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Ablehnung des Terrors und Kritik an der amerikanischen Außenpolitik: Ägyptische Intellektuelle über das Attentat auf das World Trade Center und die Folgen für die Bevölkerung in der arabischen Welt

von VIOLA SHAFIK

„Es handelt sich nur um ein paar Flegel“, antwortete der ägyptische Regisseur Youssef Chahine in der libanesischen Zeitung al-Nahar auf die Frage nach den jubelnden Arabern, deren Bilder nach dem Attentat auf das World Trade Center über die Sender flimmerten. „Eine in Ägypten bisher ungekannte Barbarei“, urteilte Nabil Abd al-Fattah, der stellvertretende Direktor des Al-Ahram-Zentrums für politische und strategische Studien im Hinblick auf einige enthusiastische Landsleute. In einem am 14. September in der arabischen Tageszeitung al-Hayat veröffentlichten Brief an die arabische Welt warnte der Leiter des amerikanischen Nahost-Instituts, Edward Walker, hingegen, die Araber verscherzten sich jegliches Mitgefühl. In der Tat scheinen angesichts dieser Aufnahmen alle Beileidsbekundungen arabischer Staatsführer zu verblassen – inklusive Arafats demonstrativer Blutspende.

Vietnam, Somalia, Jugoslawien

Für ägyptische Intellektuelle, Künstler und Kulturschaffende ist die Quelle des Hasses klar: „Die Reaktionen auf der ägyptischen Straße stellen eine primitive Schadenfreude dar, denn die Leute halten Amerika direkt verantwortlich für die Opfer im Irak und in Plalästina“, so der Regisseur Daoud Abd al-Sayed, der mit poetisch-existenzialistischen Filmerzählungen wie „Das Land der Angst“ (2000) auch im Westen bekannt wurde. Der Schriftsteller Sonallah Ibrahim hat eine vergleichbare Erklärung. Der Autor unter anderem des ins Deutsche übersetzten Romans „Der Prüfungsausschuss“ ist bekannt für seinen Hang zu beißenden Gesellschaftsparodien. „Mein Zeitungshändler machte am Freitag ein verdrießliches Gesicht. Als ich ihn fragte, ob dies mit dem Attentat zusammenhinge, winkte er heftig ab: ‚Darauf habe ich im Kaffeehaus einen ausgegeben.‘“

In diesem Kontext sieht Ibrahim 1967, das Jahr der ägyptischen Niederlage gegen Israel, als psychologische Zäsur. „Seitdem fressen die Leute die Erniedrigung in sich hinein. Während die Erdölmagnaten klammheimlich in Europa ihre Schäfchen ins Trockene bringen, kriegen die einfachen Menschen täglich Backpfeifen und können sich nicht wehren. Sie haben die Bilder der palästinensischen Dörfer vor Augen: zerstörte Häuser, beschlagnahmte Felder und ein paar Jugendliche vor israelischen Panzern, die wirken wie Flugzeugträger, voll mit sausenden Geräten. Der Groll wächst täglich und verhindert schließlich, dass man die menschliche Tragweite eines solchen Attentats an sich heranlässt.“

Ibrahim, selbst eingefleischter Marxist, hält Anschläge für kein revolutionär angemessenes Mittel. Auch die ehemalige palästinensische Strategie der Flugzeugentführung lehnt er strikt ab. „Wirklich revolutionär war die Anti-Rassismus-Konferenz in Durban, der Volkskonsens gegen die amerikanische Politik und den israelischen Rassismus, der sich dort abzeichnete.“ In seiner konsequenten Ablehnung des Terrors fordert Ibrahim jedoch auch eine Neubewertung des israelischen Terrors, der sich seiner Meinung tagtäglich vor den Augen der Welt vollzieht, ohne dass jemand eingreift, vor allem die Amerikaner nicht. Lächerlich wirkt für ihn der offene Brief Walkers und die Beschwörung amerikanischer Werte im Hinblick auf Amerikas tatsächliche Praktiken. „Glaubt Walker, dass die Reaktion des einfachen arabischen Mannes auf den Hochmut und die Vorherrschaft Amerikas hierzulande anders aussehen kann? Zumal nach der Erfahrung von Vietnam, Somalia und Jugoslawien?“

Regisseur Daoud Abd al-Sayed zieht eine ähnliche Bilanz. „Die Wurzeln des islamistischen Terrors führen nach Amerika. Ist Bin Laden nicht ein Produkt des Afghanistan-Krieges, der mit amerikanischen Mitteln geführt wurde? Amerika ergeht es jetzt wie einst dem ägyptischen Präsidenten Sadat, der die Islamisten förderte und schließlich von ihnen umgebracht wurde. Vor einem Jahrhundert wären Frankreich und England dran gewesen, aber jetzt sind die USA die ungerechte Kolonialmacht, die mit zweierlei Maß misst, Freunden vergibt und Feinden nach dem kleinsten Fehler trachtet.“

Das Versagen der arabischen Regierungen

Eine etwas komplexere, wenn auch ähnlich gelagerte Erklärung hält der Politologe Nabil Abd al-Fattah bereit. Für ihn richten sich die spontanen Solidaritätsbekundungen mit den Attentätern auch gegen die vom Westen unterstützten halbdemokratischen arabischen Regierungen. „Ganzen Generationen wird in unseren Ländern der Weg versperrt, eigene Interessen zu vertreten oder eine Rolle im öffentlichen Leben zu spielen. Dazu trägt auch die schlechte Bildungssituation bei.“ Schuld sucht Abd al-Fattah auch bei den arabischen Medien, die nicht genug Aufklärung betreiben, unter anderem weil sie zu wenige Fachleute zur Hand haben: „Sie fördern den ideologischen Extremismus durch überzogene Polemiken, mit der sie um das Interesse des Publikums konkurrieren. Der kleine Mann aber kennt nur den amerikanischen Traum aus Hollywood mit Gene Kelly. Amerikanische Stärke, das ist Rambo und amerikanische Schönheit, Madonna oder ‚Pretty Woman‘, lauter simple, verzerrte Bilder des amerikanischen Staates, seiner Einrichtungen und seiner Künste.“ Nicht viel besser kommen bei Abd al-Fattah die westlichen Medien weg. „Dort ist das Bild der Araber und Muslime vorwiegend durch Stereotype und Klischees bestimmt, wie dem konsumfreudigen reichen Petro-Araber, der nur Frauen und seinen Gelüsten nachgeht, dem Beduinen, der gerade eben vom Kamel auf die Luxuslimousine oder auf das Flugzeug umgestiegen ist. Der Araber verkauft Haschisch, verachtet die Frauen, ist Gefangener irgendeines patriarchalischen Diktators oder ist ein Terrorist, der im Namen der Religion tötet. Auch hier regiert der Reiz des Fremdartigen und Exotischen.“

Protestantischer US-Fundamentalismus

Die gefährliche Wirkungskraft des Diskurses von der kulturellen Fremdheit und dem Kampf zwischen abendländischer und orientalischer Kutur bestätigt ein weiterer ägyptischer Gesellschaftskritker, Samir Murqus, dessen jüngste Werke ins Herz der Problematik zielen: „Der Westen und die religöse Frage im Nahen Osten“ und „Der protestantische Fundamentalismus und die amerikanische Außenpolitk“. Murqus, ehemaliger stellvertretender Generalsekretär des nahöstlichen Kirchenrates, sieht in den westlichen Reaktionen die erschreckende Konsequenz von Samuel Huntingtons längst überholter These vom Aufeinanderprallen der Kulturen. Nicht zuletzt, weil für ihn die amerikanische Politik unter dem Stern des protestantischen Fundamentalismus steht. „Die Sprache der christlichen Rechten beherrscht Amerikas öffentlichen Diskurs. In der Erklärung des Senats zu dem Attentat hieß es ‚Gott segne Amerika‘. ‚Gott segne die Nation‘, so auch die Ansprache des Präsidenten, der außerdem zum nationalen Tag des Gebets aufrief. Hier wird versucht, die Einheit des Christentums mit der westlichen Zivilisation zu beschwören.“

Die Dominanz der christlichen Rechten sieht Murqus nicht nur in Bushs Tagespolitik, in der Beschränkung sozialer Leistungen und in der militärischen Aufrüstung bestätigt, sondern auch in politischen Details, die länger zurückliegen, wie zum Beispiel das 1998 beschlossene Gesetz der religiösen Freiheit. „Mit ihm gaben sich die USA das alleinige Recht, andere Staaten auf den Stand ihrer Religionsfreiheit zu untersuchen, einzuordnen und entsprechend zu sanktionieren. Das ironischerweise von der jüdischen Lobby angeregte Gesetz handelt aber eigentlich von der Freiheit zu missionieren, im Nahen Osten, China und in der ehemaligen UdSSR, in Regionen also, die missionarische Aktivitäten unterbinden oder unterbanden.“

Für Murqus hat der rechtsgerichtete Diskurs „den automatischen Ausschluss von allem zufolge, was nichtwestlich oder nichtchristlich ist. Da muss ein schneller Feind her, Araber und Muslime, ob sie nun Ibn Laden heißen, tatsächlich die Verantwortung tragen oder nicht. Wie Tony Blair erklärte, haben sich die Araber selbst zu den Feinden unserer zivilisierten Welt gemacht. Als Folge werden jetzt amerikanische Araber und Muslime ins Visier genommen. An der ersten Gabelung nimmt man eine rassistische Auswahl vor, womit der Begriff von den USA als Schmelztiegel mehr als fragwürdig erscheint.“

Engere Schrauben für die Bevölkerung

Am schlimmsten ist für Samir Murqus, dass sich die nun eintretende westliche Antagonisierung von Muslimen und Christen zwangsläufig als fortwährende actio-reactio auf die arabischen Gesellschaften überträgt und darüber hinaus nun von Israel zur Legitimation seiner Politik missbraucht werde. „Angesichts der Krise wirft sich Israel in den gleichen Schützengraben wie Amerika, um die Ereignisse in den besetzten Gebieten als Terror statt als rechtmäßige Verteidigung verletzter Grundrechte zu kennzeichnen.“

Auch Filmemacher Abd al-Sayed, der den Friedensschluss mit Israel vehement unterstützt, sieht allen Grund zur Sorge. „Die Folgen sind verheerend, denn die USA werden nicht zwischen den verschiedenen Gruppen unterscheiden und in den jeweiligen Ländern auch den nationalen Widerstand treffen.“ Damit meint er in erster Linie Palästina, aber auch den Irak. Wie auch der Schriftsteller Ibrahim fragt er sich, warum Amerika den Diktator nicht längst abgesetzt hat, statt ein ganzes Volk auszuhungern. Für den Politologen Abd al-Fattah besteht ebenfalls kein Zweifel, dass die Ereignisse in der arabischen Welt vor allem die Bevölkerung treffen werden. „Die bevorstehende Bespitzelung und die Freiheitseinschränkung im Westen“, so Fattah, „werden auch den hiesigen regionalen Führern Vorwände liefern, die Schrauben noch enger zu ziehen.“