„Ich will nicht in den Krieg“

Ein 24-jähriger US-Soldat über seine Meinung zu einem Militäreinsatz, über Berufsrisiken und seine Loyalität zu Amerika

Interview ONUR SUZAN KÖMÜRCÜ

taz: Herr Cahir, was haben Sie am 11. September getan?

Quadlisha Cahir: An dem Tag lief ich durch die Kaserne und Leute kamen und meinten: „Hast du das gesehen? Die haben Flugzeuge in Gebäude geflogen!“ Ich wusste nicht, was ich glauben soll. Wenn die Dudes [gemeint sind weiße Soldaten; die Red.] kommen und so was erzählen, dann denkst du, das ist wieder ein typisches Gerücht. Davon gibt es viele bei der Army.

Jetzt wissen Sie es.

Ja, und ich versuche immer noch, das zu realisieren. Ich habe alles im Fernsehen verfolgt, aber es ist wie in einem Kinofilm. Als ich in Amerika war, dachte ich immer: Fuck Amerika. Die meisten Menschen da drüben respektieren mich nicht, warum sollte ich es dann tun? Aber wenn so etwas passiert, dann kannst du es nicht fassen. Ich habe dieses Händchen haltende Paar aus dem World Trade Center springen sehen. Hey, das war so hart. Da habe ich geweint.

Was ist dann passiert?

Bevor wir vom Dienst nach Hause geschickt wurden, kam ein Appell. Es wurde eine höhere Sicherheitsstufe ausgerufen.

Was denken die Soldaten jetzt über ihren möglichen Kriegseinsatz?

Manche sind bereit, in den Krieg zu gehen. Die Dudes sagen: Komm wir holen uns diese Leute, wir werden sie bombardieren. Einer muss dafür bezahlen! Auf der anderen Seite hat man die Brüder [schwarze Soldaten; die Red.], die sagen: Hey, nein, wir sind nicht bereit für den Krieg, wir wollen nicht da rübergehen.

Was glauben Sie, was man von Ihnen erwartet?

Egal wie furchtbar diese Tat war: Die wollen, dass wir jetzt ausrücken und auf andere Soldaten schießen. Wir werden sowieso nicht die wirklichen Drahtzieher erwischen. Sie bringen unsere Soldaten um, wir bringen ihre Soldaten um. Ich kämpfe für meine Familie, er kämpft für seine Familie. Vielleicht würde ich ja auch denken, ich kämpfe für die Freiheit meines Landes oder um wieder nach Hause zu kommen. Aber wenn du dann nach Hause kommst, weißt du wirklich nicht, wofür du gekämpft hast. Es ist alles Politik.

Was heißt für Sie Politik?

In Wirklichkeit ist es doch so, dass die USA nur Ländern helfen, wenn es um Geld geht. Zum Beispiel im Nahen Osten. Würden wir da sein, wenn es da kein Öl gäbe? Meinen Sie wirklich, wir sind da, um den Menschen zu helfen? Uns sagen sie jetzt: „Wir ziehen in den Krieg, weil unsere Leute umgebracht wurden.“ Du weißt niemals, was der wirkliche Grund ist. Wir Schwarzen sind uns dessen bewusst.

Woher nehmen die Schwarzen dieses Bewusstsein?

Ich zum Beispiel trage eine amerikanische Uniform. Wenn ich an einer weißen alten Frau vorbeilaufe, bekommt sie Angst vor mir und zieht ihre Tasche gleich an sich. Wenn du als Schwarzer in Amerika aufgewachsen bist, schaust du genau hin. Wir Minoritäten sind aus einer niedrigen Klasse und werden so behandelt. Und jetzt heißt es plötzlich, wir seien alle Amerikaner.

Sind Sie deshalb gespalten?

Ich bin schon in einem Interessenskonflikt. Aber ich bin loyal. Nicht gegenüber der Armee, sondern gegenüber meiner Familie. Die Armee ist mein Arbeitgeber. Soldat zu sein, ist für mich nur mein Job.

Und vielleicht dabei zu sterben, ist Berufsrisiko?

Für mich ist es allein wichtig, dass ich meine Frau und meine beiden Kinder ernähren kann. Meine Rolle als Vater hat mich zum Militär geführt. Ich tue meinen Job bei der Armee, soweit es meine Kräfte und Fähigkeiten zulassen. Letztendlich habe ich Verantwortung übernommen, und das nicht nur für mich. Ich habe in den Staaten keinen anderen Job bekommen, also bin ich zum Militär gegangen.

Warum tragen Sie ein Kreuz um den Hals? Sind Sie gläubiger Christ?

Nein, ich trage zwar dieses Kreuz, aber ich bin nicht religiös. Meine Mutter war sehr religiös.

Glauben Sie, es handelt sich um einen kulturellen oder religiösen Konflikt zwischen christlicher und muslimischer Welt?

Nein. Ich habe nach meinem Eintritt in die Armee viel über den Islam gelesen, wegen der vielen schwarzen Brüder, die Muslime sind. Ich glaube nicht, dass die Gründe für die Anschläge in der Religion zu suchen sind. Die Ursachen liegen eher in der Natur des Menschen. Es geht doch um Kontrolle und um Macht. Die Religion wird nur als Entschuldigung benutzt.

Denken die anderen Soldaten genauso?

Wir haben viel darüber diskutiert. Die Dudes beispielsweise meinen, man müsse die Männer mit den Putzlappen um den Kopf jagen. Als ich damals zur Armee kam und die anderen mein Interesse am Islam bemerkt haben, haben sie mich fast schon als Terroristen angesehen. Man wird argwöhnisch beäugt. Aber ich weiß, dass der Islam eigentlich eine friedliche Religion ist.

Hier in Europa haben viele das Bild, dass sich die meisten in den USA nicht für Politik interessieren. Was denken Sie?

Ich weiß sehr gut, was los ist. Aber in meinem Leben gibt es ein zentrales Thema, und das ist meine Familie und dass ich sie schützen muss. Amerika kümmert mich nicht so, dass ich mich für internationale Politik oder so etwas interessieren würde.

Werden sich nun mehr Ihrer Landsleute für Politik interessieren?

Ich kann nicht für andere sprechen, aber es kann sein, dass viele Amerikaner sagen werden: „Scheiß auf den Rest der Welt, wir werden uns rächen!“ Es kann aber auch sein, dass viele sagen: „Ich muss mehr über das, was auf der Welt passiert, lernen, damit jeder Einzelne sich sicherer fühlt.“ Hätten die Amerikaner das schon früher getan, wer weiß, vielleicht wäre das alles nicht passiert.

Haben Sie Angst vor einem Einsatz?

Ja, ich habe Angst. Ich will nicht in den Krieg und umgebracht werden. Ich habe Angst um meine Familie, ich will sie nicht allein lassen. Wenn du stirbst, müssen die Menschen, die dich lieben, klarkommen. Manche Leute sagen, es gäbe ein Leben nach dem Tod, aber ich denke, sie sagen das nur aus Angst. Es wäre eine Lüge, wenn ich sagen würde, ich bin bereit zu sterben. Du willst nicht sterben, nicht im Krieg.

Was werden Sie nun tun?

Wir warten, bis wir weggeschickt werden. Präsident Bush hat ja gesagt, dass der Anschlag eine Kriegserklärung war. Als Soldat weißt du, was das bedeutet. Du weißt, was als Nächstes kommt. Du wartest. Du bist nicht ein Teil des Informationskreises, der plant. Du wartest, bis du gehst. Das ist alles. Ich versuche, cool zu bleiben, bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich ausrücken muss.