einzigen deutschen Festivalbeitrag seinen geistigen Verwandten gefunden – wobei Werner Herzogs Film „Invincible“ um einiges tragischer gescheitert ist, schon allein weil er unfassbar weit hinter den Möglichkeiten seines Regisseurs zurückbleibt. Wenn man an die wilden Zeiten des Neuen Deutschen Films denkt, an „Fitzcarraldo“, „Aguirre“ oder an das großartig durchgeknallte Kinski-Gerangel, dann kann man sich bei Herzogs neuem Film eigentlich nur noch einreden, dass ihn das Thema weniger interessiert hat als die Möglichkeit, nach Jahren wieder einmal einen Film zu drehen.

Auch „Invincible“ spielt in den 30er-Jahren und stellt zwei Juden und ihren unterschiedlichen Umgang mit der eigenen Religion in biederer Fernsehästhetik gegeneinander. Im Mittelpunkt steht ein sanfter Muskelmann namens Zishe Breitbart, der seinerzeit als stärkster Mensch der Welt galt. Based on a true story verschlägt es Breitbart in einer umständlich erzählten Geschichte von seinem ostpolnischen Dorf ins bereits naziverseuchte Berlin. Hier macht er im Varieté zunächst als teutonischer Supermann Karriere, besinnt sich jedoch seiner jüdischen Identität und versucht als Samson eine Revolte gegen Hitler anzuzetteln. Als Breitbarts Antipoden baut Herzog den Wahrsager Hanussen auf, einen opportunistischen Hitler-Verehrer, der offen Antisemitismus predigt und dann doch als Jude „enttarnt“ wird.

Bestenfalls naives Lehrstück, wirkt „Invincible“ wie die Quersumme aller deutschen Nazi-Kostümfilme der letzten Jahre. Hinzu kommt das fürchterliche Koproduktionsenglisch, mit dem sich die weißbärtigen Einwohner eines osteuropäischen Shtetls genauso glatt verständigen wie Heinrich Himmler beim Plaudern mit Joseph Goebbels. Nur Udo Kier, die alte Knallcharge, kommt auf seine Kosten. In der Rolle des Berliner Polizeipräsidenten entwickelt er eine perverse Öligkeit, die in Herzogs Sozialkundeambiente plötzlich wunderbar authentisch wirkt. KATJA NICODEMUS