En France aussi

Der Bürgermeister von Paris besucht seinen Berliner Kollegen Klaus Wowereit. Und findet nur Vertrautes

Einst lag Paris fern von Berlin. Der französische Journalist Victor Tissot, der Berlin in den 1870er-Jahren bereiste, beschrieb Deutschland als Gegenpol zur französischen Bürgernation. Nicht einmal die Staatsfeinde seien einander ähnlich: „Die französischen Sozialisten proklamieren die freie Liebe, während die deutschen Sozialisten die Ehe respektieren und die Pflichten, die sie auferlegt, begreifen.“

Nun, tempi passati bzw. temps perdus. Längst sind die Enkel der Staatsfeinde zu Staatsmännern geworden. Oder wenigstens zu Bürgermeistern. Gestern besuchte Bertrand Delanoë, Paris, seinen Kollegen Klaus Wowereit. Alles in Berlin schien ihm vertraut, wie Monsieur Delanoë bei einem Frühstück im Hilton Hotel durchblicken ließ. Den „Maîre“ wie den Regierenden treiben die gleichen Probleme um: Zu viele Autos in der Innenstadt. Zu wenig Mitsprache für ihre Städte in der EU.

Und in der Tat: Der Gleichschritt der gesellschaftlichen Entwicklung in Frankreich und Deutschland wirkt beinahe beängstigend, betrachtet man ihn an den Beispielen Delanoë und Wowereit: Beide sind 1972 in ihre sozialdemokratischen Parteien eingetreten, beide haben jahrelang unspektakulär in der Kommunalpolitik gewirkt, beide haben ihre Städte aus konservativer Vorherrschaft befreit, beide paktieren mit ehemals kommunistischen Parteien. Und beide haben ihren Wahlkampf mit einem spektakulären Selbst-Outing begonnen. Verkündete Wowereit seine Homosexualität auf einem Parteitag, so wandte sich Delanoë in gleicher Angelegenheit über das Fernsehen an die Öffentlichkeit. „Schwul – und das ist gut so“, hieß es bei Wowereit. „Natürlich bin ich homosexuell“ bei Delanoë.

Was er von einem „bürgerlichen“ Koalitionspartner halte, wird Delanoë unter Verwendung des Wortes „bourgeois“ gefragt. Da lacht der gut gekleidete, Zigarillo rauchende Sozialist und antwortet: „Plus bourgeois que moi?“ Sozialist, Großbürger, Deutscher und Franzose – alles ununterscheidbar globalisiert. Da fallen politische Entscheidungen wie von selbst: „Ich persönlich bin für moderne Architektur, aber wenn sich ein Investor findet, der partout eine historische Fassade will, soll das daran nicht scheitern“, bekennt Wowereit ehrlich beim Frühstückskaffee in Sachen Stadtschloss. Victor Tissot entdeckte schon 1875 geradezu prophetisch im noch lange nicht gesprengten Schlosse den späteren DDR-Bau: „Dieses Gebäude, das sich weder durch seine Architektur noch durch irgendwelche sonstigen Merkmale von den anderen Gebäuden unterscheidet und wie ein Soldat ordentlich in der Häuserreihe ausgerichtet steht – dieses Haus ist in den Augen der Berliner ein wahrer Palast.“

ROBIN ALEXANDER