filme gegen den schill-effekt
: Einsichten in den Knastalltag: Neue Dokfilme in Poel

Menschen, nicht Sprüche

Die Sendetermine sind für Anfang Januar vorgesehen. Aber wollen die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten das wirklich senden? Denn die Knastfilme, die in den vergangenen Tagen in der achten Dokfilmwerkstatt („Drehort OstWestDeutschland“) auf der Insel Poel im Westen Mecklenburgs zu sehen waren, scheinen zunächst Wasser auf die Mühlen eines Populisten wie Ronald Schill zu sein. Sein Ziel: im Strafvollzug die volle Härte. Weshalb ihm Wähler in Hamburg kürzlich einen Stimmenanteil von 20 Prozent geschenkt haben. Und weshalb in Sachsen-Anhalt, wo im Frühjahr Wahlen anliegen, gerade ein neuer Landesverband entsteht.

Die Filme in Poel zeigten dagegen all das, was Schill abzuschaffen gedenkt: In der Jugendstrafanstalt Ichtershausen bei Erfurt holen sich die Jungs per Kontaktanzeige ein Mädchen ins Gefängniskino, um dort sowohl einen Kurzfilm zu drehen als auch ihren Star anzumachen. Rolf Teigler beobachtet in „Outlaws“, wie sich daraus eine Romanze entspinnt. Und in „Gotteszell“, dem einzigen Frauengefängnis Baden-Württembergs, hatte Helga Reidemeister anderthalb Jahre Zeit herauszuarbeiten, dass die Gefangenen vor der Tat Opfer waren (Frauen, missbraucht), „und die müssen sich eigentlich nur vorwerfen lassen, dass sie viel zu lange ertragen haben, bevor sie wirklich mal gesagt haben: ‚So, und jetzt nicht mehr‘ “. Bachs wohltemperiertes Gefühlsklavier appelliert an unser Gemüt, wenn die Anstaltspsychologin bezweifelt, „dass die Guten draußen und die Bösen drinnen sind“.

Wenn das der Schill wüsste. Aber sollte man diese Bilder deswegen vor ihm und seiner Wählerschaft verbergen? Es wäre die falsche Entscheidung. Denn die Meinung, im deutschen Knast ginge es zu weich und lasch zu, greift ja grade deswegen um sich, weil es an konkreten Anblicken und Einsichten fehlt. Schill operiert so erfolgreich, weil jeder sich seine Klischeevorstellungen macht. Bislang hat die liberale Öffentlichkeit auf den Populisten reagiert, indem sie sich über ihn und seine Sprüche entrüstet hat. Das bestätigt aber nur jene, die meinen, „der sagt, was ich denke“. Die Knastfilme von Poel, die in der Vor-Schill-Zeit gedreht wurden, könnten jetzt zu einer Bildoffensive taugen: Beide Filme haben den Vorzug, daß sie sich auf Personen und Biografien konzentrieren. Und Lebensläufe interessieren bekanntlich mehr als die üblichen Dokumentationen mit Off-Belehrungen. Menschen statt (Schill-)Sprüche!

Menschlich war es auch, wie Gabriele Kotte die Dokfilmwerkstatt geleitet hat – was ungenau klingen mag, aber herzlich gemeint ist, weil auf der Insel alle mit einander ins Gespräch – und auch ins Streiten – kamen. Okay, okay, ich will jetzt nicht in einen dieser Festivalberichte einmünden, aber doch mal gesagt haben, wie ich meinen Spaß dran hatte, eigene Meinungen und Klischeevorstellungen revidieren zu können – wenn Filme sich auf Leute konzentrieren und ihnen bei dem, was sie tun, auf die Finger gucken. Wussten Sie, dass das Zusammenpuzzeln zerrissener Stasiakten ein schönes neues Handwerk ist? Den „Lehrfilm über die Rekonstruktion von Stasiakten“ ansehen und seine Freude haben! Kein Wort stört den Genuss! Oder wie wär’s damit, dass es für den Genossen Honecker in Ordnung war, unter dem Label Familienzusammenführung einen DDR-Bürger zu seinem schwulen Freund in die BRD ausreisen zu lassen? Der herzergreifende Film „Herr Schmidt und Herr Friedrich“ war das Highlight in Poel.

Ich bleibe dabei: Dem kalten Knastkrieger Schill kommt man bei, wenn man sein Gespinne durchs Nadelöhr zieht, wobei es sich bei einem Filmfest selbstverständlich um den Projektionsstrahl handelt. „Der Vorführeffekt“, das grandios-autobiografische Finale von Carsten Knoop ist der Beweis.

DIETRICH KUHLBRODT