FRIEDENSBEWEGUNG IST NAIV: TERROR MUSS BEKÄMPFT WERDEN
: Viel Herz und wenig Verstand

Frieden ist das wichtigste Gut auf der Welt. Deshalb darf, wer für den totalen Frieden ist, viel wirres Zeug von sich geben. Seit den Attentaten vom 11. September hat die Friedensbewegung einmal mehr unter Beweis gestellt, dass sie weder an Fakten noch an einem Mindestmaß an Logik interessiert ist. So wurde bereits kurz nach den Anschlägen unterstellt, die USA wollten blinde Rache üben, einen neuen Weltkrieg auslösen, einen Kreuzzug gegen den Islam führen. Dass von all diesen Unterstellungen, die durchaus auch in der taz vertreten wurden, bis heute noch nichts eingetroffen ist, könnte für die Blitzdenker Anlass für Momente des nachdenklichen Schweigens sein.

Nun darf man von Menschen, die nichts Geringeres als den dritten Weltkrieg zu verhindern haben, keine allzu differenzierten Überlegungen erwarten. Aber eines würde doch interessieren: Wie konnten Friedensaktivisten bereits kurz nach dem Attentat einerseits fordern, die USA dürften nicht handeln, bis sie und wir die Täter kennen, und andererseits gleichzeitig eine Analyse über die Motive der Täter vorlegen? Zum Beispiel, dass die reichen Industriestaaten selbst den Boden für Hass, Fanatismus und blindwütige Gewalt gedüngt haben, die Verelendung in den Entwicklungsländern Ursache der Terroranschläge gewesen ist.

Das alles ist in Presseerklärungen von Organisationen wie dem Kasseler Friedensschlag, Pro Asyl, dem Aachener Friedenspreis und dem Netzwerk Friedenskoperative nachzulesen. Sie haben ja Recht: Die ungleiche Verteilung von Reichtum ist mit Sicherheit für vieles in der Welt verantwortlich. Ebenfalls ist richtig, dass die reichen Industriestaaten des Nordens gegenüber dem Süden eine Verantwortung haben, die sie bis zum heutigen Tag nicht wahrnehmen. So weit, so global.

Übertragen wir die Vorschläge der Friedensbewegung für einen Moment auf die innenpolitischen Verhältnisse in Deutschland, werden einige Paradoxien in der Analyse deutlicher. Soll die Exekutive der Bundesrepublik nach Morden von Rassisten künftig erst über die gesellschaftlichen Ursachen der Anschläge nachdenken und auf ein Ergreifen der Täter verzichten, weil dies neue Gewalttaten von Gesinnungsgenossen provozieren könnte und dies somit neue Opfer schafft? In den letzten zehn Jahren hat die Gesellschaft glücklicherweise gelernt, dass ein allzu ausuferndes Gründeln über die Lebenslage der Täter allein nicht weiterhilft. Heute wird die Linie verfolgt: entschiedene Bekämpfung der Täter bei gleichzeitigen pädagogischen Angeboten für die Mitläufer. Interessanterweise gibt es eine große Schnittmenge zwischen jenen, die den staatlichen Behörden mangelndes Engagement im Kampf gegen rechts vorwerfen, und jenen, die gegen die Terroristen möglichst wenig an Konsequenzen wünschen.

„Eine Politik, die den Terrorismus wirksam bekämpfen und eindämmen will, muss ihm den sozialen, politischen und ideologischen Nährboden entziehen, in dem er gedeiht“, forderte Peter Strutynski, Sprecher des Zusammenschlusses von Friedensinitiativen. Wer solch weitreichende Aussagen streut, sollte in der Lage sein, ein paar Fragen zu beantworten: Was weiß er über das militärische Potenzial, die Logistik, die einsetzbaren Mittel der Terroristen? Was über die Größe der Gruppe, ihr Netzwerk, ihre Verankerung in breiten Bevölkerungsschichten? Welche pädagogischen und sozialen Konzepte schweben ihm vor, um Überzeugungstäter daran zu hindern, Flugzeuge in Chemieanlagen oder Atomkraftwerke zu steuern?

Naivität ist ein Menschenrecht. Nur darf es nicht zur Maxime der Politik werden. Im Gegensatz zur Friedensbewegung haben die USA bislang rational reagiert und sind nicht in die Falle gelaufen, die die Terroristen mit Sicherheit in ihrem strategischen Kalkül hatten. Mit dem Verzicht auf schnelle Racheaktionen haben sie wenig Anlass geboten, den latenten Antiamerikanismus breiter Bevölkerungsschichten im Nahen und Mittleren Osten zu aktivieren, deren Nutznießer in jedem Fall die radikal-islamischen Bewegungen wären. Wer allerdings glaubt, der saudische Milliardär Ussama Bin Laden und sein Terroranhang könnten in absehbarer Zeit resozialisiert werden, der lebt nicht mehr in dieser Welt. Der hat weder dessen Strategien und Aktionen verfolgt noch den Hauch eines Schimmers über die Ausmaße des radikal-islamischen Netzwerks. Entschiedenes, auch militärisches Handeln bleibt unvermeidlich. EBERHARD SEIDEL