Bereitschaftsdienst der Sinne

Fuck Art: Eine Tagung der Arbeitsgruppe „Kultur und Strategie“ untersucht das Barbarentum als Merkmal künstlerischer Praxis – und den Barbaren als Sleeper unserer Kulturversessenheit

von JAN ENGELMANN

Wenn Bilder treffsicher auf ihr Außen verweisen, indem sie die Erregungskurven der Gesellschaft abbilden und das größtenteils uneingestandene Begehren nach Gewalt und Auslöschung dingfest machen, ja dann – werden auch sie gefährlich. Gregory Green, ein New Yorker Aktionskünstler, entschied sich für einen ziemlich schmalen Grat, als er vor Jahren begann, aus vorgefundenem Material kleine Brandsätze zu basteln. Später hängte er die vollständige Anleitung zum Bau einer Atombombe an öffentlichen Plätzen aus. Dieses Spiel mit dem terroristischen Einfall in das zivilgesellschaftliche Idyll hat seit dem 11. September jedoch deutlich an Attraktivität verloren. Green belegte sich dabei ebenso mit einem freiwilligen Berufsverbot wie Nancy Davenport, zu deren Markenzeichen großformatige Fotografien geworden sind, auf denen Flugzeuge in langweilige Wohnsilos krachen. Derlei Provokationen sind stumpf geworden, weil die Wirklichkeit sie überboten hat.

Trotzdem muss man solcher künstlerischen Praxis im Nachhinein etwas Visionäres attestieren. Zwar sind die Topoi der Zerstörung und Gewalt so alt wie die Kunstgeschichte selbst, die ja mit Jagdszenen auf Höhlenwänden begann, aber im Zuge der Re-Lektüre unseres Bildarchivs treten nun auch hyperironische, übercodierte Kunstwerke als prophetische Aussagesysteme hervor. Eine Collage von Thomas Ruff, die den erzkonservativen US-Senator Jesse Helms und dessen Vorsatz persifliert, den Saustall der Postmoderne auszumisten, operiert exakt mit denselben Bildeinstellungen wie die gesamte visuelle Berichterstattung und Katastrophenästhetik der letzten fünf Wochen. Flugzeuge mit dem Aufdruck „Fuck Contemporary Art“ stürzen auf Hochhäuser zu; eine bereits abgespaltene Seitenwand reckt sich windschief dem Aggressor entgegen. Dieser hat neben dem Massenmord auch ein symbolisches Anliegen: Mit dem Panzer, den Helms’ schnelle Eingreiftruppe gegen die Musealisierung anstößiger Kunst in Stellung bringt, werden Gemälde einfach überrollt.

Ruffs Exponat ist genau hinter die Redner des Symposiums „Kunst + Krieg – Der Barbar als Kulturheld“, das am letzten Wochenende in der Staatsbank am Berliner Gendarmenmarkt stattfand, platziert worden. Während der Betrachter also unweigerlich eine Art Kommentarfunktion in dieser kuratierenden Auswahl vermutet, bekommt er die Bestätigung dafür prompt geliefert. Bazon Brock, Initiator der Arbeitsgruppe „Kultur und Strategie“, erklärt unter Rückgriff auf Joseph Schumpeters Theorem der „schöpferischen Zerstörung“ den Kreislauf von Destruktion und Erneuerung zum eigentlichen Movens der zeitgenössischen Kunst. Beispiele wie der Architekt Le Corbusier, der das sechste Pariser Arrondissement zerschlagen wollte, um seine urbanistischen Utopien zu realisieren, sowie der Nouveau Réalisme des Restesammlers Arman oder die Gewaltphantasmen in der Rockmusik geraten ihm unter der Hand zu Bestätigungen seiner These, wonach eine „reine Werkidee“ absoluter Mumpitz sei. Gerade die vermeintlich edle Kultur habe stets komplizenhaft am Aufkeimen von Zerstörungswut mitgearbeitet. Für den weltanschaulichen Radikalismus eines Philosophen wie Max Stirner und den visuellen Radikalismus eines Max Ernst gelte im Grunde die gleiche Maxime: „Wer Trümmer produziert, erzeugt eine überlebensfähige Einheit.“

Auch Boris Groys, der zwei Tage zuvor in der Volksbühne schon Verdachtsmomente für ein untergründiges master narrativ unseres paranoiden Zeitgeistes gesammelt hatte, wollte da nicht zurückstehen. Mit der Selbstbezeichnung als Avantgarde habe die Kunst aufgehört, bloß illustrativ zu sein. Stattdessen setzte sie sich selbst auf den Feldherrenhügel, den sie zuvor immer nur ausgemalt hatte. Sie suchte nun den Krieg zu ihren eigenen Bedingungen, im Grenzbereich zum Repräsentationsraum des großen „Anderen“, das abwechselnd „barbarisch“, „wild“ oder „primitiv“ hieß. Die „ikonoklastische Geste“, die die Avantgardekunst durchzieht, sei so gesehen innerhalb einer „Strategie der absoluten Unversöhnlichkeit“ zu verorten – ein kulturelles Peacekeeping war schon bei Nietzsche und Freud, den Vordenkern der klassischen Moderne, nicht vorgesehen.

Doch damit fangen die Probleme erst an. Indem die geerbten Differenzen aus der Vormoderne in der Repräsentation erst ausgeschlossen wurden, seien sie, so Groys, später zu virulenten Merkmalen künstlerischer Praxis geworden. Mit der Folge, dass heute „zu viel repräsentiert“ und das Archiv „überschwemmt“ werde, sodass sich viele Künstler in die Banalisierung der Unterschiede flüchteten.

Zoran Terzic, ehemaliger Brock-Schüler, versuchte in seinem Vortrag, das Gegenteil zu beweisen. Der ehemalige Vielvölkerstaat Jugoslawien sei geradezu ein Versuchslabor für ein künstlerisches Opting-out aus erpresster ethnischer Loyalität und verordneter sozialistischer Brüderlichkeit. In interessanter Weise würden dabei volkskulturelle Traditionen ironiefähig gemacht und vermittels neuester Medientechnik in eine schwankende Balance überführt.

Terzic präsentierte in diesem Zusammenhang ein Tableau von vier angewandten Strategien, um den Tauglichkeitsgrad von festen, unverrückbaren Identitäten zu mindern: erstens die Geste der Affirmation, die zum Beispiel den nationalen Opfermythos Serbiens in großen Schlachtengemälden reaktualisiert; zweitens die Geste der Negation, wo über Computer-Cleansing per Photoshop ethnische Säuberungsversuche aus dem Bild gedrängt werden; dazu ihre beiden reflexiven Varianten: eine negative Affirmation nach dem Vorbild der Neuen Slowenischen Kunst (Laibach), die eine protofaschistische Ästhetik mit kleinen Sollbruchstellen ausstattet; und schließlich die Geste der affirmativen Negation, die sich anhand hoch bezahlter Kitschporträts von nationalistischen Politikern oder Privatdenkmälern erweise. Allen diesen Strategien sei gemeinsam, dass sie die Symbole aus ihren angestammten Kontexten entlassen und eine Art „Bereitschaftsdienst der Sinne“ alarmieren.

Die eigene Aufmerksamkeit zu schulen, war nicht zuletzt auch zentrales Anliegen der Veranstaltung. Mit Svetlana Baskovas Film „The Green Elephant“ hatte man ein besonders krasses Beispiel für die In-eins-Setzung künstlerischer Performance und realer Verletzbarkeit ausgewählt: Verbale Demütigungen und Vergewaltigungsszenen in einem russischen Bunker, in Blut, Urin und Sperma getränkt, machten für den Betrachter jenen Relativismus der Auflehnungsgesten zunichte, den zum Beispiel Tracey Mofatts „gewaltsame“ Collage „The Artist“ in ihrer sequenziellen Häufung verkrachter Künstlerexistenzen aus Hollywoodfilmen behauptete.

Barbarisch also, das Ganze. Und damit für den Systemtheoretiker Dirk Baecker eine immanente Verweisstruktur auf all das, was „in Reserve gehalten“ wird, was als monströse Schrecklichkeit gleichsam unter den medialen Oberflächen schlummert, als Sleeper unserer Kulturversessenheit. „Barbar ist der historische Name für Terrorist“, so Brock kategorisch. Schlimmere Folgen als die unserer Selbstbarbarisierung seien durch Islamisten auch nicht zu erwarten, weswegen man sich schleunigst auf den militärischen Ursprung des Begriffs der „Strategie“ zurückbesinnen sollte: „Nur ein Stratege ist zivilisatorisch aufgeklärt, weil er mit dem Scheitern der eigenen Pläne rechnet.“ Probleme, die das Stigma der Unverhandelbarkeit tragen, könnten nur noch gemanagt, nicht mehr überwunden werden.

Ein Schelm, wer „Brockismus“ dabei denkt. Denn natürlich unterschlug Brock bei seiner hochgepitchten Gesamtabrechnung mit linken wie rechten Epigonen von Carl Schmitt geflissentlich, dass politische Strategien sich in dem wichtigen Punkt von anderen (künstlerischen, kriegerischen) Strategien unterscheiden, dass ihr Versuch, das Miteinander zu regeln, eine kontrafaktische Überwindung menschlicher Freund- und Feindschaften darstellt. Im Gegensatz zur juristischen Strategie, die auf „Evidenz“ vertraut, lässt Politik aber gelten, dass es eine Auseinandersetzung über die inhaltliche Bestimmung von Leitideen gibt. Der virtuelle Ort bzw. der Repräsentationsraum für diesen Streit ist die Öffentlichkeit. Und dort bedarf die Einsetzung zivilisatorischer Minimalstandards, die Brock so vehement fordert, mindestens einer kulturellen Übersetzungsleistung und Lesbarkeit, damit sie politisch wirksam werden soll.

Doch für zaghafte Einwände ist Bazon Brock sicherlich nicht der ideale Adressat. In seinem Plädoyer für ein zivilisatorisches „Containment“ epidemischer Identitätskulturen scheute er keine noch so dröhnende Apodiktik: „Die kulturelle Argumentation ist generell faschistisch.“ Zuhörer, die solche schlichten Generalisierungen nicht gelten lassen wollten, beschied er knapp: „Wer nur die Wohlstandsverwahrlosung erlebt hat, weiß nicht, wovon die Rede ist.“ Damit legte der notorische Wuppertaler Abkanzler aber genau jene Haltung an den Tag, die er zuvor so heftig attackiert hatte: Ekel an der Décadence und am Ennui der Konsumgesellschaft, der mitunter Dandy-Fundamentalismen gebiert und im Barbaren einen nützlichen Idioten vorfindet – eine vitalistische Austreibungssehnsucht according to Christian Kracht und Peter Scholl-Latour. Das Schlusspodium war sich denn auch uneinig, wie eine überzeugende existenzielle Alternative zu den realpolitischen Schnell- und den künstlerischen Salutschüssen zu formulieren wäre. „Ehre“ sei als kulturelles Regulationsprinzip zwar schon seit Jahrhunderten im weltweiten Gebrauch, wie der Philosoph Heiner Mühlmann anmerkte, tauge bei aufgeklärten Europäern aber nur bedingt dazu, fundamentalistische Übel abzuwehren.

Der Kölner Historiker Ulrich Heinen gab hübsch verschwörungstheorisch zu bedenken, dass vielleicht der Troja-Mythos und damit die Perspektive des Unterlegenen für Europa prägend gewesen sei. Er selbst habe kürzlich seine eigene Wehrdienstverweigerung „als symbolischen Akt“ nachträglich zurückgezogen, wisse aber trotzdem immer noch nicht, was Kamikazekrieger letztlich zur physischen Selbstaufgabe und Opferbereitschaft motiviere. Geradezu sokratisch gewitzt war die Strategie, die der Spaßkulturexperte Rainer Gabriel für den „lachhaften Ernstfall“ vorbrachte: „Wir unterwerfen uns, aber nur zum Spaß. Damit kommen sie nicht klar.“