Der Vorstand spricht als Antiglobalisierer

Auch in der Werbung droht das Ende der Spaßgesellschaft: Es gilt die Kunden von einer imagefördernden Nachhaltigkeit zu überzeugen. Schließlich lässt sich die Imageproduktion immer weniger von den gesellschaftlichen Megatrends entkoppeln. Benettons UN-Engagement ist Beispiel für den Trend

von AXEL KRÄMER

Ein Flüchtlingslager nahe der pakistanischen Stadt Peschawar. Der Lehrer Dadakhuda Abdul Fatah leitet ehrenamtlich eine notdürftig eingerichtete Schule und versucht dabei unermüdlich, die Eltern der 25.000 Kinder von der Nützlichkeit der Bildung zu überzeugen. Keine leichte Aufgabe, denn die meisten setzten ihren Nachwuchs lieber für Hilfsarbeiten ein – und für das Schlangestehen bei der Nahrungsmittelverteilung. Doch der geflüchtete Afghane, dessen Schule vom Talibanregime zerstört wurde, bleibt in seinem Engagement beharrlich. „Die Kinder, die vor zwanzig Jahren in Afghanistan geboren wurden, sind Kalaschnikowkinder“, weiß Fatah, „die können’s nicht abwarten, zu töten.“

Auch Nelson Gómez hat sich einer achtbaren Aufgabe verschrieben. Unter der Woche arbeitet er als Gehilfe in einem Steuerbüro in Guatemala, nachts verwandelt er sich in die Prostituierte Melissa Simpson, um mit den Einnahmen seine kranke Mutter zu unterstützen. Doch am Wochenende verteilt der aufgefummelte Gómez mit Freunden auf der Straße Kondome und betreibt Aufklärung in Sachen Sex, Hygiene und Aids. „Manchmal kommen Leute und bewerfen uns mit faulen Eiern oder Exkrementen“, klagt er, „ich habe das Leben manchmal so satt.“ Doch immerhin würdigt nun der Benetton-Konzern seinen mutigen Einsatz als Street Worker.

Selbstbewusst blickt Gómez alias Simpson von der Titelseite von Colors, dem firmeneigenen Glamourmagazin, das in seiner aktuellen Ausgabe insgesamt mehr als hundert aufopfernde Helfer aus aller Welt in Bild und Text vorstellt und sie als stille Helden feiert. Sie alle sind Teil der neuen Werbekampagne, die Anfang des Monats in über fünfzig Ländern gestartet ist und nun für das Ehrenamt rund um den Globus die Trommel rührt.

Das Ende der Spaßgesellschaft, das bereits lange vor den Ereignissen des 11. Septembers von feinsinnigen Feuilletonisten proklamiert wurde, jetzt auch in der Werbung? Oder muss man immer noch die stereotype Klage ernst nehmen, die Volker Nickel vom Zentralverband der Deutschen Werbewirtschaft (ZAW) jüngst in der FAZ führte? Er wusste sofort, dass das Unternehmen damit auf zynische Weise menschliches Leid für seine Geschäfte instrumentalisiere und der jüngste Coup des Konzerns ein durchschaubarer Versuch sei, sich „ein soziales Mäntelchen“ umzuhängen. Doch nicht alle teilen diese Einschätzung. Die Vereinten Nationen sind für die Kampagne, in die Benetton 24 Millionen Mark und viel Zeit investiert hat, voll des Lobes. Kein Wunder, ist sie doch in aufwändiger Zusammenarbeit mit dem UN-Freiwilligenprogramm in Bonn erarbeitet worden. Tatsächlich kooperiert Benetton schon seit Jahren mit Unternehmen der UN – so etwa mit Aktionen für den Welternährungsgipfel oder mit Spendenkampagnen für das Kosovo – und scheint sich jetzt endgültig auf die Rolle des politisch korrekten Sponsors festgelegt zu haben. Dass sich der Konzern einen gewissen Eigennutz davon verspricht, lässt sich kaum abstreiten. Aber kann man es ihm wirklich vorwerfen?

Noch lässt sich nicht abschätzen, ob die Rechnung aufgehen wird. Doch im Falle eines Erfolges könnte sich die neue Benetton-Kampagne für die weltweit verunsicherte Werbebranche, die just in den vergangenen Monaten von einer Fülle kritischer Literatur wie Naomi Kleins „No Logo“ oder Frédéric Beigbeders „39,90“ gescholten wurde, als Orientierungshilfe erweisen, als wegweisendes Konzept etwa in der Auseinandersetzung mit dem vernichtenden Vorwurf des Zynismus und der Oberflächlichkeit, die dem Ruf der Zunft unbestritten großen Schaden zugefügt hat.

In den Schaltstellen der kreativen Versuchung machte sich ohnehin seit einiger Zeit eine gewisse Rat- und Einfallslosigkeit breit. Den Tiefpunkt hatte wohl Verona Feldbusch mit jenem Werbemotiv markiert, auf dem sie – mit tief ausgeschnittenem Dekolletee und mit laszivem Blick– ein kleines elektronisches Produkt in Händen hält, versehen mit dem Spruch: „Alles, was Verona anfasst, wird groß.“ Selbst die Boulevardpresse gab daraufhin ein gewisses Pikiertsein vor. Doch spätestens mit Ground Zero, dem weltpolitischen Paradigmenwechsel, scheinen die Zeichen der Zeit erst recht für Benetton zu sprechen. So zeigt sich André Kemper, Vorstand im ehrwürdigen Art Directors Club Deutschland sowie Firmenchef der vielfach preisgekrönten Hamburger Werbeagentur Springer & Jacoby, von der neuen Strategie des experimentierfreudigen Konzerns durchaus beeindruckt.

Kemper ist davon überzeugt, dass es in seriösen Agenturen der Branche ohnehin „einen Trend in Richtung Wahrheit und Wahrhaftigkeit, Tugenden und einer gewissen Tiefe“ gibt – unabhängig davon, ob man die Menschen durch Humor oder schlicht durch die Wahrheit auf etwas aufmerksam machen will. „Firmen und ihre Marken haben einen gewaltigen Einfluss auf unser Leben“, so Kemper, „darum müssten sich die Unternehmen auch überlegen, welchen Beitrag sie für die Gesellschaft leisten“ – und zwar „weit über Gewinn- und Wachstumsziele hinaus“. Fast spricht er wie ein Antiglobalisierer, wenn er die These wagt, „dass die großen Unternehmen in Deutschland mehr Einfluss auf unser Leben haben als die Politik“. Demzufolge hätten sie auch die Verantwortung dafür zu tragen, dass die Firmenkultur ein bestimmtes moral standing verkörpert und dessen Werte und Haltungen in der Gesellschaft durchsetzt. Waren die Konzernvorstände bislang im zeitlichen Horizont von Zweijahreszyklen beschränkt und auf den Wert des Shareholder-Value fixiert, gilt es nun, sie von einer imagefördernden Nachhaltigkeit zu überzeugen. Denn diese lässt sich offenbar von gesellschaftlichen Megatrends immer weniger entkoppeln. Es ist vielleicht die neue große Herausforderung für die Werbebranche, ihre Auftraggeber mit diesen Zusammenhängen vertraut zu machen.