Die unbeobachtete Frau

■ Psychothriller: David Siegel und Scott McGehees The Deep End auf dem Filmfest

Die spannendsten Thriller und besten Melodramen, jene, über die es sich nachzudenken lohnt, entstanden schon immer aus den Untiefen der Psyche. Dort, wo die vielen unterschiedlichen gesellschaftlichen Anforderungen, die unmöglich alle zufriedenstellend zu erfüllen sind, eine Wirrnis widerstreitender Gefühle, Wünsche und Ängste hinterlassen. Dem Regie-gespann David Siegel und Scott McGehee (Suture) ist mit The Deep End ein solcher Film gelungen.

Die Geschichte von Elisabeth Sanxay Holding, auf der The Deep End fußt, hat 1949 schon eine Verfilmung durch Max Ophüls erfahren. Sein The Reckless Moment (Schweigegeld für Liebesbriefe) rührte damals an den Kern der männlichen Machtverlustängste der Kriegs- und Nachkriegszeit: Eine Frau, deren Mann als US-Soldat in Berlin stationiert ist, gerät in die Gewalt zweier Erpresser. Die wissen, dass sie die Leiche des Liebhabers ihrer Tochter hat verschwinden lassen. Doch dann verliebt sie sich in einen der Erpresser.

Den düsteren Film noir von Ophüls versetzten Siegel und McGehee an das beeindruckende Setting des Lake Tahoe, in eine gutbürgerliche Einfamilienhaus-Siedlung. Nevadas lasterhaftes Reno liegt da direkt um die Ecke. Und ebendort, in dem Nachtclub The Deep End, hat der älteste Sohn von Margaret Hall einen Lover. Sie möchte die Liäson gern verbieten. Als sie bald darauf die Leiche des Mannes in der Nähe ihrer Hauses findet, ist klar: Ihr Sohn muss der Mörder sein. Die Leiche ist schnell beseitigt, dumm nur, dass der fremde Sportwagen noch vor der Haustür steht. Zurück also an den Ort, wo sie die Leiche im See versenkt hat, den Pullover aus, reingetaucht und den Schlüssel besorgt.

Schon in diesen, den ersten Minuten des Films, gibt Tilda Swinton (Orlando, The War Zone, The Beach) als Margaret Hall eine überwältigend gute Vorstellung. Die wirklich kleinsten Veränderungen in ihrem Mienenspiel lassen immer noch andere Gründe für ihr Tun erahnen, als den nahe liegenden, dass sie bloß ihre Familie zusammenhalten will und dem Mann, wenn er von seinem Aufenthalt bei der Navy zurückkommt, das heile und stolze Bild einer Mutter geben möchte, die es auch allein geschafft hat.

Doch auch die pragmatischste aller Mütter weht mal ein Schuldgefühl an. War sie nicht selbst der Grund für die tödlich endende Auseinandersetzung zwischen ihrem Sohn und dessen Lover? Und mag auch sie selbst die Tatsache akzeptieren, dass ihr Sohn schwul ist, niemals ist dem von altmodischen Werten geprägten Ehemann dies zuzumuten, von dem Mord – oder war's nur ein Unglück – ganz zu schweigen. Aber gibt es nicht einen Reiz daran, dass das routinierte Leben zwischen Kinder-von-der-Schule-Abholen, Essen-Machen, Schwiegervater-Versorgen und Haushaltsetat-Verwalten einmal so richtig gründlich aus den Fugen gerät? Die Mutterrolle beherrscht Margaret Hall noch, als die Erpresser ihr das Leben zur Hölle machen. Doch kleidet sie sich nicht plötzlich auch mal sexy, ist die Sonnenbrille nicht cool?

Als sich der eine Erpresser (Goran Visnjic) dann noch verständnisvoll zeigt für die Größe der Aufgaben einer allein gelassenen Mutter und von seinem Anteil zurücktritt, könnte ein Damm brechen. Doch wieder verrät kaum mehr als ein kurzer Blick Tilda Swintons die Verunsicherung des Eingeübten. Dem Korsett ihrer Rolle wird Margaret bis zum Ende nicht entkommen. Verständnis für die Prüfungen, die sie zu bestehen hat, findet sie nur vorübergehend bei dem freundlicheren der beiden Erpresser.

Dessen Rolle muss man nicht mögen – seit wann teilen Gangster family values und helfen, wo sie doch nun einmal da sind, den umgefallenen Schwiegervater wiederzubeleben? Doch ganz nebenbei haben Siegel und McGehee mit The Deep End den Film noir-Topos der beängstigenden Selbständigkeit allein gelassener Frauen mit einem ganz anderen, viel komplizierteren Bild konfrontiert. Hier geht die Bedrohung nicht von der Frau selbst aus, sondern der auf sich Gestellten sind die Anforderungen ihrer Rolle unheimlich geworden. Aber schließlich sind ja die Zeiten auch ganz andere.

Christiane Müller-Lobeck

Fr, 20 Uhr, Abaton, Sa, 22.15 Uhr, Zeise