Das große Melkmaschinen-Massaker

Sie nennen es „alpine Weltmusik“: Jodel-TripHop und Akkordeon-Metal beim „Schräg dahoam“-Festival in Bayern

„Auf die Alm hat unsere Tante immer einen Kurzwellenempfänger mitgenommen“, erzählt Ernst Huber von der Band Broadlahn aus Österreich. „Sie hat nämlich mehr Vertrauen zum Münchner Wetterbericht g’habt als zum Wiener. Und mit dem Radio ham wir Kinder dann auf der Alm erstmals Musik aus Bulgarien oder Burundi g’hört.“

So hat die Weltmusik also im Alpenland Fuß gefaßt. Doch das meint der Konzertveranstalter Hage Hein nicht, wenn er heute von „alpiner Weltmusik“ spricht. Vielmehr geht es ihm um Musik, die von alpenländischen Traditionen wie dem Jodeln ausgeht und diese mit Rock oder Jazz vermischt. So wie Hubert von Goisern, Broadlahn oder die neue Gruppe Edelschwarz, die Zugpferde seinem „Schräg Dahoam-Festival“, das Anfang der Woche in München und Landshut stattfand.

Neu ist das Konzept der „alpinen Weltmusik“ allerdings nicht, nur das Ettikett hat sich geändert. Schon 1992 und 1994 gab es zwei „Schräg dahoam“-Festivals, bei denen sich die Alpenrock-und Alpenjazz-Szene vorstellte, und schon damals war Hubert von Goisern ein Headliner. Dann aber löste der steierische Sänger und Ziehharmonikaspieler seine „Alpinkatzen“ auf, weil er keine Lust mehr hatte, ständig seinen Hit „Hiatamadl“ zu spielen, und damit war die „Neue Volksmusik“ erst mal tot. Diejenigen, die sich vorher beschwert hatten, dass der charismatische Goisern das ganze Medieninteresse auf sich fokussierte, mussten erkennen, dass es der Szene ohne ihn eher noch schlechter ging. So schliefen auch die „Schräg dahoam“-Festivals erst mal ein.

Doch jetzt ist Goisern wieder da, hat in kurzer Zeit zwei bemerkenswerte Alben (das austro-soulige „Fön“ und die Volksliedsammlung „Trad“) vorgelegt, und so wagt nun auch Hein einen neuen Anlauf. Das aktuelle Etikett „alpine Weltmusik“ soll der Szene dabei vor allem den Zugang zum Rest der Welt erleichtern. „Der Begriff soll zeigen“, so Hein, „dass auch Deutschland und Österreich etwas zur globalen Musikkultur beizutragen haben.“

In Deutschland scheint dieser Namenswechsel allerdings erst mal wenig geändert zu haben. Während in den Münchner Cirkus Krone noch 1.700 Menschen strömten – das übliche Publikum, das mit Goisern zusammen alt wird, wobei Goisern immer besser aussieht, immer besser musiziert und immer bessere Geschichten erzählt –, waren es am zweiten „Schräg dahoam“-Abend in Landshut, mit ganz anderem Programm, nur knapp 200. Ohne ihren Vorzeige-Entertainer ist die Szene also immer noch ziemlich schwach.

Dabei waren in Landshut die beiden spannendsten, weil wirklich neuen Projekte am Start. So hat sich Goiserns ehemalige Mitjodlerin, die „alpine Sabine“, nun als Zabine eine neue Karriere aufgebaut, bei der sie Jodelelemente mit Funk und TripHop verbindet. Allerdings konnte sie live nicht überzeugen, dafür fehlte ihr einfach noch die Ausstrahlung, und ihre Stimme war nach einer längeren Tournee nicht mehr sehr jodeltauglich.

Umso positiver die Überraschung bei der Bayernmetal-Band Edelschwarz. „Jetzt scheiden sich die Geister“, kündigte Akkordeonspieler Siegfried Hagelmo an. Und tatsächlich, der Einsatz von Hardcore-Gitarre, Funk-Schlagzeug und harten Elektronik-Effekten zu traditionellem Gesang und Harmonikaspiel ging bis an die Schmerzgrenze. Doch trotz des fiesen Auftritts war das Publikum begeistert, viele hatten sogar ein verklärtes Schmunzeln auf den Lippen. „Blutgrätsche!“, rief einer vor der letzten Zugabe und ein anderer: „Mach uns fertig!“ Kein Wunder, dass Bauernsohn Hagelmo zum Abschluss des Konzerts triumphierte: „Das war Volksmusik!“ Mag sein. Jedenfalls scheint der brave Begriff „alpine Weltmusik“ zu diesem Melkmaschinen-Massaker nicht recht zu passen.

Hage Hein verbindet mit seinem musikalischen Ansatz allerdings auch politische Hoffnungen: „Wir brauchen eine weltoffene Regionalkultur und dürfen das Heimatliche nicht Rechten wie Jörg Haider überlassen.“ Das ist natürlich weder falsch noch sonderlich neu, und politisch textende Gruppen wie die Biermösl Blasn sind längst fester Bestandteil der bayerisch-rot-grünen Alternativkultur. Doch Hein, der in den 70ern beim ersten sozialistischen Verlagskollektiv mitarbeitete, glaubt, dass die alpine Weltmusik auch gegen die Globalisierung und ihre Kehrseite, den Fundamentalismus („die fühlen sich in ihrer regionalen Identität angegriffen“), helfen könnte. Doch bis Siegfried Hagelmo von Edelschwarz mit seiner Quetsche als deutscher Manu Chao zum nächsten Attac-Kongress eingeladen wird, muss wohl noch einiges passieren.

CHRISTIAN RATH