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Die Wirklichkeit glotzt zurück: Eine Ausstellung in Berlin dokumentiert den politischen und ästhetischen Widerstand

Während Literatur, insbesondere die so genannte Popliteratur, sich zurzeit gerade mehr oder weniger an die selbstbezogene Medienbetrachtung verliert, zeichnet sich in der bildenden Kunst ein gegensätzlicher Trend ab: Dort werden Medien wieder benutzt, um Gesellschaftskritik zu üben. Dafür setzen bildende Künstlerinnen und Künstler oft digitale Bildmedien ein, meistens die Videotechnik, machen dabei zum Beispiel Dokumentarfilme, also etwas, was eigentlich ins Fernsehen gehörte. Filme, die das Fernsehen allerdings nicht bringt oder höchstens auf schlechten Sendeplätzen.

Die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) in Berlin-Kreuzberg räumt mit dem Projekt „hybrid video tracks“ diesem Phänomen nun einen angemessenen Platz ein. Denn erst in einem institutionellen Rahmen, wie ihn die NGBK bietet, wird klar, welches künstlerisch-kritische Potenzial sich in marginalisierten Räumen wie bei feministischen, antifaschistischen oder MigrantInnengruppen gebildet hat. Gut einen Monat lang werden in den Räumen der NGBK, dem Regenbogen Kino, aber auch im Hausbesetzerprojekt Köpi und auf der Straße Filme gezeigt, Installationen ausgestellt und Workshops angeboten. Zudem gibt es einen dokumentarischen Überblick zur Geschichte des Medienpädagogischen Zentrums Hamburg, das einst mit einem Film über die RAFlerin Astrid Proll ins Leben gerufen wurde. Daneben präsentiert sich in der NGBK das junge internationale Internetnetzwerk Indymedia, dessen Website www.indymedia.org eine wichtige Informationsquelle der so bezeichneten GlobalisierungsgegnerInnen ist. Außerdem gibt es einen Schwerpunkt zu den seit 20 Jahren zusammenarbeitenden AktivistInnen von Paper TV (USA), die nun in einer Reihe mit jüngeren Kollektiven wie Ak Kraak, Kanal B oder Kanak Attak stehen.

Es ist eine immer noch wenig bekannte, linke Mediengeschichte, die mit „hybrid video tracks“ erzählt wird: Die Geschichte von Leuten, die eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen versuchen und dabei oft eine Mischform aus Performance, Videoinstallation, Dokumentarfilm und Diskussionszirkel anbieten. Allerdings hat sich die im NGBK präsentierte Form der Vermittlung im Kunstbetrieb selbst noch nicht durchgesetzt. Das zeigte sich, als der Film „Dienstleistung Fluchthilfe“ von Oliver Ressler und Martin Krenn seine Berlin-Premiere hatte. An diesem Abend fand sich vor allem ein linkes Szenepublikum ein, das sich weniger für ästhetische als für die politischen Fragen interessierte. Der Film besteht aus Zusammenschnitten von Interviews mit linken AktivistInnen und Flüchtlingen sowie mit BGS-Beamten und österreichischen Grenzern. Zugleich wird mit den Mitteln des Dokumentarfilms die klassische Erzählform des Dokumentarfilms durchbrochen: Kameras wackeln, Einstellungen sind „unsauber“, eben Gesagtes wird als Text noch einmal eingeblendet.

Dieser Film, in einem Kunstraum statt in einem Stadtteilzentrum aufgeführt, läuft Gefahr, durch den institutionell abgesegneten Rahmen seiner Aufführung politisch relativiert zu werden. Andererseits erfüllt die Ausstellung den Anspruch der Videoarbeiterinnen und -arbeiter, indem sie vor allem von Linken besetzt wird. Das macht den etablierten Ausstellungsraum zum autonomen Zentrum, das nun statt im Kunstbetrieb aufzugehen in einen Widerstandsort verwandelt wird. Unter dem etwas schmissigen Titel „hybrid video tracks“ lässt sich innerhalb der NGBK-Räume tatsächlich Politik machen: Videoarbeiten, die oft von kleinen Gruppen für den innerlinken Hausgebrauch produziert worden sind, können nun von einem breiteren Publikum wahrgenommen werden.

Diese Situation spiegelt sich sehr gut in einer der parallel ausgestellten Installationen wider. Zu sehen ist ein klassisches Wohnzimmerinterieur mit Fotoalben auf dem Tisch. Eine schöne heile Videoabend-Welt. Doch die Schrankwand mit dem Fernseher ist umgestürzt, und der Fernseher schaut aus geöffneten Schranktüren neugierig in den Raum. Die Wirklichkeit glotzt zurück. So sollte Fernsehen sein.

VERENA SARAH DIEHL,
JÖRG SUNDERMEIER

Bis 7. 10., NGBK, Berlin. Infos:www.hybridvideotracks.org