Vom Ekel zum Hoffnungsträger

Rudolph Giuliani, der Bürgermeister von New York, zeigt unerwartete Größe. Vor einer Woche noch schien der rabiate Vertreter von Law and Order politisch tot

BERLIN taz ■ „Es werden mehr sein, als irgendeiner von uns ertragen kann.“ Jeder kennt diese Antwort, die New Yorks Bürgermeister Rudoph Giuliani auf die Frage nach der Zahl der Opfer gab. Giuliani, noch vor einer Woche ein von vielen gehasster, politisch angeschlagener Mann, ist seit dem Angriff auf das World Trade Center zu ungeahnter Größe aufgelaufen. Nicht nur dass er, im Gegensatz zu Präsident George W. Bush, sofort nach der Tragödie vor Ort war und auch dort blieb: Wie ein Arzt, der schwere Nachrichten überbringt und dennoch dem Patienten Mut machen will, fand Giuliani die richtigen Worte. Die großartigste Stadt der Welt werde sich nicht in die Knie zwingen lassen, lautet seither seine Botschaft, verbunden mit einer stetigen Aufforderung an die New Yorker, zur Normalität zurückzukehren.

Rudolph W. Giuliani wurde 1944 als Sohn italienischer Einwanderer im New Yorker Stadtteil Brooklyn geboren. Er studierte Jura und wurde 1970 zum stellvertretenden Staatsanwalt in Manhattan bestellt, wo er sich bereits einen Ruf als eifriger Strafverfolger erwarb. Zunächst eher den Demokraten nahe stehend, wandte er sich mit der Zeit den Republikanern zu. Je nachdem, ob der US-Präsident gerade ein Republikaner oder ein Demokrat war, hatte Giuliani ab Ende der Siebzigerjahre jeweils einen Posten im Bundesjustizministerium inne oder arbeitete in einer Anwaltskanzlei.

1993 gewann er knapp die Bürgermeisterwahlen in New York und machte sich bald als Hardliner in Sachen Verbrechensbekämpfung einen Namen. Er erhöhte die Zahl der Polizisten und erweiterte deren Kompetenzen, ließ Obdachlose vertreiben und Schwarzfahrer bestrafen. Die Verbrechensrate in New York sank rapide, und 1997 wurde Giuliani von den dankbaren Städtern wiedergewählt.

Verständlicherweise sah Giuliani keinen Grund, seine Politik zu verändern, er verschärfte sie im Gegenteil. Die Stimmung in New York wendete sich langsam gegen den exzentrischen Vertreter von Law and Order. Im vergangenen Jahr zog er seine Kandidatur für den US-Senat „aus gesundheitlichen Gründen“ zurück – bei ihm war Prostatakrebs diagnostiziert worden. Die Trennung von seiner Ehefrau wurde von der Presse mit Habichtsaugen verfolgt und ausgeschlachtet.

Seit seinen jüngsten Auftritten ist alles vergeben und vergessen, und selbst sein alter politischer Gegner, der ehemalige demokratische Bürgermeister Ed Koch, gestand ihm kürzlich zu: „Manche mangelhaften Leute verlieren in außergewöhnlichen Zeiten ihre Fehler.“ ANT