Undenkbarkeit konstruieren

Sprachen gegen Burschi-Smartness: Der argentinische Politologe Ernesto Laclau redet heute auf der Berliner Plattform der documenta über die Handlungsfähigkeit von „radikaldemokratischer“ Politik

von JAN ENGELMANN

Nicht nur die Theoriearbeit selbst, auch ihre Resonanz unterliegt bestimmten Konjunkturen. Kaum ein Autor hat dies in den letzten Jahren so deutlich gemacht wie Ernesto Laclau, gebürtiger Argentinier und Wahlbrite, der an der Universität Essex als Politologe lehrt. Sein zusammen mit der intellektuellen Weggefährtin Chantal Mouffe unternommener Versuch, einen „Postmarxismus ohne Rechtfertigungen“ zu begründen, fiel in den Achtzigerjahren auf fruchtbaren Boden. Ihr inzwischen zum Klassiker avanciertes Buch „Hegemony and Socialist Strategy: Towards a Radical Democratic Politics“ (1985) benannte die Grenzen des Marxismus und skizzierte mit einem poststrukturalistisch gewendeten Gramsci ein Update linker Gesellschaftstheorie. Es war bekanntlich die Zeit der neuen sozialen Bewegungen und einer zerfransenden Issue-Politik, die ein Neudenken sozialer Akteure dringend erforderlich machte.

In den postmodernen Neunzigerjahren zeigte sich dieser Bedarf noch deutlicher. In Frage stand, ob nicht doch ein Mindestmaß an allgemeiner Geschäftsgrundlage vorhanden sein müsste, um eine „Politik der Differenz“ praxistauglich und durchsetzungsfähig zu machen. Der altlinke Intellektuelle Terry Eagleton sprach 1999 in der taz von dem Dilemma, „dass wir universalistische Konzepte brauchen“.

Vor diesem Hintergrund lässt sich Laclaus Entwurf politischer Emanzipation als ein Vorschlag verstehen, wie trotz der Verabschiedung eherner Gewissheiten ein Rest von Handlungsfähigkeit bewahrt werden könnte. Zwar akzeptiert er die subjektphilosophische Einsicht, dass Identitäten, Diskurse und die darin enthaltenen Geltungsansprüche äußerst vielfältig sind, spricht innerhalb dieses Bezugsgeflechts aber einzelnen von ihnen jederzeit die Möglichkeit zu, hegemonial zu werden. Laclau nennt dies die „zwei Seiten einer einzigen Operation“. Die Hegemonie soll als eine Art Theorie der Entscheidung einen wichtigen Eingriff in das „Feld strukturaler Unentscheidbarkeiten“ vornehmen.

So abstrakt-formalistisch eine solche Argumentation auf den ersten Blick erscheint, so deutlich hat sich ihr Erklärungswert für politische Auseinandersetzungen offenbart. Anlässlich der Regierungsbeteiligung der FPÖ in Österreich konnte wie aus dem Lehrbuch beobachtet werden, wie eine populistische Strategie, die sich in rebellischer Attitüde auf „Widerstand“ berief, hegemonial wurde. Laclau hatte dies schon beim Peronismus in seinem Heimatland beobachtet, der die sozialen Widersprüche ähnlich neu artikuliert hatte.

In Österreich figurierte demokratische „Freiheit“ nun als „freiheitliche“, minderheitenfeindliche Burschi-Smartness. Ein „leerer Signifikant“ (Laclau) wurde also mit einem besonderen Inhalt gefüllt, um eine imaginäre Einheit des Gemeinwesens zu stiften. Tatsächlich war dies nur einen kurzen historischen Moment lang möglich, denn die vielen Wiener Künstler und poplinken Gruppierungen beschworen im Frühjahr 2000 ein abweichendes Bild von wehrhafter Demokratie und überzogen die Stadt mit ihren Aktionen und infectious grooves.

Diese und andere Formen politischer Performativität setzen für Laclau ganz richtig auf die konstitutive Unabgeschlossenheit des demokratischen „Horizonts“. Der permanente Streit um die Bedeutung universeller Als-ob-Begriffe wie „Demokratie“ bedeutet für sich schon das Politische, das nur noch ohne Garantien zu haben ist. Es geht Laclau somit um eine „Konstruktion des Undenkbaren“, bei der bestimmte Akteure und Bedeutungsträger fragile Koalitionen und Machtspiele eingehen.

Allein, das alte Dilemma bleibt: „Die Hauptaufgabe der Linken, so wie ich die Dinge heute sehe, besteht darin, Sprachen zu entwickeln, welche ein universalistisches Element für die Schaffung solcher Verknüpfungen bereitstellen“, schreibt Laclau im zusammen mit Judith Butler und Slavoj Zizek verfassten Theorieschmöker „Contingency, Hegemony, Universality. Contemporary Dialogues on the Left“ (2000).

Wenn Ernesto Laclau heute abend im Rahmen der documenta-Plattform „Democracy Unrealized“ im Berliner Haus der Kulturen zu diesem Themenkomplex spricht, wird er allerdings näher begründen müssen, wie eine „kontingente Universalität“, die ständiger Neuaushandlung und entsprechender Repräsentationsverhältnisse bedarf, angesichts der aktuellen Situation zu denken wäre. Während die US-Hegemonie kriegerisch zerstört bzw. gefestigt werden soll, scheint niemand auf eine Versöhnung von Dekonstruktion und politischer Praxis zu setzen. Stattdessen wird wieder vorbehaltlos über „Wahrheit“, „Gerechtigkeit“ und „Grundwerte“ geredet, als hätte es die letzten zwanzig Jahre der Philosophiegeschichte nicht gegeben. Die Konjunktur für Theoretiker ist so gesehen äußerst ungünstig. Aber vielleicht ist Laclau ja doch der richtige Mann zur Unzeit.