Verfallsdatum überschritten

Das Deutsche Centrum für Photographie kann ohne Mehrmittel den Fotobestand der Berliner Museen nicht sichern

Am Anfang der Geschichte der Fotografie erzeugte die Geschwindigkeit des Mediums Misstrauen. Welchen Wert sollte ein in wenigen Sekunden entstandenes Bild haben, fragte die Konkurrenz vom langsameren Geschäft der Malerei. Doch weil sich mit Industrialisierung und Urbanisierung die Wahrnehmung selbst zu beschleunigen schien, wurde die Fotografie zur Signatur ihrer Zeit.

Auf der Strecke blieb das Langzeitgedächtnis der Bilder. „Niemand aus der Wissenschaft und von den Entwicklern in der Industrie kann Ihnen heute sagen, wie lange eine Farbfotografie eigentlich hält“, sagt Manfred Heiting, Fotograf, Sammler und Projektleiter des Deutschen Centrums für Photographie (DCP). Kein Museum verfügt über genügend Kühlräume für die großformatige neue Kunstfotografie. Forschung ist dringend notwendig. Sie sollte in Berlin vom DCP geleistet werden, an dessen Gründung die Stiftung Preußischer Kulturbesitz seit 1999 arbeitet. Nun aber hat der Stiftungsrat keine zusätzlichen Mittel für den Aufbau bewilligt.

Das Konzept basierte auf einem Bericht über die fotohistorischen Bestände der Stiftung. In zehn Museen und sechs Bibliotheken wurden über 26.000 Werke entdeckt, denen man heute ob der Handschrift ihrer Fotografen einen neuen Wert zuerkennt. Sie kamen in die ethnologischen und kunstgewerblichen Sammlungen zwischen 1870 und 1910, als Dokumentationen oder Vorlagen. Verstreut in den einzelnen Archiven bilden sie dennoch eine Art kollektives Gedächtnis vom Beginn der Moderne, vom Aufschwung der Wissenschaften und des bürgerlichen Selbstverständnisses in Berlin. Nicht zuletzt erzählen sie vom Wachsen des Weltbildes um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert.

Das beginnt bei einer Expedition in die libysche Wüste 1875 für drei Monate, an der der Fotograf Philip Remelé teilnahm. Seine Aufnahmen gehören dem Ägyptischen Museum, das auch goldtonige Ansichten von Altertümern besitzt, die heute so nicht mehr bestehen. Im Museum Europäischer Kulturen findet sich der Nachlass von Kurt H. Hartmann, der Arbeitsprozesse in der Fischerei, auf Werften und in Fabriken, Landschaften und Haustypen in fast enzyklopädischer Ausführlichkeit dokumentiert hat. Eine fotohistorisch relevante Sammlung gelangte mit dem Nachlass des Komponisten Feruccio Busoni in die Staatsbibliothek. Dort lagern auch über 1.000 Bilder, die der Fototechniker und Ethnologe Richard Neuhauss von einer Reise nach Deutsch-Neuguinea mitbrachte. Wenige dieser umfangreichen Konvolute sind bisher in eigenen Ausstellungen publiziert wie die Aufnahmen von Eugène Atget aus der Kunstbibliothek.

Die Lagerbedingungen aber sind in vielen Fällen bedenklich, die Depots nicht ausreichend belüftet, zu hell und zu trocken. Oberflächenschäden entstehen in ungeschützten Packen, und die Säure in den Bildträgern aus Karton setzt den Bildern zu. Vor dem Schwund dieses Bestands haben die Mitarbeiter der Häuser schon lange gewarnt. Ihnen fehlte Geld und Personal. Das DCP sollte Abhilfe schaffen mit neuen Forschungseinrichtungen und Werkstätten. Die sind jetzt wieder in weite Ferne gerückt.

Manfred Heiting, der sich für die Entwicklung des Konzepts engagiert hat, schreibt derweil an seinem Abschlussbericht. „Der Fotografie fehlt unter den Funktionsträgern in der Kultur in Deutschland noch immer eine Lobby“, musste er nach Absage des Stiftungsrats feststellen. Wer die Anfänge der Fotografie in Deutschland suche oder nach amerikanischen Bildern vor 1945, finde in Deutschland kaum Originale. In den Sechzigerjahren wurden wichtige Institutionen gegründet; seitdem aber habe sich sehr wenig bewegt, die Fotografie als Teil der Kulturgeschichte nicht nur zu benutzen sondern auch zu erhalten.

Wenn die Stiftung in zwei Jahren ein neues Finanzierungsabkommen mit ihren Trägern auszuhandeln beginnt, will sie sich noch einmal für das DCP stark machen. Bis dahin bleibt es ein kleines Beiboot, das bei zukünftigen Ausstellungen angewiesen ist auf das Andocken an bestehenden Museumstankern. Das könnte funktionieren, wenn das DCP zum Markenzeichen würde, das die heterogene Fotoszene aus finanzkräftigen Galerien, medienkritischen Kunstvereinen und den Bündnissen sehr junger Fotografen hinter sich bringt. KATRIN BETTINA MÜLLER