Rechtsextreme Milzbrandstifter?

Die Spur der tödlichen Sporen scheint in die rechtsextreme Szene der USA zu führen: Dort kursieren längst Pläne für den „biologischen Bürgerkrieg“

von BERND PICKERT

„Solange wir nicht mehr machten, als Kongressabgeordnete, Bundesrichter, Geheimpolizisten und Medienzare zu ermorden, haben sich die Amerikaner nicht besonders bedroht gefühlt, aber sie haben doch dem System die Unannehmlichkeiten übel genommen, die es ihnen durch all die neuen Sicherheitseinrichtungen bereitet hat.“

William Pierce, „Turner Diaries“

Noch immer ist nicht bekannt, wer die Briefe mit den tödlichen Milzbranderregern in den USA verschickt. Nachdem den US-Behörden wochenlang internationaler Terrorismus als wahrscheinlicher Urheber galt – womöglich mit Verbindungen in den Irak – konzentrieren sich jetzt die Ermittlungsbehörden stärker auf mögliche Täter in den Vereinigten Staaten selbst: „Alles scheint auf eine Quelle bei uns hinzudeuten“, zitierte die Washington Post am Montag einen leitenden Geheimdienstmitarbeiter, „nichts passt zu den Vorgehensweisen ausländischer Terrororganisationen.“

Immerhin: Der einzige relevante Terrorakt auf US-amerikanischem Boden vor dem 11. September, der Bombenanschlag von Oklahoma City 1995, ging auf das Konto eines US-amerikanischen Rechtsextremisten – Timothy McVeigh. Die rechtsextreme Szene in den USA – latent gewaltbereit, aber nur in Teilen den Terrorismus bejahend – besteht aus rund 250.000 US-Amerikanern und rund 500 verschiedenen Gruppen und Organisationen, vom traditionellen rassistischen Ku Klux Klan über die radikalen Militias in verschiedenen Bundesstaaten bis hin zu Neonaziorganisationen und christlichen Pseudokirchen. Sie hat eine Reihe gemeinsamer Nenner: Sie ist strikt antisemitisch, sieht die US-Regierung als korrumpiert und von der jüdischen Hochfinanz beherrscht, und sich selbst als letzte Verteidiger der untergehenden Weißen Rasse.

Ein gemeinsamer Feind ist auch die Bundespolizei, deren Befugnisse als Eingriff in die Freiheitsrechte des Weißen Mannes gesehen werden. Schlüsselerlebnis war für viele – einschließlich Timothy McVeigh – die Auseinandersetzung um das waffenstarrende Anwesen der Davidianersekte in Waco, bei dessen Erstürmung durch Bundespolizei das ganze Gebäude niederbrannte und die meisten Sektenmitglieder zu Tode kamen.

Das Handbuch, ja die Bibel der rechten Szene sind die „Turner Diaries“, ein vom Chef der neonazistischen National Alliance, William Pierce, verfasster Zukunftsroman, der aus der Sicht eines rassistischen Aktivisten die letzten Jahre des Kampfes vor der großen arischen Revolution beschreibt. Das extrem gewalttätige Werk kann als Handlungsanleitung zum Terror gelesen werden – und das wurde es auch. Eine der ersten großen Aktionen, die das Buch beschreibt, ist ein Bombenanschlag auf ein FBI-Gebäude – den Timothy McVeigh in Oklahoma schlicht kopierte.

Der erste Schritt zur arischen Revolution, auch darüber besteht Einigkeit zwischen den Gruppen, ist die – gewaltsame – Destabilisierung des politischen Systems. Der 11. September gibt ihnen Auftrieb, zumindest in der Eigenwahrnehmung. Zwar waren es nur einzelne Stimmen, wie die des bisherigen Betreibers der „Posse Comitatus“-Website, August Kreis, inzwischen neuer Informationschef der Aryan Nations, der eine halbe Stunde nach den Flugzeugeinschlägen von New York am 11. September schrieb: „Auf dass der Krieg beginnt! Tod den Feinden! Auf dass das World Trade Center bis in seine Grundmauern abbrennt!“. Und Victor Gerhard, Anwalt der National Alliance, bedauerte: „Wir sollten New York City und Washington DC in die Luft sprengen und nicht auf eine Horde Kamelreiter warten, damit die das für uns tun.“ Und der selbst ernannte „Pontifex Maximus“ der rassistischen „World Church of The Creator“, Matt Hale, gab die Weisung aus: „Wir müssen nun mithelfen, diesen Hass gegen die Juden zu wenden.“ National-Alliance-Chef William Pierce sagte in seiner wöchentlichen Radiosendung: „Die Anschläge von dieser Woche sind nur der Anfang von dem, was auf Amerika zukommt. Ich weiß natürlich nicht, was als nächstes kommt, aber es wird ganz sicher Bioterrorismus sein.“

Man muss daraus nicht herleiten, dass der Mann genau wusste, wovon er sprach. Sicher ist, dass seit Jahren in den Strategiepapieren der extremen revolutionären Rechten über den Einsatz von Biowaffen diskutiert wird. Alex Curtis, bis zu seiner Inhaftierung im November 2000 Betreiber des rassistischen Online-Magazins Nationalist Observer hat in einem eigenen Handbuch „Biologie für Arier“ die Vor- und Nachteile von Biowaffen, einschließlich Anthrax diskutiert (s. Kasten). Als 18-Jähriger schrieb er in sein Tagebuch: „Ich plane, mein Leben danach auszurichten, die Welt von den unarischen Elementen zu befreien, mit allen notwendigen und erreichbaren Mitteln.“ Er war auch einer der Propagandisten der „lone wolf“-Strategie. Die geht davon aus, dass militante Aktionen auch kleinster Gruppen schon zu viele Angriffsflächen für die Ermittlungsbehörden bieten, der überzeugte weiße Rassist also ganz allein zu handeln habe: „Einsame Wölfe, die klug und zum kaltblütigen Handeln entschlossen sind, können jede Aufgabe erfüllen, die sich ihnen stellt – sicherlich jeden Mord.“ In einem Interview mit MSNBC 1999 gab der damals beim FBI für nationalen Terrorismus zuständige Robert Burnham zu: „Er ist da draußen. Er hat Sprengstoff, er besucht verschiedene Treffen, ob von Aryan Nations, Militias oder anderen, er hängt dieser Ideologie an – und er macht da draußen sein eigenes Ding. Es ist die größte Herausforderung der Sicherheitsbehörden, diese Leute ausfindig zu machen.“ Timothy McVeigh war ein solcher „einsamer Wolf“.