Raffinesse verleiht Flügel

Nach allen Regeln der Kunst: Juli Zeh vertraut in ihrem Debütroman „Adler und Engel“ auf eine unverzierte Sprache

In einer Welt überfüllter Seminare scheint das Deutsche Literaturinstitut zu Leipzig wie ein gesonderter Raum. Der insulare Charakter des ehemaligen Johannes-R.-Becher-Instituts entsteht aus Lebhaftigkeit in Abgeschiedenheit. Studenten, die Schriftsteller werden wollen, prüfen sich darin gegenseitig. Wie im Vorgriff auf ihre Verhältnisse bei korrekter Berufsausübung hört in ihrer Zone immer mal wieder alles auf, während in der Nachbarschaft Musiker üben.

Unter solchen Umständen glückte Juli Zeh ein Debüt, das im Ausstoß der Verlage monolithisch aufragt. „Adler und Engel“ ist ein Roman nach den Regeln der Kunst, wunderbar durcherzählt bei straff gehaltenem Handlungsfaden. Man ahnt an vielen Stellen, dass narrative Überschüsse zurückgestutzt wurden, so wie vermutlich blendende Bilder einfacheren Ausführungen aus Prinzip weichen mussten. Ihren Einfallsreichtum verschwendete die 27-jährige Zeh allein auf die Handlung. Ihr Vertrauen in eine unverzierte, zuerst den Aussagen dienenden Sprache ist kaum zu glauben. So unverspielt wie Juli Zeh trat lange keine mehr an.

Diese Annonce eines außerordentlichen Debüts lässt erwarten, das sein Gegenstand in drei Sätzen fassbar wird. Die Anlage des Romans gleicht indes einem verwinkelten Prospekt. Hier passiert das Entscheidende in verstellten Räumen. Hält man sich dabei an die Figur, die „ich“ sagt, geht es mit einem Kokainisten bis auf den harten Boden tödlicher Tatsachen.

Der Erzähler hatte einen miesen Start. Seine Jugend war in Fett verpackt, ein Akne-Festival von Armut flankiert. In der Trostlosigkeit steckte aber etwas Erhebendes: eine Saat, die aufging. Der verkorkste Knabe mausert sich zum koksenden, auf das Völkerrecht konzentrierten Prädikatsjuristen, der mit den Attitüden eines Master of the universe die osteuropäischen Krisen und Kriegsflüchtlingsbewegungen für eine internationale Organisation in Wien mit Vertragsentwürfen begleitet. Er gibt den Papiertiger im Sprung auf die Klauseln, anstatt den Verelendeten der europäischen Bürgerkriege als Anwalt zur Seite zu stehen. Pompös ist auch der Auftritt seiner Kollegen. So weit, so ekelhaft.

Die Spannung des Romans kommt aber daher, dass ihre Arbeit ferner von krimineller Energie vorangetrieben wird. Die Routen der Flüchtlinge sind zugleich Pfade, auf denen Rauschgift in die Kühlschränke Westeuropas gelangt. Die kühlen, hochrangig akkreditierten Administratoren des Drogengeschäfts stützen sich auf Vollstrecker: auf Männer, die zu Kriegsverbrechern vertrauliche Beziehungen unterhalten, soweit sie sich nicht selbst an Kriegsverbrechen beteiligen. Das hält sie von Kindesliebe nicht ab. Die eher einseitige Liebe des Erzählers zu der Tochter eines Warlords steht im Zentrum des Romans. Jessie erscheint als eine Art heiliger Närrin, ebenso luzide wie verrückt. Der ganze Abgrund ihrer Raffinesse bleibt dem Erzähler lange verborgen. Er entdeckt sie in Spuren am Ausgangspunkt der Handlungsgegenwart, den Jessies gewaltsamer Tod abgibt. Davon schockiert, vertraut sich der Erzähler einer Psychologiestudentin an, die sein Desaster zum Thema ihrer Diplomarbeit macht. Die Geschichte entwickelt sich im Spiegel dieser bizarren Arbeitsbeziehung. Dabei gelingt es Zeh, sämtliche Erwartungen, die den Handlungsfortgang betreffen, zu düpieren. Wann immer man zu wissen glaubt, wie der Hase durch den Roman läuft, schlägt er einen Haken.

Juli Zeh ist auch Juristin. So wie ihr Held in „Adler und Engel“ möchte sie einmal für eine internationale Organisation arbeiten. Auf diesem Weg der – in ihrer Isolation beschwerlichen – Existenz einer Berufsschriftstellerin entgehen zu können, ist ein Glück, das Juli Zeh ebenso viele Flügel zu verleihen scheint, wie im Romantitel vorkommen.

JAMAL TUSCHICK

Juli Zeh: „Adler und Engel“. Schöffling & Co, Frankfurt a. M. 2001, 445 Seiten, 46 DM