L. A.-Kolchosen

Mit „Bread and Roses“ hat Ken Loach zum ersten Mal einen Film über Arbeiter gedreht, der außerhalb des Mutterlands des Klassenkampfs spielt – und operiert auf sichtbar dünnem Eis

Malerische Streikswie aus dem russischen Kino der Zwanzigerjahre

von ANDREAS BUSCHE

Für die Selbstgefälligkeit eines Festivalbetriebs der Größenordnung von Cannes ist die Anwesenheit eines Filmemachers wie Ken Loach ein Störfaktor der kalkulierbaren Sorte. Für Loach wiederum sind solche Einladungen immer ein willkommener Anlass für einige kritische Worte im Angesicht der Weltöffentlichkeit. Dahingehend war seine letztjährige Cannes-Pressekonferenz für seinen Film „Bread and Roses“ ein honoriger Versuch, die Protokollanten von der Presse wenigstens für einige Momente aus dem letztlich banalen Tagesgeschäft zu reißen. Gleichzeitig zeigte sich in seinen ernsten Worten aber auch die wachsende Naivität seines ambitionierten Einsatzes an der Arbeiterfront. Seine scharfe Kritik an der Politik Blairs hallten in Cannes einige Tage länger nach als vermutet, auch wenn sein Film gezeigt hatte, dass sich Loach, sobald er die eigenen englischen Klassenverhältnisse verlässt, auf sehr dünnes Eis begibt.

„Bread and Roses“ ist Ken Loachs erste US-Produktion, ein gewagter Schritt in eine gänzlich andere Welt für einen Regisseur aus dem Mutterland des Klassenkampfs. Nicht nur lassen sich die Klassenverhältnisse kaum mit denen aus seinen Filmen „Mein Name ist Joe“ und „Raining Stones“ vergleichen, auch die ökonomischen Verhältnisse sind nur schwerlich übertragbar. Wenn auch die Dringlichkeit einer kritischen Reflexion der Zustände in den USA vielleicht heute sogar noch wichtiger ist als in Europa, weil speziell entlang der US-mexikanischen Grenze durch den Zustrom von Immigranten zu Beginn der 80er ein sozialer Krisenherd entstanden ist, den die englische Regierung z. B. durch ihre repressive Politik bereits im Keim erstickte.

1980 betrug der durchschnittliche Stundenlohn eines „Janitors“ (Putzkräfte, Hausmeister, Nachtwächter etc.) noch 13 Dollar. Im darauf folgenden Jahr begannen die Arbeitgeber jedoch, viele der gewerkschaftlich organisierten Arbeiter zugunsten billigerer Arbeitskräfte aus Mittelamerika aus ihren Jobs zu drängen und so die Löhne um fast die Hälfte zu drücken. Anfang der Neunzigerjahre einigten sich die Konzerne und die Angestelltengewerkschaft „Service Employees International Union“ (SEIU) vertraglich und fixierten damit Arbeitsbedingungen, unter denen die Arbeiter die gesamten Neunziger hindurch zu leiden hatten. Im vergangenen Jahr dann organisierten lateinamerikanische „Janitors“ von Los Angeles aus den landesweiten „Justice for Janitors“-Streik, der auf ein ungewöhnliches Medieninteresse stieß.

Dieser Streik liefert jetzt die Grundlage für Ken Loachs ersten amerikanischen Arbeitskampf-Film „Bread and Roses“. Die Konstellation ist einfach und prägnant: Rose holt ihre jüngere Schwester Maya mit Hilfe von Schleppern aus Mexiko nach Los Angeles und besorgt ihr einen Job in ihrer Reinigungskolonne. Sehr schnell stößt Maya sich an der Unzumutbarkeit der Verhältnisse, während Rose sich längst an das Zähnezusammenbeißen gewöhnt hat und vor allem froh ist, ihre Familie durchzukriegen. Die geografische Unbekümmertheit Loachs ist vom filmischen Standpunkt aus sein großer Vorteil. Noch nie hat man L. A. im Kino so schmucklos gesehen. Loach hat allen Respekt vor der Stadt abgelegt, in der die tatsächlichen Einkommensverhältnisse so sehr am aufpolierten Image der Traumfabrik vorbeizielen.

Nicht leugnen lässt sich allerdings, wie weit Loachs Film, so unabdingbar wichtig und sympathisch sein Beitrag auch sein mag, an der Realität des „Justice for Janitors“-Arbeiterstreiks vorbeischießt. Seine bewusste Vereinfachung der Thematik, von der er im Vorfeld immer gesprochen hat, nimmt weltfremde Züge an, wenn er den Selbstermächtigungskampf der hispanischen Arbeiter allen Ernstes in die vertrauensvollen Hände der Gewerkschaften geben will. Gerade die SEIU hatte bei den Verhandlungen vor anderthalb Jahren ein äußerst erbärmliches Bild abgegeben, so dass sich viele Arbeiter nach Vertragsabschluss fragen mussten, wer ihnen eigentlich tiefer in die Taschen greift, nachdem bereits Anfang der 90er ein Bestechungsskandal in der Chefetage das Image der SEIU stark beschädigt hatte.

Bei Loach sieht das so aus: Junger, smarter Gewerkschaftler mit hehren Absichten und gesicherter Joblage, macht Hausbesuche, um neue Mitglieder zu werben, während die Gewerkschaftsfunktionäre ihre Ärsche nach Vorschrift breitsitzen. Dass die realen Streiks von 2000 auch diversen demokratischen Politikern als Kampagnenfoto-Backdrop dienten, wird ebenso wenig thematisiert wie das taktische Anbändeln der SEIU mit den Demokraten.

Dramaturgisch gelingen Loach die Vereinfachungen dagegen ziemlich gut. Seine Neigung zur programmatischen Stereotypisierung der Figuren trat besonders immer dann etwas unschön zu Tage, wenn der Dokumentarist in ihm die Oberhand gewann. In „Bread and Roses“ schafft er mit unbekümmertem Pathos dagegen einige sehr schöne und genaue Arbeitsplatzbeschreibungen und dazu noch malerische Arbeiteraufmärsche, wie man es aus dem russischen Kino der 20er-Jahre kennt. Choreographiert sind die Massenszenen zum Teil wie „Kolchose-Musicals“.

Die Stärke des Films liegt aber vor allem in der Schilderung der Lebensbedingungen der hispanischen Immigranten. Das Verständnis, das Loach in diesen Momenten für ihre Lebenssituation aufbringt, ist keineswegs selbstverständlich. Perez, Ruben, Simona, Luis etc. sind nicht nur gesichtslose Funktionsträger in der Arbeitermasse, sondern erhalten ein persönliches Profil, das zur emotionalen Vermittlung durchaus taugt. Das Streitgespräch zwischen Rose und Maya ist die wohl beste Szene des gesamten Films, weil Loach hier nicht nur echte Anteilnahme praktiziert, sondern die Komplexität der bis in die Communities reproduzierten Machtverhältnisse anhand ganz persönlicher Erfahrungen auf den Punkt bringt. Diese Klarheit besitzt der Film leider nicht immer. Loachs Pathos entschädigt jedoch für so manche „bewusste Vereinfachung“. Welcher Filmemacher leistet sich heute schon noch so explizit eine Kritik an den Verhältnissen und plädiert dabei dermaßen emphatisch für eine Solidarität mit der Arbeiterschaft? „Bread and Roses“ ist ein großes und vor allem (wichtig!) utopisches, marxistisches Märchen. Und das ist mehr, als man heutzutage überhaupt noch erwarten darf.

„Bread and Roses“. Regie: Ken Loach. Buch: Paul Laverty. Mit Pilar Padilla, Adrien Brody, Elipida Carillo, Georg Lopez u. a. Großbritannien/Spanien/Deutschland 2000, 110 Minuten