Kein Mexikaner soll illegal sein

In unerhörter Deutlichkeit fordert Mexikos Präsident Vicente Fox beim Staatsbesuch in Washington eine Veränderung der US-Einwanderungsbestimmungen. US-Präsident George Bush kommt dem Gast vorsichtig entgegen – seine Republikaner nicht
aus Mexiko-Stadt ANNE HUFFSCHMID

Als „Herausforderung“ bezeichnete die mexikanische Presse mit gewissem Stolz die Forderung ihres Präsidenten Vicente Fox in Washington nach einer Reform des US-Einwanderungsgesetzes. Tatsächlich waren es vergleichsweise unerhörte Töne, die Fox während seiner dreitägigen Staatsvisite beim Amtskollegen George W. Bush anschlug: Bis Ende des Jahres „können und müssen wir ein Migrationsabkommen“ abschließen, so Fox beim Staatsempfang am Dienstag, damit es „bis zum Ablauf unserer beider Amtszeit“ keine illegalen Mexikaner in den USA mehr gebe. Vor einer gemeinsamen Plenarsitzung der beiden Häuser des US-Kongresses am Donnerstagvormittag sagte Fox, dass „die Migration immer mehr wirtschaftlichen Nutzen als Kosten für die USA gebracht“ habe. Schätzungen zufolge arbeiten zwischen drei und fünf der insgesamt über acht Millionen MexikanerInnen in den USA ohne gültige Aufenthaltserlaubnis.

Die Gastgeber, die sich bislang stets gegen eine Legalisierung dieser indocumentados verwehrt hatten, zeigten sich ob des forschen Auftretens des Mexikaners etwas überrascht. Kurz zuvor hatte George Bush eine Generalamnestie, wie sie von mexikanischer Seite vorgeschlagen worden war, noch ausgeschlossen. Justizminister John Ashcroft gab sich auf Nachfragen der Reporter diplomatisch. Für eine Einigung in der Migrationsfrage gebe es „keinen genauen Zeitplan“, auch wenn man ein Abkommen „so schnell wie möglich“ vereinbaren wolle.

Im US-Kongress aber ist die Stimmung noch immer skeptisch. Vor allem die Republikaner lehnen eine „Legalisierung von Gesetzesverstößen“ kategorisch ab. Und konservative Wirtschaftswissenschaftler verweisen auf die schlechte Konjunktur: „Die Erhöhung des Arbeitskräfteangebots hat nicht viel Sinn, wenn die Nachfrage gerade ins Wanken gerät“, argumentiert beispielsweise der Ökonom Jared Bernstein.

Hingegen zeichnet sich im Gewerkschaftslager ein Kurswechsel ab: Hatte der Dachverband AFL-CIO bis vor kurzem noch gegen die Billigkonkurrenz aus dem Süden gewettert, so sind heute die Immigranten – ob legal oder illegal – begehrter Ausgleich für die sinkenden Mitgliederzahlen der Gewerkschaft.

Auch Präsident Bush will Mexiko nun entgegenkommen, schließlich sind die insgesamt 20 Millionen Mexikaner und US-BürgerInnen mexikanischer Abstammung – über 7 Prozent der US-Bevölkerung – ein beachtliches Wählerpotenzial. Als erstes Goodwill-Signal gilt der kürzlich beschlossene Verzicht auf Schusswaffengebrauch an der militärisch abgeschotteten Grenze zu Mexiko.

Unklar ist, wie eine Gesetzreform, deren Verabschiedung kaum vor den Wahlen zum US-Kongress nächstes Jahr erwartet wird, konkret aussehen soll: Die Bandbreite der Vorschläge reicht von der Amnestie über Teillegalisierung bis zu Gastarbeiterprogrammen, also der Vergabe befristeter Arbeitsgenehmigungen.

Nicht minder unklar ist, was die USA im Gegenzug zur Lockerung ihrer Einwanderungsbestimmungen verlangen. Eine dieser Bedingungen, so mutmaßen Menschenrechtsgruppen, sei das „Versiegeln“ der Südgrenze Mexikos nach Guatemala und Belize, über die sich Jahr für Jahr tausende von Zentralamerikanern auf ihren Weg nach Norden machen. Pünktlich zur Washington-Visite des Präsidenten gab die Nationale Einwanderungsbehörde (INM) bekannt, dass der seit Juli laufende „Plan Frontera Sur“ die Zahl der illegalen Grenzgänger um 10 Prozent reduziert habe. Bis Jahresende, so hofft das INM, soll dieser Anteil auf 40 Prozent erhöht werden.