„In die Zukunft denken“

Da über wirkliche Alternativen zum Stadtschloss nicht nachgedacht wird, soll sich die Arbeit der Kommission Historische Mitte vor allem auf Nutzungsfragen konzentrieren, meint Bruno Flierl

taz: Heute tagt zum achten Mal die Kommission „Historische Mitte Berlin“. Warum eigentlich? Schenkt man den Worten des Kommissionsvorsitzenden Hannes Swoboda Glauben, ist eine Entscheidung für die Rekonstruktion des Stadtschlosses längst gefallen.

Bruno Flierl: Sie ist immer nur eine vorläufige Entscheidung gewesen. Es war das von ihm verfasste und in die Öffentlichkeit gebrachte Resümee einer Diskussion innerhalb der Kommission. Aber es hat keinen Beschluss dazu gegeben.

Die Tendenz geht aber in Richtung Schloss? Glauben Sie, dass mit Adrienne Goehler als neuem Kommissionsmitglied frischer Wind auch für die Schlossgegner kommt?

Es könnte sehr wohl ein neuer Wind in die Debatte kommen. Allerdings ist ja auch ihre Tätigkeit nach der Wahl zeitlich begrenzt. Man hört aber genügend Stimmen von Politikern, die den neuen Senat bilden werden, dass für sie alles noch offen ist.

Heute geht es zunächst um das Nutzungskonzept, das Kulturstaatsminister Nida-Rümelin vorstellen wird. Ist Ihnen das öffentlich genug?

Nein. Überhaupt noch nicht. Es ist ja schon vorab bekannt gemacht worden, so dass ich dazu auch Stellung nehmen kann. Es sind da im Wesentlichen vier große Bereiche formuliert: die außereuropäischen Sammlungen der Staatlichen Museen; dann die Sammlung der Humboldt-Universität als wissenschaftsgeschichtliche Sammlung sowie die Zentral- und Landesbibliothek Berlin. Ergänzend ist dann allerdings, und das ist neu und entsprach einer Forderung der Kommissionsmitglieder, ein so genannter institutioneller Eigenbereich dazugekommen.

Was heißt das?

Das soll wohl ein großer Veranstaltungs- und Begegnungssektor werden mit Möglichkeiten für Theater-, Musik- und Tanzaufführungen und vielfältiger Gastronomie.

Das hört sich eher technisch an und lässt alle Möglichkeiten offen. Wie würde denn Ihrer Ansicht nach eine wirklich öffentliche Nutzung auch inhaltlich aussehen müssen?

Was da geschehen soll, ist ein Dialog, der mehr über Themen der verschiedenen Einrichtungen untereinander und mit der Öffentlichkeit angestrebt wird denn als Kommunikation über Themen der Öffentlichkeit. Wenn man sich ansieht, dass nur ein Anteil von 6 Prozent der Gesamtfläche dafür vorgesehen ist, ist man schon skeptisch. Es entsteht der Eindruck, dass es sich mehr oder weniger doch nur darum handelt, die kulturellen und wissenschaftlichen Materialien der drei Hauptnutzergruppen, also das Material der Vergangenheit, kommunikativ in die Öffentlichkeit hineinzuverlängern.

Was wäre das Material der Gegenwart und der Zukunft?

Man müsste diesen wichtigen Ort in der Mitte von Berlin, der Hauptstadt, in seinem Wert ganz anders bestimmen. Vor allem in Hinsicht darauf, was denn die kulturellen und wissenschaftlichen Interessen der Bürgerinnen und Bürger sind. Die Interessen, die aus dem realen Leben von heute nach Lösungen verlangen, auch aus dem noch zu vollendenden Prozess der inneren deutschen Einheit, aber auch der Europäisierung und der Globalisierung. Es wird also zu wenig von heute aus diskutiert und schon gar nicht aus der Zukunft. Es ist doch so, dass dieser institutionelle Eigenbereich bislang zu sehr eine Verlängerung der humboldtschen Bildungskonzeption im 19. Jahrhundert ist.

Dass weniger von der Gegenwart und der Zukunft aus diskutiert wird, lässt auch der zweite Teil der Tagesordnung heute vermuten. Da geht es um die stadträumliche Situation. Was ist darunter zu verstehen?

Professor Lampugnani, selbst Mitglied der Kommission, und Senatsbaudirektor Stimmann, die beide von der Kommision gebeten wurden, eine Empfehlung für das stadträumliche Konzept zu erarbeiten, das die Kommission dann diskutieren kann, ist es bislang leider nicht gelungen, uns Kommissionsmitgliedern vorab dieses Papier zu geben. Wenn ich davon ausgehe, dass die bisherige Linie weiter verfolgt wird, eine Art Schlossgebäude in alten Ausmaßen zu errichten, dann werden diese städtebaulichen Empfehlungen wohl darauf hinauslaufen, rings um das vorgesehene Gebäude möglichst alle stadträumlichen und baulichen Vorgaben zu definieren, die der Vergangenheit vor 1945 entsprechen.

Also auch stadträumlich eine Präjudizierung für das Schloss.

Ganz genau. Das heißt, das Schloss wird sozusagen stadträumlich begründet. Das liegt ganz klar in der Linie des Planwerks Innenstadt, das ja darauf hinausläuft, die Geschichte der städtebaulichen und architektonischen Entwicklung der Nachkriegszeit wieder zurückzubauen und damit der Zukunft der Bürger in Ost und West ein Bild der Vergangenheit zu schenken.

Wie könnte man Ihrer Ansicht nach die Situation auch stadträumlich offen halten?

Städtebauliche Empfehlungen sollten aus historischen und gegenwärtigen Gegebenheiten des Ortes formuliert werden – als Vorgaben für einen Architekturwettbewerb. Für einen Wettbewerb, der im Übrigen die Optionen für die drei möglichen Varianten zulässt: also Neunutzung und Erhalt des Palasts und Bau auf dem freien Platz zum einen, Schloss statt Palast zum anderen, und drittens Neubau mit Aneignung und Bewahrung von Elementen sowohl aus Schlossvergangenheit und Palastgegenwart.

Wäre der Entwurf von Herrn Gerkan in diesem Zusammenhang ein wichtiger Beitrag?

Er ist ein ganz wichtiger Beitrag, der leider in der Kommission bisher überhaupt nicht diskutiert und einfach nur als virtuelle Architektur abgetan wurde. Doch das ist, bei einer Vorgabe, das Schloss als Ganzes oder in erkennbaren Teilbereichen zu reproduzieren, nicht anders zu erwarten. Die Aufgabe muss eben richtig gestellt werden.

Hoffen Sie auf ein rot-rotes Bündnis und damit auch auf andere politische Schlussfolgerungen aus der Arbeit der Kommission?

Die Kommission sollte zunächst einmal weniger selbst städtebauliche und architektonische Lösungen empfehlen als vielmehr den Weg zu ihnen. Die Entscheidung über Städtebau und Architektur sollte dem Auftraggeber überlassen werden, das heißt dem Bund und dem Land Berlin. Und im Land Berlin formiert sich ja der Auftraggeber nach der Wahl jetzt erst neu.

Ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass ein rot-rotes Bündnis diesen Ort offen hält für die Zukunft und statt eines geschichtlich fundierten Humboldt-Forums eher eine kultur- und wissenschaftsgestützte Agora des 21. Jahrhunderts schaffen will. INTERVIEW: UWE RADA