Parasiten der Unterdrückung, Freunde der Unterdrückten

Enzensberger glaubt an den Todestrieb, Saskia Sassen an die Globalisierungskritik, und Michael Walzer mahnt: Erklärungsmuster jenseits von Kulturkampf und Kriegsgeschrei

Eine Bagatelle nur, aber doch symptomatisch: Das Internetprojekt „forum der 13“, in dem sich deutsche Schriftsteller über ihre Arbeit und die Welt austauschen, ist in diesen Tagen zerbrochen. Die Autoren Norbert Niemann und Georg M. Oswald sind ausgetreten. Der Grund (nachzulesen bei www.forum-der-13.de): Es war für sie unerträglich, wie schnell ihre Kollegen nach dem 11. September wieder in eine wie geschmiert laufende Textproduktion übergingen. Dieser Vorwurf, so sehr man da als Journalist im Glashaus sitzt, möchte einem sehr schnell einleuchten. Texte, die unmittelbar nach den Anschlägen sofort wieder Bescheid wussten, konnte man nur mit Unbehagen lesen.

Auch in den Feuilletondebatten rund um die Ereignisse hat es solche Texte gegeben. Der Schriftsteller und Essayist Hans Magnus Enzensberger hat etwa in der FAZ die aktuellen Ereignisse schnell in eine Theorie des globalisierten Menschenopfers einbetten können, die von allen Besonderheiten absieht, wie sie sich durch Belange der Kultur, Religion, Politik ergeben: Skinheads, Schüler, die zum Messer greifen, fundamentalistische Attentäter – alles dasselbe, lediglich verschieden durch die „Dimension“ ihrer „Aktionen“.

Von einem ganz anderen Punkt aus hat die amerikanische Soziologin Saskia Sassen den Terror in ihre Überlegungen integriert. In einem Essay fürs Wall Street Journal kam sie, von den Anschlägen ausgehend, sehr schnell auf die Probleme der Globalisierung und ihre Forderung nach mehr Steuerung derselben zu sprechen. Dabei ähnelt der Hauptteil ihrer Ausführungen doch sehr einem Essay, den sie kürzlich in der Zeit veröffentlichte. Offensichtlich hat sie ihre globalisierungskritischen Argumente mit einem auf die aktuellen Anlässe zugeschnittenen Anfang und Schluss eingerahmt. Vom World Trade Center zur Globalisierungskritik und zurück in zwei Absätzen.

Beide Texte finden sich darin, dass das Ausmaß der Gewalt in den Hintergund anders gelagerter Sprechintentionen tritt; und man muss hinzufügen, dass beide durch die Art und Weise, wie husch, husch sie Erklärungsmuster anbieten können, auch ein wenig unseriös wirken. Von der Ausrichtung und ihrer Wirkung her unterscheiden sich die Texte allerdings fundamental – bei näherer Betrachtung bleibt bei Enzensberger das Unbehagen, bei Saskia Sassen hakt man ein.

Enzensbergers Einlassung lässt sich als geistesaristokratische Volte lesen: Von einer gewissen Höhe der Betrachtung aus ist, wie bei ihm, alles Todestrieb und „flottierende Aggression“. Es kommt eben nur auf die Höhe der Warte an. Saskia Sassen dagegen lässt sich dahingehend verstehen, dass das Nachdenken über die Ursachen des Anschlags zwangsläufig in ein Nachdenken über die Globalisierung mündet.

Damit hat sie eine Richtung vorgegeben, die sich in den amerikanischen Debatten jenseits von Kriegsgeschrei und Kulturenkampf derzeit in den Vordergrund arbeitet. Der amerikanische Politologe Jedediah Purdy etwa drängt in seiner Analyse der Ereignisse in der aktuellen Zeit auf „eine menschlichere und demokratischere Version der Globalisierung“. Und der US-Wissenschaftler Jeremy Rifkin meint in der Süddeutschen von gestern: „Marginalisierung und hoffnungslose Armut führen zu Verzweiflung, die letztlich den Nährboden aller extremistischer Bewegungen abgibt.“ Die Antiglobalisierungsdebatte erweist sich nach dem 11. September als anschlussfähig – auch weil sie über alle kulturellen Differenzen hinweg auf die Konsensfähigkeit sozialer Mindestansprüche setzt.

Eine mahnende Stimme gibt es auch. Sie stammt von dem amerikanischen Sozialphilosophen Michael Walzer, der mit seinen Herausgeberkollegen des Magazins Dissent eine kämpferische Editor’s Note auf die Homepage der einflussreichen Zeitschrift stellte (www.dissentmagazine.org). Darin heißt es: „Es gibt viele Menschen in der heutigen Welt, die eine linke Politik brauchen, aber Terrorismus ist nicht diese Politik.“ Und: „Terroristen sind Parasiten der Unterdrückung; sie sind nicht Freunde der Unterdrückten.“

In der Tat: Wer die Attentate durch Verweis auf die Globalisierungsproblematiken rechtfertigt, erweist sich als unseriös (von den genannten Autoren tut das niemand). Sie aber ganz aus sozialen Kontexten herausgelöst zu analysieren (wie Enzensberger), das kann nicht die Alternative sein. DIRK KNIPPHALS