Fremdhirn fürs Roboterkind

Großangriff des Konsolenkinos: Mit seinem neuen Film „Spy Kids“ verlegt Robert Rodriguez eine Agentengeschichte voller Gadgets, wie man sie von James Bond kennt, in eine surreale Spielzeugwelt

von PHILIPP BÜHLER

Als Säugling muss Robert Rodriguez einmal vor einen Spiegel gekrabbelt sein. Da hat er dann gemerkt, was er alles anstellen kann, hat seine Eltern angegrinst und sich gedacht: „Euch mach ich fertig!“ Heute ist der kleine Robert vermutlich circa neun Jahre alt und macht Filme: Horrorfilme, Actionfilme, und neuerdings auch Kinderfilme.

Unter diesen Umständen festzulegen, was ein Kinderfilm ist, erscheint allerdings extrem schwierig. Der Kinderfilm ist ja sozusagen das Hohlspiegelstadium als Bildner der Kindfunktion: Kinder benehmen sich wie Erwachsene und umgekehrt. Bei „Spy Kids“ ist man aber besser beraten, von solch unscharfen Begriffen die Finger zu lassen. Das Spielkind Rodriguez betreibt mit viel Action und auch ein bisschen Horror den visuellen Overkill: Da werden Kinder zu Agenten, die ihre Eltern schon sind, und retten gemeinsam eine schrecklich kunterbunte Comic-Welt, in der dann alle leben müssen. Alter spielt keine Rolle mehr. Das ist nicht die Umwertung aller Werte, bitte schön, das ist Gleichmacherei: die Entropie im Gitterbett!

Carmen (Alexa Vega, 12) und Juni (Daryl Sabara, 8) heißen die beiden ultracoolen Naseweise, deren Mission es ist, ihre nicht sehr schlauen Undercover-Eltern (Antonio Banderas und Carla Gugino) aus den Klauen eines quotenhungrigen Fernsehclowns zu befreien.

Auf dem Weg zu seiner Trutzburg gilt es: die kompliziertesten Gadgets innerhalb kürzester Zeit zu beherrschen, Finten des Gegners vorauszuahnen und dessen willigen Schergen kräftig in den Hintern zu treten. Zum Einsatz kommen ein kindgerechtes U-Boot, Elektroschock-Kaugummi und Raketenrucksäcke Marke Power Rangers. Dabei gilt die eigentliche Suche dem „dritten Gehirn“, das entfernt einem Überraschungsei ähnelt.

Natürlich ist dieses Konsolenkino ein Großangriff der Spielzeugindustrie. Die „Phantasie anregen“ soll „Spy Kids“ gewiss nicht, und in seinen miesen Momenten treibt der Film den Infantilismus von James Bond einfach nur auf die Spitze.

Auch der ewige Kleinkrieg zwischen „Popelfresser“ und „Windeltante“ ist nicht immer komisch. Aber Papa Banderas grimassiert gar zuckersüß und wehrt sich tapfer gegen den Makel, kleiner als andere Väter zu sein.

Und dann ist da noch Floops Fantasyschloss im Meer, das Domizil des größenwahnsinnigen Clowns: eine surreale Spielzeugwelt frei nach Antoni Gaudi oder Hundertwasser, ohne rechte Winkel, dafür mit Puzzlefenstern, bösen Fallen und Holodeck. Wenn es das demnächst bei Playmobil geben sollte, ist es gekauft.

Wäre die ganze Sache nicht so rasend geschnitten wäre, könnte man auch erkennen, dass Alan Cumming als Floop-Peter-Pan-Krusty eine herrlich kindische Performance abliefert. Hyperaktiv wie der ganze Film ist, gebietet Cumming über eine Armee laufender Daumen und mutierter Agenten, die bis an ihr Lebensende in seiner Show auftreten müssen. Dabei bleibt er als einziger Kind und will doch nur das Gute: eine Sendung, die Kinder gerne sehen.

Die müsste allerdings anders aussehen als dieser Film. Der ist zwar spürbar das Baby von Rodriguez, der ja schon in seinem Part des Episodenfilms „Four Rooms“ („The Misbehavers“) eine eigentümliche Liebe zum Kind gezeigt hat. Doch er ist eben auch kommerziell, kalkuliert und selbst für Erwachsenenmaßstäbe überladen. Und das in Bild, Bewegung und Bedeutung gleichermaßen.

Warum muss man eigentlich an Disney denken und es ungeheuer subversiv finden, wenn einem Heer maschinisierter Roboterkids ein kleines Fremdhirn implantiert wird?

Aber vielleicht täuscht man sich ja auch in der Aufnahmefähigkeit der Kleinen. Die Spy Kids bleiben jedenfalls, im Gegensatz zu ihren Eltern, einfach „cool“.

Was bleibt ihnen übrig? Wenn das schmale Zuschauersegment zwischen „König der Löwen“ und Schwarzenegger diesen Film heil übersteht, darf Rodriguez sein Vampirmassaker „From Dusk Til Dawn“ demnächst im Kindergarten aufführen.

„Spy Kids“. Regie und Buch: Robert Rodriguez. Mit Antonio Banderas, Carla Gugino, Alexa Vega, Daryl Sabara, Alan Cumming. USA 2001, 90 Minuten