Selbsthass in Suburbia

Ein sehr smarter Film über das Erwachsenwerden: Terry Zwighoffs „Ghost World“ nach dem Comic von Daniel Clowes

Adoleszenz ist eine Geisterwelt und die amerikanische Suburbia ist die adäquate Kulisse für die Verwehungen in diesem Stadium der Selbstfindung. Teenager sind brutal, das weiß man. Aber Daniel Clowes lieferte Ende der 80er mit seinem Underground-Comic „Ghost World“ ein paar handfeste Gründe für diesen Extremismus. Denn ab einem gewissen Zeitpunkt zerfällt die Welt des Teenagers naturgemäß in ein Kaleidoskop aus redundanten Stilfragen, dem ohnmächtigen Gefühl der Kapitulation vor der Ignoranz der „Anderen“ und ernsthaften Sorgen über erste sich abzeichnende biografische Brüche.

Als Clowes sein „Ghost World“ schrieb, stand einer der Grundpfeiler von Distinktion noch sehr fest: das „Wissen“. Heute ist das anders. Der Begriff „Underground“ ist ein Relikt der frühen 90er, und eine Menge Idioten verfügen über dieselben Distinktionsmethoden. Das klingt banal. Aber man glaubt nicht, wie hart einem das in jungen Jahren zusetzen kann. Der Comic „Ghost World“ befand sich an der Schwelle dieses Epochenwechsels; als diese Diversifikationsmodi in der Popkultur gerade einzusetzen begannen, die uns heute genau die medial erfassbaren Klugscheißer beschert haben, die Enid und Rebecca bei Clowes in ihrer jugendlichen Arroganz attackieren.

Der Film „Ghost World“ hat diese Teenager-Problematik clevererweise hinter sich gelassen, weil „Pop“ heute kein Phänomen mehr ist, an dem man sich noch ernsthaft aufreiben kann. Die emotionalen und sozialen Defizite wiegen schwerer. Zwigoffs „Ghost World“ ist der smarteste Film über das Erwachsenwerden seit „Willkommen im Tollhaus“.

Der Schriftzug „Ghost World“ prangt an den Häuserwänden von Enids und Rebeccas namenloser Suburbia wie ein mahnendes Ortsschild und erinnert an den Showdown von „Fremder ohne Namen“, als Eastwood am Ortseingang seines ganz persönlichen Hades’ sein Willkommensschild aufstellt: „Hell“. Die „Ghost World“ wirkt befremdlich, zeitversetzt, kulturlos, und sie ist eine Welt, in der menschliche Geisterwesen als Schatten ihrer selbst ein vermeintlich kleines Glück jagen, das sich bestenfalls in genau dieser Suburbia-Symmetrie vervollkommnen lässt. Dagegen setzen Enid und Rebecca ihr jugendliches Vernichtungspotenzial. Die beiden Mädchen streifen durch einen Nicht-Ort der Verrohung, auf der Suche nach etwas Verständnis und „Wahrhaftigkeit“. Dieses jugendliche Pathos ist herzergreifend, gleichzeitig aber wächst ihre Feindseligkeit gegenüber den „Anderen“. Einmal wirft Rebecca Enid Selbsthass vor. Später wird auch sie sich für die Suburbia-Reihenhaus-Symmetrie entscheiden. Aber weder Zwigoff noch Clowes, die zusammen am Drehbuch gearbeitet haben, machen ihr das zum Vorwurf.

Die Parallelen zu Zwigoffs erstem Film „Crumb“, einem Porträt des Comic-Zeichners Robert Crumb, sind unübersehbar, genauso wie auch Clowes von Crumb inspiriert wurde. Crumbs kleiner, perverser Sozialrealismus hatte in den 60ern ein Panoptikum an amerikanischen Soziopathen geschaffen, an denen die Überformungen der amerikanischen Seele auch physisch zu Tage traten. In „Ghost World“ taucht Crumb sogar selbst auf: Aus diversen Figuren im Comic haben Zwigoff und Clowes den Blues- und Jazz-Plattensammler Seymour entwickelt, gespielt von Steve Buscemi, dessen nervös-bucklige Crumbhaftigkeit inzwischen zum Markenzeichen geworden ist. Mit Seymour bricht Zwigoff noch einmal eine Lanze für die Spezies des hoffnungslosen Freaks, der sich hinter all seinem Spezialwissen versteckt. Für Enid, die ihre verzweifelten Distinktionsrituale mit grellen Postpunk- und Gothgirlie-Outfits praktiziert, hat er damit das Zeug zum heimlichen Verbündeten. Die Welt der sozialen Exilanten, den „Nerds“, „Dorks“ und „Geeks“, funktioniert über Abgrenzung. Dieses Biotop pflegt Zwigoff mit großer Hingabe. In der „Ghost World“ sitzt ein alter Mann täglich an einer Bushaltestelle, die längst stillgelegt wurde, um zu seiner Frau zu fahren, die vor Jahren gestorben ist. Enid meint, dieser Mann wäre der einzige Mensch in der „Ghost World“, den sie wirklich verstehen würde.

Am Ende des Films hält der Bus tatsächlich. Zwigoff hat inmitten der feindlichen Welt einen utopischen Rückzugsort geschaffen. ANDREAS BUSCHE

„Ghost World“, Regie: Terry Zwighoff, Buch: Daniel Clowes, Terry Zwighoff. Mit Steve Buscemi, Thora Birch, Brad Renfro u. a., USA 2000, 112 Min