„Es gibt keine Rachegefühle“

Die buddhistische Stadt: Laurie Anderson über die Stimmung in New York seit dem Anschlag, Pläne für ein Denkmal aus Licht, die verdummende Wirkung der TV-Bilder und ihr Verhältnis zur Technik

Interview DANIEL BAX

taz: Frau Anderson, Ihr Werdegang als Performance-Künstlerin ist eng mit New York verbunden. Auch auf Ihrem neuen Album „Life on a String“ kreisen viele der Geschichten um die Stadt. Was war Ihr Ansatz?

Sie gründen auf Beobachtungen, die ich beim Umherstreifen durch New York gemacht habe. Das hatte einen konkreten Hintergrund: Ich hatte den Auftrag, für die Encyclopaedia Britannica das Kapitel über New York City zu schreiben. Ich habe dabei auch viel über das World Trade Center geschrieben, denn ich mochte dieses Gebäude sehr – was ja nicht allen so ging. Ein Aspekt, dem ich bei meinen Recherchen nachgegangen bin, war übrigens die Frage, wie weit es wohl fallen würde, wenn es einstürzt.

Das haben Sie geschrieben?

Ja, tatsächlich. Deswegen haben mich die Herausgeber nach dem Anschlag natürlich sofort angerufen. Sie wollen die ursprüngliche Version beibehalten. Aber sie wollen einen zusätzlichen Absatz über die Situation nach dem Anschlag hinzufügen.

Es werden ja jetzt viele Vorschläge gemacht, was einmal an die Stelle der Twin Towers kommen soll. Manche sind der Meinung, man sollte sie wieder errichten, so wie sie waren – aber leer stehen lassen, als Denkmäler. Ein anderer Vorschlag, der mir gut gefällt, lautet, diese Türme aus Licht zu bauen.

Glauben Sie, dass diese Idee realisiert wird?

Ja, ich denke schon.

Auf den Entwürfen sieht das ziemlich geisterhaft aus, ein bisschen unheimlich . . .

Ja, das stimmt. Aber es zeugt vor Respekt vor diesem Ort. Und dort schwirren nun viele Geister umher. Viele New Yorker pilgern derzeit zum Ort der Katastrophe, um ihn mit eigenen Augen zu sehen, und das ist auch gut so.

Denn die TV-Bilder wirken verdummend: Sie vermitteln kein angemessenes Bild über das Ausmaß der Zerstörung. Es ist so riesig, und es brennt immer noch: Jedes Mal, wenn man ein großes Trümmerteil bewegt, dringt Sauerstoff nach unten, und entfacht ein neues Feuer.

Wo haben Sie den 11. September erlebt?

In Chicago . . .

Also haben Sie den Anschlag auch nur im TV gesehen?

Ja, und das ist etwas völlig anderes. Ein paar Tage später kam ich zurück nach New York. Aber ich denke, die Sache hat auch ihre positiven Seiten.

Was meinen Sie damit?

Der Dalai Lama hat einmal gesagt, dass deine schlimmsten Feinde deine besten Freunde sind: weil sie dich etwas lehren. Das hat mir geholfen, die Sache zu verstehen. Denn es war so ein seltsamer Schock.

Es lässt einen unglaubliche Trauer verspüren. Es lehrt einen, die Kostbarkeit jeden Lebens zu schätzen. Es trägt dir die Verantwortung auf, zu verstehen, was da wirklich passiert ist, sich eine eigene Meinung zu bilden und sich entsprechend zu verhalten. Und es bringt dir eine große Sympathie bei für diejenigen, die so verrückt waren, das zu tun.

Ist Sympathie der richtige Ausdruck?

Ich denke schon. Sie wären überrascht, aber in New York herrschen keine Rachegefühle vor, überhaupt nicht. Ich weiß, nach den Maßstäben der Pop-Psychologie sollte das die erwartbare Reaktion sein. Aber selbst Leute, die ihre Freunde und Angehörigen verloren haben, sagen: Sie verspüren kein Rachegefühl. Denn wenn man so etwas mit eigenen Augen sieht, dann hofft man nur, dass es niemals wieder passieren möge – niemandem, niemals, nicht einmal dem schlimmsten Feind.

Das lässt eine Menge Gruppen und Aktivitäten wieder auferstehen, die lange von der Bildfläche verschwunden waren. Ich denke, dass viele Menschen jetzt Fragen stellen. Weil es nicht so offensichtlich ist, was jetzt zu tun ist. Es ist nur offensichtlich, das bestimmte Dinge falsch sind.

Das klingt, als sei New York eine buddhistische Stadt in einem christlichen Land?

Nun, ich denke, New York ist schon seit 50 Jahren kein richtiger Teil der USA mehr. Ich kann natürlich nicht für alle sprechen. Aber wenn ich eine Aussage treffen wollte, dann die, dass es dort eine gewisse Art Sanftmut gibt, die bemerkenswert ist. Dass Leute nun die US-Fahne aus dem Fenster hängen, lässt sich leicht missinterpretieren. Aber es hat nichts zu tun mit dem üblichen patriotischen Flaggenschwingen, es hat nicht diesen aggressiven Charakter: Ich denke, es ist eher eine Art, um der Menschen zu gedenken, die gestorben sind.

Was denken Sie über den Angriff der USA auf Afghanistan?

Ich bin definitiv dafür, Ussama Bin Laden und seine Gruppe zu finden und einen Weg zu suchen, um ihn vor ein internationales Gericht zu bringen. Denn es war ein Verbrechen, kein Krieg. Und in den USA wollen die meisten Menschen nicht, dass es einen Krieg gibt.

Es scheint aber einen Krieg zu geben. Und schaut man sich CNN an, so zeigt sich dort ein uniformer Patriotismus, oder?

Die Medien machen mir wirklich Angst. Aber ich denke, dass viele Menschen derzeit darüber nachdenken, woher sie ihre Informationen beziehen. Darum müssen wir in Zukunft mehr für alternative Medien tun. Denn es ist wichtig, nicht nur Mainstreammedien zu haben.

Sie werden es nicht glauben, aber: Ich habe große Probleme mit Technik und Medien.

Trotzdem haben Sie als Künstlerin viel damit gearbeitet.

Das stimmt. Aber ich bete die Technik nicht an, das ist ein großer Unterschied. Viele Leute fragen mich jetzt, wie ich mich fühle, wenn ich sehe, wohin uns unsere Technologie gebracht hat. Das ist so deprimierend, denn das hat doch überhaupt nichts mit dem zu tun, was ich bisher getan habe. Als wäre ich bislang auf einer Handelsmesse aufgetreten und hätte Produkte vorgeführt, so nach dem Motto: „Darf ich Ihnen dieses fantastische, schnelle – und leider etwas teure – Stück Equipment präsentieren?“ Das würde doch kein Künstler von sich behaupten: dass es ihm nur darum geht, seinen Gerätepark vorzuführen.

Hat sich Ihr Umgang mit der Technik verändert?

Ich habe allmählich genug davon, vorm Bildschirm zu sitzen: Es raubt einem den Spaß, denn es nimmt das Physische weg. Für mich ist es deshalb wichtiger geworden, einfach nur die Geige zu spielen. Und das Nächste, was ich machen werde, wird fast ohne technischen Hilfsmittel auskommen. Nur Geschichten, vielleicht noch nicht mal Musik. Etwas sehr, sehr Simples.