Schürzen ohne Rüschen

An ihrem Konstruktionstisch enteht Funktionales, aber auch schöne Kleidung. Weil in Berlin niemand Hemmmungen hat, die Erste mit etwas Neuem zu sein, fühlt sie sich am richtigen Ort. Ein Porträt der Modemacherin Melinda Strokes

Eine leuchtend blaue Linie führt in den wohl einzig unsanierten Hinterhof in Berlin-Mitte. Wer ihr folgt, gelangt ins Atelier von Melinda Stokes. Der große Arbeitsraum der australischen Designerin lässt gleich erkennen, was für ihre Entwürfe charakteristisch ist: Form meets Funktion. Keine Modezeichnungen, keine gemusterten Stoffballen.

Dafür jede Menge Schnittmuster, und davor der große Konstruktionstisch. Konstruktionen sind es in der Tat, die die australische Designerin erschafft, Erfindungen, die „fashionproof“ sein sollen, praktisch und logisch. „Ich arbeite daran, das Rad neu zu erfinden“, sagt Melinda Stokes. „Mode interessiert mich nicht.“ Damit meint sie nicht, dass ihre Sachen deshalb nicht schön sein sollen. Zum Beispiel ihre neu erfundene Schürze, die „Stokx Apron“, die Stokes aus ihrer Erniedrigung durch die Rüsche befreit hat: „Ich habe die Schürze so gemacht, dass man, wenn man sie anzieht, besser aussieht als vorher“, sagt sie und begründet damit den Erfolg dieser Gratwanderung: KellnerInnen im „Schwarzenraben“ tragen ihre Schürze ebenso wie viele KundInnen bei Lisa D. oder bei „urban speed“, wo Stokes’ Kollektionen verkauft werden.

Mit einundzwanzig schloss Melinda Stokes ihr Bekleidungsdesignstudium in Brisbane ab. Dann entwarf sie Kostüme für ein Kindertheater und einen Wanderzirkus, machte Schnitte für ein Brautmodengeschäft und zusammen mit einer anderen Designerin eigene Kollektionen. Hier fing sie an, traditionelle Kleidung in ihre Elemente zu zerlegen und neu zusammenzusetzen. Eine ihrer ersten, neu konstruierten Hosen aus dieser Zeit beginnt zum Beispiel am Bund als abgeschnittenes Jacket.

„Manchmal trägt man ein Jacket nur, weil man die Taschen benutzen will“, sagt Melinda Stokes. Ihre letzte Kollektion, die sie in Australien entworfen hat, ging von der Beobachtung aus, dass Männern modisch weit weniger möglich ist als Frauen: „Men can’t really dress up.“ Der Gegenentwurf von Stokes war die Kollektion „Salt of the Earth“: schwarze, baumwollseidene Hemden mit abnehmbaren, weißen, gestärkten Kragen, irgendwo zwischen Dandy und Priester. Sie verkauften sich gut und Melinda Stokes flog nach London: one-way. Dort machte sie unter anderem Haute-Couture-Copies für High-Street-Unternehmen wie H & M. 1993 kommt sie nach Berlin, 1999 schließlich gründet sie ihr eigenes Label: „Stokx“.

Mit „Stokx“ hat sich Melinda Stokes zunächst von der Kleidung entfernt und ist zum Produkt übergegangen. Das Thema, Form und Funktion, ist dennoch geblieben. So ist ihr Klassiker „Stokx Belt“, der Taschengürtel, ebenfalls aus dem Jacket entstanden. Übrig bleiben diesmal nur die Taschen, gegürtet um die Hüfte. „Ich möchte Dinge machen, die so offensichtlich sind, dass es sie eigentlich schon immer gegeben haben sollte.“

Mode also interessiert sie nicht. Was ist das, Mode? „Ja, das ist etwas, was ich dich fragen wollte“, gibt sie zurück. Die kollektive Uniformierung, jede Saison erneut, lehnt sie ebenso ab wie die Standardisierung von Körpern. Bei Stokes ist der Körper Ausgangspunkt ihres Designs, Bewegungsfreiheit das Ziel, das sie sich als Beschränkung auferlegt. „Natürlich kann ich auch eine Zwangsjacke entwerfen, wenn das der Auftrag ist“, sagt sie und lacht. In einem normalen Jackett aber sollte man die Arme bewegen können, auch nach oben, nach vorn. Was die 38-Jährige sogleich demonstriert.

So wie Melinda Stokes mit der Symbolik von Kleidung und mit Zitaten spielt, spielen ihre Kunden mit den Kombinationsmöglichkeiten ihrer Sachen. Und genau das ist es, was Melina Stokes sich wünscht: dass die Stücke Teil ihrer Trägerin werden. Deshalb fühlt sie sich in Berlin am richtigen Ort: „Hier hat niemand Hemmungen, die Erste mit etwas Neuem zu sein.“ Dabei gibt Stokes die Möglichkeit zu einem Style, aber sie gibt ihn nicht vor. So mit der Tasche, die sie kürzlich im Auftrag von „Radio Multikulti“ entworfen hat: „Sie sollte gut aussehen an einer italienischen Großmutter, aber auch an einem HipHop-Boy.“

Immer mehr ist Melinda Stokes wieder zur Kleidung gekommen. Über Röcke, die übrigens auch für Männer konzipiert sind, ist ihr nächstes Projekt entstanden: ein „Arbeitsanzug“. Es soll verschiedene Varianten geben, für verschiedene Körper eben. Bisher fertigt die Designerin alles selbst. Demnächst soll es eine kleine Fabrik in Bulgarien geben. Dann wird Melinda Stokes mehr Zeit haben. Zum Erfinden. KATRIN KRUSE

Das Label „Stokx“ ist erhältlich bei Lisa D., Hackesche Höfe, und bei „urban speed“, Gipsstraße. Kontakt zu Melinda Stokes unter der Nummer des Ateliers: 30 87 25 37 oder www.stokx.de