Schreibe was, sag nichts

Nun also feiert die Pop-Community ihre Familienfeste eben an der Leine: Die Uraufführung von Moritz von Uslars Theaterstück „Freunde II“ in Hannover bestand darin, dass sich Gleichgesinnte auf der Bühne trafen und Spaß hatten

Das Hannoveraner Staatsschauspiel ist eines der erfolgreichsten Theater der letzten Saison. Es wirkte daher wie eine Strafe für den Erfolg, als der niedersächsische Kulturminister Thomas Oppermann eine Reduzierung der Landeszuschüsse für die Staatstheater von 5 Millionen ankündigte. Immerhin und, wie es einen zu sagen drängt, auch zum Glück: Er hat das vor ein paar Tagen zum größten Teil wieder zurückgenommen. Der Intendant des Staatsschauspiels, Wilfried Schulz, kann also entspannter auf den Start seiner zweiten Spielzeit zurückblicken.

Da gab es zuerst Kleists „Hermannsschlacht“ in einer gewohnt strengen Inszenierung von Thomas Bischoff. Am Tag darauf, bei der Uraufführung von Thea Dorns „Nike“, war eher auf Seiten der Regisseurin Sabine Boss eine Entdeckung zu machen. Die Uraufführung von „Pallas Athene“ wird als nette Einführung in den anarchischen Kosmos des Herrn Achterbusch im Gedächtnis bleiben.

Das hört sich alles ganz gut an. Es gibt aber auch eine schlechte Nachricht: Am Wochenende folgte jetzt die Uraufführung von Moritz von Uslars Stück „Freunde II“. Ein recht umfangreich geratenes Werk, das sich der Schauspielintendant mit der Verpflichtung des Dramaturgen Werner Feig gleich mit einkaufte. Feig war Leiter des Jungen Theaters in Göttingen und hat diese Spielstätte innerhalb kurzer Zeit zu einer Hochburg des Poptheaters gemacht. Den ersten „Freunde“-Teil gab es vergangenes Jahr in Göttingen. Da die Pop-Community ihre Familienfeste künftig in Hannover feiert, konnte man dort jetzt Zeuge werden, wie aus einem Jugendprogramm plötzlich Staatstheater wird.

Inszeniert hat Christina Paulhofer, die letzte Saison an gleicher Stelle aus Wedekinds „Franziska“ ein kleines Ereignis machte. Bei „Freunde II“ besteht das Ereignis lediglich darin, dass sich auf der Bühne Gleichgesinnte treffen und Spaß haben. Hatten wir zwar schon, aber hier läuft dies dürftige Theaterprogramm eben noch mal ab. Oliver Masucci spielt den Popstar Gaius als angeknabberten Zyniker. Gaius steht auf Jagger, noch mehr allerdings auf Presley. Also kehrt er nach der Tournee heim in sein Graceland, das „Lovepain“ heißt und das man sich als glitzernd-schwüles Las-Vegas-Barock vorstellen darf.

Von den 150 Seiten Text hat Paulhofer ein Drittel gestrichen. Das war dann allerdings auch schon die größte Regietat. Ansonsten neigt sie zum Vollzug und lässt Gaius sein, was er ist: eine Popsau, die rein menschlich gesehen ein armes Schwein ist. Gaius’ Daddy heißt Padre, ist ein Achtundsechziger-Weichei und in einem Alter, das sein Sohn nie erreichen will. Also verachtet er den Vater, während der so tut, als wäre er so alt wie der Sohn. Konflikte fallen aus. Dafür gibt es Koks und Zynismus im Sixpack.

Schreibtechnisch mithalten kann von Uslar gerade noch, solange er seinen Gaius und dessen in Edelredaktionen verrohten Freund Sanctus die üblichen Zynikersprüche dahersagen lässt. Dass von Uslar selbst rein gar nichts zu sagen hat, zeigt sich vehement, will er den Vater mit Text bestücken. Daddy Padre wandelt folgerichtig wie ein Zuschauer auf der Bühne. Ähnlich ergeht es der jungen Santuzza, die Gaius anhimmelt. Aus der Santutta-Maus macht Mavie Hörbiger in ihrem ersten Bühneneinsatz eine niedliche junge Schwester von Heike Makatsch. Von größerer Bedeutung ist allerdings, dass sich das Bühnengeschehen im Zuschauerraum spiegelt.

Dort sitzen noch nicht ganz dreißigjährige Mädels und wissen wie die Santuzza nicht so ganz genau, wieweit sie jetzt noch mitlachen sollen. Neben ihnen sitzen nicht mehr ganz fünfzigjährige Ehepaare und verspüren wie der Padre-Daddy den unwiderstehlichen Drang, einfach nur dazugehören zu wollen. Das alles verläuft, obwohl Gaius mal kurz ein gegrilltes Ferkel rammelt, überaus friedlich ab. Die Hannoveraner dürfen sich also wohl weiterhin auf Pop unter Einhaltung der beiden wichtigsten Grundregeln freuen: Schreibe was, sage nichts; sei zynisch und deute an, dass genau hier das Problem liegen könnte.

JÜRGEN BERGER