Die Würze des Lebens

Schwuler Gewaltsex auf britischen Bühnen war ein Symptom für die Krise der Männlichkeit. Jetzt ist es Zeit, wieder aus Freude miteinander zu ficken

von MARK RAVENHILL

Szene eines unvollendeten Stücks:

Das Wohnzimmer einer durchgestylten Souterrainwohnung in Nordlondon. Auftritt Josh.

Josh: Darling, ich bin wieder da.

Auftritt Will. Kommt aus der Küche, in der Hand eine Ausgabe von „Leitfaden für die Haushaltsfee“ und einen Schneebesen.

Will: Hallo, Darling.

Josh: Wie wär's mit ein bisschen Analsex, Darling?

Will: Oh ja. Das wäre super. Ich schieb nur rasch das Soufflé in den Ofen, du wirfst was übers Sofa, und dann legen wir los, ja?

Josh: Oh ja, Darling. Super.

Niemandem, der in den letzten zehn Jahren regelmäßig im Theater war, kann entgangen sein, dass auf britischen Bühnen Analsex in Hülle und Fülle zu sehen war. Von Antony Neilsons prophetisch betiteltem „Eindringling“ Anfang der Neunziger bis jüngst zu Simon Bennetts Stück „Drummers“ haben sich Männer zurückgelehnt und nehmen lassen wie nie zuvor.

Und dennoch – trotz der Vielzahl dieser „analen Begegnungen“ – folgten alle einem recht gleichbleibenden Schema: dem der Gewalt und der Erniedrigung, der Vergewaltigung eher als einvernehmlichem Sex. Ein Mann penetriert einen anderen als ultimatives Machtspiel. Genug, um die Sodomie in Verruf zu bringen.

In Neilsons Stück spricht ein geistig verwirrter junger Soldat über seine albtraumhaften Erfahrungen als Gefangener einer „Die Eindringlinge“ genannten Gruppe und über seine Vergewaltigung mit einem Besenstiel. In Sarah Kanes „Zerbombt“ zwingt ein anderer Soldat einen Journalisten zu brutalem Analsex. In meinem eigenen Stück „Shoppen und Ficken“ bittet ein junger Stricher darum – nachdem er gewaltsamen Sex mit zwei anderen jungen Männern hatte –, mit einem „Messer oder Schraubenzieher oder so was“ penetriert zu werden. Und in Bennetts „Drummers“ penetriert ein Bruder den anderen als Strafe dafür, dass er ihn bei ihren kriminellen Geschäften hintergangen hat.

In einem Jahrzehnt der viel heraufbeschworenen – aber nichtsdestotrotz tatsächlichen – „Krise der Männlichkeit“ war Analsex eine exzellente Metapher für die Situation, in der Männer sich fühlten. Dass der aktive Penetrator der passiv Penetrierte werden könnte, war der ultimative Spiegel einer Welt, in der patriarchale Strukturen – und Männlichkeit im Allgemeinen – ihren Einfluss zu verlieren schienen. Eine fruchtbare Metapher, auch wenn sie wenig mit der Realität von Analsex zu tun hat. Die Wahrheit ist natürlich, dass Analsex so ziemlich wie jeder andere Sex auch ist. Fast immer ist er einvernehmlich, oft ein bisschen schmutzig, ein bisschen peinlich, ein bisschen lustig, ein bisschen bewegend, manchmal langweilig, aber normalerweise überraschend erfreulich. Wirklich – so ist das.

Einige Zeit später. Will und Josh sind voll dabei.

Josh: Oh, wow. Wow. Das ist . . . super!

Parallel zu den brutalen Männervergewaltigungen gab es in den vergangenen zehn Jahren eine beachtliche Reihe von Stücken mit schwulen Figuren und schwulen Milieus. Dramen von Autoren wie Jonathan Harvey und Kevin Elyot haben die Komik und das Pathos schwuler Liebe mit viel Erfolg auf den West-End-Bühnen beschrieben. Für ein breites – und überwiegend heterosexuelles – Publikum.

Zuschauer, die die unbeschwerte Romanze eines heterosexuellen Pärchens als peinlich sentimental abgetan hätten, freuten sich über die süßen Umarmungen zweier Teenager-Jungen in Jonathan Harveys „Beautiful Thing“. Man muss seine Vorstellungskraft schon arg strapazieren, um an das Happy End einer Mann-Frau-Beziehung zu glauben – wann hörte eigentlich zum letzten Mal eine Komödie mit einer Hochzeit und Tanz auf? –, doch mit einer Prise „gay spice“ wurde das altbewährte Rezept aufgefrischt. Allerdings nicht mit – und das ist, worauf schwule Beziehungen unterm Strich hinauslaufen – Analsex.

Deswegen möchte ich einen Vorschlag machen. Lasst uns diese theatralische Berliner Mauer einreißen, diese Mauer, die die grauenhaften Männervergewaltigungen und die zärtlichen, aber sexfreien schwulen Romanzen in den letzten zehn Jahren trennte! Und lasst uns Männer auf den britischen Bühnen sehen, die Analsex wie im wirklichen Leben haben – oft und zum Spaß.

Später. Will und Josh sind gerade fertig mit dem Sex.

Will: Wie war es für dich, Darling?

Josh: Super.

Josh zieht sein T-Shirt an. Darauf steht: „Sie nennen es Sodomie. Wir nennen es fabelhaft.“

Josh: Total super.

Übersetzung: Christiane Kühl