Bedrohung schweißt EU zusammen

Neuer Maßnahmenkatalog beschleunigt und vertieft die polizeiliche Zusammenarbeit. Abbau von Bürgerrechten oder bessere Integration?

aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER

Die Liste, auf die sich Justiz- und Innenministerrat der EU gestern auf ihrer Sondersitzung verständigt haben, ist beeindruckend lang. 37 Maßnahmen sollen sofort in die Tat umgesetzt werden, damit Terroristen künftig in Europa nicht mehr ungestört ihre Aktionen planen und das Geld dafür beschaffen können. Ein Sondergipfel der EU-Regierungschefs soll den Katalog heute absegnen. Ein großer Teil der Forderungen besteht allerdings darin, Vorgänge zu beschleunigen, die längst im politischen Verfahrensprozess sind. Kein Zufall, dass die in den Schlussfolgerungen des Rates am häufigsten gebrauchten Worte „Vertiefung, Kooperation und Koordination“ sind.

Es geht darum, bereits vorhandene Strukturen und Datenbanken besser zu nutzen, zu vernetzen und den Zugriff zu erweitern. Die entsprechenden Rahmenbedingungen stehen bereits in Artikel 30 des Amsterdamer Vertrages, der im Mai letzten Jahres in Kraft trat: „Das gemeinsame Vorgehen schließt ein: die operative Zusammenarbeit der zuständigen Behörden einschließlich der Polizei, des Zolls und anderer spezialisierter Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedsstaaten und das Einholen, Speichern, Verarbeiten, Analysieren und Austauschen sachdienlicher Informationen, einschließlich verdächtiger finanzieller Transaktionen, insbesondere unter Einschaltung von Europol.“

Bislang scheiterte die praktische Umsetzung an bürokratischen Hürden und nationalen Eitelkeiten. Neu ist daher vor allem das Tempo, das der Rat nun vorzulegen entschlossen ist. So soll speziell für die Terrorismusbekämpfung sofort eine bei Europol neue, aus Antiterrorspezialisten der Mitgliedsstaaten bestehende Gruppe installiert werden.

Diese Gruppe soll alle Informationen sammeln, die in der derzeitigen Bedrohungssituation wichtig sind, sie auswerten und auf dieser Grundlage ein Bedrohungsszenario erstellen und Bereiche identifizieren, in denen vorbeugende Maßnahmen nötig sind. Die neue Einheit wird zunächst für sechs Monate eingerichtet. Danach wird überprüft, ob sie bestehen bleiben soll.

Auch die übrigen Forderungen sind zum ersten Mal mit konkreten Fristen verbunden. Bereits am 16. Oktober soll ein gemeinsamer Rat aus Finanz-, Innen- und Justizministern beraten, wie den Terroristen der Geldhahn zugedreht werden kann. Am 6. und 7. Dezember soll sich der Innen- und Justizrat auf einen gemeinsamen Standpunkt zu den Antiterror-Vorschlägen der Kommission vom Mittwoch verständigen. Sie betreffen einen europaweit vollstreckbaren Haftbefehl und ein europaweit einheitliches Strafmaß von zwei bis 20 Jahren für Terrorakte sowie eine einheitliche Definition des Straftatbestands (s. Kasten).

Selbst routinierte Diplomaten sind überrascht über das Tempo, das der ansonsten schwerfällige Club der 15 Fachminister plötzlich vorlegen kann. Es sei möglich, „dass für die europäische Integration bei allem Bösen etwas Positives herausschaut“, meinte ein Verhandlungsteilnehmer. Andere fragten sich aber auch, ob die nun absehbare verstärkte Zusammenarbeit im Bereich Innenpolitik und Justiz den Integrationsprozess wirklich positiv beeinflussen werde.

So birgt der Plan, die Datenbank des Schengener Informationssystems (SIS) anderen „öffentlichen Diensten“ zugänglich zu machen, große Risiken für den Datenschutz. Und die Absicht, die Außengrenzen noch besser zu bewachen und Aufenthaltsgenehmigungen und Identitätsdokumente nur nach sorgfältiger Kontrolle auszustellen, lässt vermuten, dass die Zeiten für Immigranten noch härter werden.

Zwar hat der deutsche Innenminister Otto Schily mit diesen Beschlüssen keine Probleme: „Ich wüsste nicht, wie das, was wir hier vorhaben, gegen Freiheitsrechte verstoßen könnte“, sagte er am Ende des Treffens. Und der konservative deutsche Europaparlamentarier Hans-Gert Pöttering stellt drohend fest: „Wer jetzt gegen die europäische Zusammenarbeit im Rahmen von Europol ist, verweigert nicht nur den europäischen Partnern seine Solidarität, sondern auch den Terrorismusopfern in den USA und der ganzen Welt.“

Dennoch ist die Skepsis bei vielen politischen Beobachtern nicht geringer geworden. So sagte der grüne Europaabgeordnete Johannes Voggenhuber in einer ersten Reaktion: „Es ist klar, dass der verstärkte Datenaustausch problematisch für die Grundrechte ist. Der schon vorher bestehende Riss zwischen der beschleunigten Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen und der damit verbundenen Einschränkung der bürgerlichen Grundrechte wird durch diese Ratsentscheidung zum Bruch.“