Das Bermuda-Dreieck des Pop

Die Verwandtschaft trinkt gerne Schnaps, singt Volkslieder und philosophiert über Kunst: Mit „Absolut Warhola“ dokumentiert der polnische Filmemacher Stanislaw Mucha das Leben in der slowakischen Heimat von Andy Warhol

Sie sind sich nie begegnet. Die Tanten nicht, die Vettern nicht und der Museumsdirektor auch nicht – keiner von ihnen hat Andy Warhol je getroffen. Das ist ungewöhnlich, wo sich doch kaum ein Künstler so viel Mühe mit öffentlicher Aufmerksamkeit gegeben hat wie Warhol. Das ist nicht ungewöhnlich, weil der Ort, an dem der polnische Dokumentarfilmer Stanislaw Mucha die Menschen für sein Porträt „Absolut Warhola“ aufgesucht hat, weit weg liegt von den Verbindungslinien des zeitgenössischen Kunstmarktes.

Im „ruthenischen Bermuda-Dreieck“, im Grenzgebiet zwischen Polen, Ukraine und der Slowakei, wusste man bis in die Zeit nach 1990 so gut wie nichts über Pop-Art, Andy Warhol und den Westen. Heutzutage ist man in Medzilaborce und Miková allerdings mächtig stolz darauf, die Geburtsstätte der Pop-Art gewesen zu sein – wenn auch auf Umwegen. Denn geboren wurde Andrew Warhola erst 1928, als seine Eltern längst in Pittsburgh, Pennsylvania, lebten. Sein Vater war 1913 als Bergarbeiter aus Miková in die USA ausgewandert, seine Mutter kam 1921 nach, um für den Unterhalt der Familie bemalte Ostereier zu verkaufen.

Nur durch Zufall ist Mucha vor zehn Jahren in dieses Niemandsland gekommen, „um ein gutes Bier zu organisieren“. Damals schon wurden sich Märchen erzählt über den „größten Sohn“ des Dorfes, der in Amerika lebte und malte. Was er malte, wusste keiner genau: Noch immer glauben einige Dorfbewohner von Miková, dass Warhol Häuser angestrichen hat. Selbst die Verwandtschaft scheint nicht viel mit seiner Biografie anfangen zu können – vor allem bei seiner Homosexualität, da sei Gott vor!

Ganz allmählich fügt Mucha die Mythen mit der Realität zusammen, lässt sich vom Warhol-Vetter etwas über leckere Pilze, Ölquellen und Tschernobyl erzählen, oder zeigt eine sehr junge Großnichte mit blondierten Haaren, die verträumt das Marilyn-Motiv auf Leinentücher stickt. Immer wieder scheint der in Krakau und an der Potsdamer Filmhochschule ausgebildete Regisseur selbst dabei den Faden zu verlieren, wenn er sich dem Schwatz mit der Familie hingibt, die gerne Wodka trinkt und abends Volkslieder zum Akkordeon singt. Dann ist „Absolut Warhola“ eine ziemlich nostalgische Reise in die Provinz, eine Hommage an einen Osten im Südwesten des Ostens: ausgegraben aus den Trümmern der Geschichte, die nach dem deutschen Russlandfeldzug in dieser Gegend übrig geblieben sind.

Ebenso schnell aber schnappt das Scharnier auch wieder zurück in die Gegenwart. Nachdem man in Medzilaborce ein Museum zu Ehren von Andy Warhol eingerichtet hat, muss der dort angestellte Direktor ständig um die Existenz seiner kleinen Institution kämpfen. Die Mittel sind knapp, es regnet rein durch die Decke. Entmutigen lassen will sich davon niemand: Selbstbewusst werden zahllose Schätze aus dem Depot hervorgeholt, auf die sogar die Warhol-Stiftung in Pittsburg neidisch wäre. Wo sonst könnte man Warhols Taufkleidchen sehen?

Ob das rare Bild mit Ingrid Bergmann nur ein Poster oder der Original-Siebdruck ist, verrät der Film allerdings nicht. Überhaupt geht es Mucha nicht darum, irgendwelche kunsthistorischen Entdeckungen zu machen. Viel mehr versucht „Absolut Warhola“ den Kult um die Ursprünge des Pop ein wenig zu entexotisieren: An der Armut der Bevölkerung hat sich bei aller Heldenverehrung ohnehin nichts geändert. Stattdessen zeigt Mucha, dass die hohe Arbeitslosigkeit zu Rassismus geführt hat, der sich ständig an den ortsansässigen Roma entlädt. Sie haben im Museum Hausverbot, weil sie zu dreckig und zu zerlumpt sind, wie der Direktor schlecht gelaunt erklärt. Dann nimmt er seine Gitarre und spielt eigene Songs, die wie Velvet Underground klingen.

HARALD FRICKE

„Absolut Warhola“. Regie: Stanislaw Mucha. Deutschland 2001, 80 Min.