Jagen in Nevada

In Sean Penns Dürrenmatt-Verfilmung „Das Versprechen“ wird der Mythos der Gerechtigkeit entzaubert. In den Hauptrollen: der Zufall und ein leicht verfetteter Jack Nicholson als kettenrauchender Exkriminalkommissar

Gerechtigkeit ist ein Gut, das es nicht gibt auf dieser Welt, auch nicht durch einen gerechten Krieg. Gerechtigkeit ist ein Mythos, den es zu entzaubern gilt, und der Rest ist Zufall.

An dieses Gebot hielt sich Friedrich Dürrenmatt sehr streng, als er Anfang der Fünfzigerjahre begann, Kriminalromane zu schreiben. Seinen Roman „Das Versprechen“, ursprünglich eine Drehbuch-Auftragsarbeit für den Film „Es geschah am hellichten Tag“ mit Heinz Rühmann und Gert Fröbe, untertitelte er gar mit „Requiem auf den Kriminalroman“ – am Ende ließ sich für Leser und Kinozuschauer gleichermaßen nicht mehr genau feststellen, ob aus dem Jäger nicht auch ein Täter geworden war, ob der gescheiterte Kämpfer für die Gerechtigkeit nicht selbst auch Opfer geworden war.

Es dürfte diese zeitlose Konstellation gewesen sein, die Sean Penn reizte, einen Film nach diesem Dürrenmatt-Stoff zu drehen. Sein leicht verfettetes, gerade pensioniertes Zentrum ist Jack Nicholson als Detective Jerry Black, der an seinem letzten Arbeitstag noch eher aus Interesse als aus einer letzten Pflichterfüllung heraus in einen Fall hineingerät.

Es geht um die Ermordung eines kleinen Mädchens. Da keiner seiner Kollegen dazu bereit ist, überbringt er den entsetzten Eltern die Todesnachricht und verspricht, „bei meinem Seelenheil Jennys Mörder zu finden“. Black beobachtet, wie der Indianer Toby Jay Wadenah (Benicio Del Toro) von seinen Kollegen zu einem Geständnis gezwungen wird und sich daraufhin erschießt; der Fall gilt als abgeschlossen, doch der alte Spürhund fängt an ihn wieder aufzurollen, aus Ehrgefühl, Gerechtigkeitsempfinden oder vielleicht auch einfach Angst vor der Langeweile.

Manchmal hat man in Penns Film den Eindruck, sich einen Werbefilm des Staates Nevada anzuschauen: lange, sonnendurchflutete Einstellungen von Bergen, Seen und Vögeln, Black beim Angeln, Black beim Wandern, Black beim Leben auf dem Land, dazu sentimentale Folksongs.

Doch quer zu dieser ländlichen Idylle entsteht ein latent mitschwingender Suspense-Effekt. Während sich Black wie ein braver Rentner in seinem neuen Zuhause in den Bergen einrichtet und eine alte Tankstelle übernimmt, während er die vom Leben nicht gerade verwöhnte Kellnerin Lori (Robin Wright Penn) und deren achtjährige Tochter Chrissy kennen lernt, wird dem Zuschauer umso bewusster, dass hinter den sentimentalen Bildern dieser neu entstehenden Familie doch an jeder Ecke der Schrecken in Form eines Kindermörders lauert.

Vor allem aber beschert uns diese leicht behäbige Langsamkeit das Vergnügen, Jack Nicholson zuzuschauen, wie er sich als kettenrauchender, dem Alkohol nicht abgeneigter, ewiger Kriminaler durch sein Innerstes kämpft und sich irgendwann selbst nicht mehr einzuschätzen weiß: Ist er schon besessen davon, den Mörder zu finden? Überschreitet er dabei schon die Grenzen des Erlaubten? Jagt er ein Phantom? Oder wehrt er sich doch nur gegen die verhasste Pensionierung?

Und da sich von Nicholsons wunderbar feister Fresse keine Antwort ablesen lässt, ist es der Zufall, der in dieser Geschichte schließlich seinen großen Auftritt hat. Er ist es, wie Dürrenmatts Kommissar Bärlach schon wusste, „der in alles hineinspielt“, er ist der Grund, „der die meisten Verbrechen zwangsläufig zutage fördern müsse“. Auch wenn dabei fast alle Fragen offen bleiben. GERRIT BARTELS

„Das Versprechen“. Regie: Sean Penn, Darsteller: Jack Nicholson, Robin Wright Penn u. a., USA 2001, 125 Min.