„Der islamistische Traum ist aus“

Bin Laden symbolisiert den antimodernen Impuls, der selbst ein Produkt der Moderne ist

Interview DANIEL BAX, STEFAN REINECKE
und EBERHARD SEIDEL

taz: Herr Kermani, wie konnte Ussama Bin Laden in Teilen der islamischen Welt zum Helden avancieren?

Navid Kermani: Als öffentliche Figur ist Bin Laden eine Leerformel: Er hat keine Bücher veröffentlicht, über seine Ideologie ist wenig bekannt, und bis zu den Anschlägen auf US-Einrichtungen in Tansania und Kenia war er auch in der islamischen Welt weit gehend unbekannt. Zu einer öffentlichen Figur wurde er erst, als die USA ihn zu ihrem Erzfeind erklärten.

Das erinnert an die Karriere von Saddam Hussein. Vor dem zweiten Golfkrieg war er alles andere als ein Held der arabischen Massen – schon gar nicht der muslimischen, weil er völlig areligiös ist. Das änderte sich schlagartig in dem Moment, in dem die USA ihn zu ihrem Gegenspieler erklärten. Da wurde Saddam populär – nicht bei der Mehrheit, aber bei einer politisch bedeutsamen Minderheit.

Und Ussama Bin Laden ist ja nicht nur im Nahen Osten zu einer Ikone geworden: In Lateinamerika kann man Unterwäsche mit aufgedruckten Bin-Laden-Bildern kaufen. Diese Ikonisierung hat gerade damit zu tun, dass man so wenig über ihn weiß. Seine Selbstinszenierung per Video hat genau diesen Effekt verstärkt: Er ist zu einem Bild geworden – zu einer Projektionsfläche für antiamerikanische Stimmungen in der Dritten Welt.

Bin Laden entstammt aber einem spezifischen Hintergrund, er kommt aus Saudi-Arabien. Wie wichtig ist das zum Verständnis des Terrorismus, für den er steht?

Zentral. Es ist kein Zufall, dass Bin Laden und viele Attentäter aus Saudi-Arabien stammen, denn dort kommt die Schizophrenie der islamischen Welt so extrem wie nirgends sonst zum Ausdruck. In Saudi-Arabien herrscht ein besonders rückständiger, puritanischer, konservativer Islam, dessen Rigidität nur noch von den Taliban übertroffen wird. Gleichzeitig ist Saudi-Arabien von allen islamischen Ländern am engsten mit dem Westen verbandelt: Es wird dominiert von US-amerikanischer Billigkultur, US-Soldaten sind dort präsent. Dieser schizophrene Zustand wird nur durch die Öldollars aufrechterhalten.

In jedem ärmeren Land hätte diese Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen längst zur politischen Explosion geführt. Politische Gewalt gibt es auch in islamischen Ländern, die eine eigene Ausprägung von moderner Kultur hervorgebracht haben, wie in der Türkei, dem Libanon und dem Iran. Aber dieser Vernichtungswahn, der in den Anschlägen vom 11. September zum Ausdruck kommt, stellt jede andere Form der Gewalt in der islamischen Welt in den Schatten. Und sie ist nicht auf ein bestimmtes Motiv gerichtet. Die palästinensischen Selbstmordattentäter haben ja noch konkrete Ziele, sie verfolgen eine politische Strategie. Bin Laden und al-Qaida zielen hingegen nicht auf reale politische Erfolge, sondern auf Symbole.

Die Anschläge vom 11. September wollen aber auch eine machtpolitische Dynamik in Gang setzen?

Ja, aber diese Dynamik ist sehr viel abstrakter. Bin Laden nutzt die Mechanismen der westlichen Mediengesellschaft. Deswegen ist es auch wichtig, dass man ihn als modernes Phänomen begreift.

Welche biografischen Züge bei Bin Laden sind exemplarisch für den modernen islamistischen Terrorismus?

Bin Laden ist ein Konvertit. Früher war er ein Lebemann, der sich in Diskotheken herumtrieb, dann kam der Bruch, das Umkehrerlebnis. Das ist typisch für viele Terroristen: Der Führer der Radikalislamisten in England war früher Türsteher in einem Bordell.

Bin Laden symbolisiert den antimodernen Impuls, der selbst ein Produkt der Moderne ist. Man kann ihn also mit Erscheinungen wie dem Rechtsextremismus in den USA vergleichen. Und es gibt grundsätzliche Parallelen zu anderen Terroristen, von Timothy McVeigh bis zur RAF. Wenn andere Muster der Sinngebung nicht mehr funktionieren, dann scheint es verführerisch zu sein, dem eigenen Leben auf radikale Weise einen neuen Sinn verleihen: Man hat ein stimmiges Weltbild, einen Feind, eine Aufgabe. Und man hat das Gefühl, nicht nur nur für eine kleine Gruppe zu kämpfen, sondern für eine Milliarde Muslime.

Wo sehen Sie Parallelen zum RAF-Terrorismus?

Nur vom Muster der Ursachen her: In Deutschland war das Gefühl einer Fortdauer der NS-Vergangenheit, über die nicht geredet werden durfte, bekanntlich ein Motiv für das Entstehen der RAF. Die Bundesrepublik war faktisch ein liberales, demokratisches Land, in dem diese Vergangenheit gleichwohl fortwirkte. Man kann also auch hier von einer Art Ungleichzeitigkeit sprechen, auch wenn die Ungleichzeitigkeit in Saudi-Arabien, das Nebeneinander von religiösem Zwang und libertärer westlicher Kultur, schroffer und augenfälliger ist.

Außerdem war die RAF das Zerfallsprodukt der 68er. Sie entstand, in dem Augenblick, in dem sich die Mehrheit der Bewegung von der Revolte abwendete. Auch da gibt es Parallelen.

Ist der Terrorismus ein Zeichen, dass der Islamismus als politische Bewegung seinen Zenit überschritten hat?

Der radikale Islamismus befindet sich auf dem Rückzug. Es gibt gegenwärtig kein Land – ausgenommen vielleicht Nigeria –, in dem der Traum vom radikalislamistischen Staat eine realpolitische Option ist. Dieses Ziel ist zerbrochen. In Ägypten hat der Terror spätestens seit dem Anschlag von Luxor an Boden verloren. Die Bevölkerung gewährt den Terroristen keine Unterstützung mehr: Verstecke werden verraten, islamistische Gruppen distanzieren sich von der Gewalt.

Der Iran ist nach zwanzig Jahren islamischer Revolution, die blutig waren und katastrophal verlaufen sind, allmählich auf dem Weg zu einer tief greifenden Modernisierung und Säkularisierung – und dieser Prozess gilt nicht nur für die Eliten, er erfasst die ganze Gesellschaft. Man kann den Terror durchaus als Phänomen des Niedergangs des Islamismus verstehen. Das macht ihn nicht harmloser – es macht ihn eher gefährlicher.

Kann man den Fundamentalismus als den Faschismus der islamischen Welt bezeichnen?

Überspitzt gesagt – ja. Im Iran, dem Land, das die Erfahrung des Islamismus extrem durchlitten hat, spricht sogar der Präsident selbst von „religiösem Faschismus“, in iranischen Oppositionkreisen ist der Vergleich zum Faschismus durchaus üblich. Es ist bezeichnend, dass Hannah Arendt zu den meistgelesenen und -übersetzten Autoren in Iran gehören: nicht, weil man in ihren Büchern etwas über Deutschland erfahren will, sondern weil man es auf den Iran übertragen kann.

Es gibt also Analogien – und zwar in vielen islamischen Gesellschaften, die durch die Moderne hindurchgegangen sind. Insofern kann man den extremen Islamismus durchaus mit dem Rechtsextremismus im Westen vergleichen. Allerdings ist er erfolgreicher und gefährlicher, weil der Nährboden größer ist: das soziale Elend und kaputte, korrupte Eliten, die vom Ausland unterstützt werden, das nützt den Extremisten. Auch der europäische Faschismus wuchs ja in einer Krise, und ohne das kollektive Gefühl, gedemütigt worden zu sein, wäre er nicht an die Macht gekommen.

Es gibt aber einen wesentlichen Unterschied zwischen dem heutigen Rechtsextremismus und dem Radikalislamismus: In Europa kennt man die Schrecken, die Nationalsozialismus und Stalinismus angerichtet haben, aus eigenem Erleben. Die Toleranz, auf die der Westen so stolz ist, ist auch Resultat dieser Erfahrung, die in einer Katharsis mündete. In der islamischen Welt hat nur der Iran diese Art ideologischer Exzesse durchlitten.

Kann man Faschismus, Stalinismus und extremen Islamismus in einem Atemzug nennen – als verschiedene Formen des Totalitarismus?

Mit Einschränkungen. Es gibt Ähnlichkeiten, aber man muss beachten, wovon man redet, wenn man Islamismus sagt. Das ist ein ungemein viel schattiertes, vielgestaltiges Phänomen. Es reicht, ins Westliche übersetzt, vom Rechtspopulismus bis zum Terror, von Figuren wie Schill bis zu dem Attentäter von Oklahoma-City, Timothy Mc Veigh.

Der Islamismus ist aber eine Erscheinung des 20. Jahrhunderts, und als solche kann man ihn natürlich mit anderen Ideologien vergleichen.

Auch in Bezug auf den Antisemitismus?

Bei Bin Laden gibt es einen starken antijüdischen Impuls. Ich zögere aber, diesen Begriff zu übernehmen, denn Antisemitismus existierte in Europa über mehrere Jahrhunderte hinweg, vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert. Das gab es in der islamischen Welt nicht, im Gegenteil: die sephardischen Juden aus Spanien fanden hier Aufnahme vor der Verfolgung, und die arabische und die jüdische Kultur sind historisch eng verwoben.

Warum gibt es in der islamischen Welt einen so großen Resonanzraum für antiamerikanische Ressentiments?

Dass es reale Gründe für Kritik an den USA gibt, dürfte den taz-Lesern bekannt sein. Darüber hinaus gibt es aber auch eine spezifisch islamische Wahrnehmung. In einigen Teilen der islamischen Welt nimmt man den Westen uniform wahr: nicht als vielgestaltige Erscheinung mit unterschiedlichen Akteuren und Handlungsstrategien, sondern als monolithischen Gegner der islamischen Welt insgesamt. In dieser Wahrnehmung werden Bosnien, Tschetschenien, die Behandlung der Muslime in Europa, die Ausländerfeindlichkeit, die Strategien der Weltbank, der Rückzug der USA aus der UNO und vieles andere mehr zum Teil einer einzigen Strategie, die seit der Kolonialisierung darauf gerichtet ist, die islamische Welt zu unterwerfen.

Diese Fixierung auf den Westen trägt zuweilen fast pathologische Züge, oder?

Man muss sich das Ausmaß der Krise der arabischen Welt vergegenwärtigen, um das zu verstehen. In Ländern wie Ägypten, Libanon, Irak oder Palästina herrscht das subjektive Empfinden, dass es ihnen vor fünfhundert Jahren, auch vor fünfzig Jahren besser ging als heute. Wenn jeder Dritte arbeitslos ist und es für Jugendliche kein Perspektiven gibt, einen Job zu bekommen – was auch heißt, nicht heiraten zu können –, bedeutet das ungeheuer viel Frustration, auch sexuelle Frustration. Speziell die arabischen Gesellschaften sind in einer enormen ökonomischen, sozialen, religiösen und kulturellen Krise. Das richtet sich nicht nur gegen den Westen, es gibt auch eine Selbstverstümmelung des arabischen Geistes – man denke an die Zensurmaßnahmen in Ägypten. Dort wird nicht die westliche Kultur unterdrückt, sondern die Prunkstücke der eigenen, von Abu Nuwas bis zu Tausendundeiner Nacht. Das zeigt, wie tief die kulturelle Krise in den arabischen Ländern ist.

Warum gelingt es diesen Gesellschaften nicht, einen Diskurs über sich selbst zu führen – warum stattdessen stets zuerst die Anklage des Westens?

Wenn die eigene Lage als Katastrophe erscheint, ist es stets verführerisch, die Schuldigen außen zu suchen. Das ist ein normaler Mechanismus – leider funktioniert er in der arabischen Welt sehr gut, weil es dort an einer lebendige Öffentlichkeiten weitgehend fehlt. Anders ist das in Iran: Dort existieren selbstkritische Stimmen, die die Ursache bei sich selbst suchen. Das liegt an der Erfahrung, dass man dort zwanzig Jahre lang unter dem Islamismus gelitten hat, ehe die iranische Gesellschaft eine Katharsis erlebte. Die arabische Welt hat ja diese traumatische Erfahrung nicht gemacht, glücklicherweise. Aber deshalb schwingt dort diese Alternative noch im Raum: die Idee, dass man sich nur auf die eigenen, religiösen Wurzeln besinnen müsse, um endlich eine Antwort auf die Herausforderungen der Welt zu haben.

Woher stammt dieses tief sitzende Gefühl, dem Westen unterlegen zu sein?

Wenn man das islamische Kerngebiet betrachtet, den arabisch-türkisch-persischen Raum, dann existiert diese Wahrnehmung dort seit dem 19. Jahrhundert. Zuvor war man in dieser Region sehr selbstbewusst und hat sich, wenn überhaupt, eher nach China und Indien orientiert, wenn man ebenbürtige intellektuelle Partner suchte. Die Europäer dagegen galten als Barbaren – irrationale Fanatiker, die gelegentlich als Kreuzzügler auftauchten und wieder verschwanden. Ernst genommen hat man sie nicht.

Das 19. Jahrhundert hat diese Weltsicht auf den Kopf gestellt: Plötzlich erwiesen sich die islamischen Länder Europa militärisch, ökonomisch, intellektuell und wissenschaftlich unterlegen. Das ist ein Trauma, das bis heute fort wirkt – und die frühen Vorläufer des heutigen Islamismus sind aus dieser Erfahrung der Unterlegenheit entsprungen.

Der Islamismus war eine Antwort auf die Moderne?

Er ist selbst ein modernes Phänomen. Er verweist nicht auf das Mittelalter – dort gibt es auch keine direkten Vorläufer, auf die er sich berufen kann. Der Rückzug auf das Religiöse war eine Art Rückspiegelung der Wahrnehmung des Westens. Die Botschaft des Westens lautete damals: Ihr seid rückständig, weil ihr Muslime seid. Der Islamismus entsprang dem Umkehrschluss. Er sagte: Nicht der Islam ist verantwortlich für unsere Krise, sondern dass wir vergessen haben, ihn seiner Urform zu leben. Wenn wir zum Koran, zum Islam, zurückkehren, dann werden wir wieder unser altes Selbstbewusstsein erlangen. Hier ist jene fatale Logik in die Welt gekommen, welche die Ursache von bestimmten sozialen und historischen Erscheinungen stets in der Religion sucht. Das ist eine Denkweise, die es auch in der westlichen Welt, mit Blick auf den Islam, sehr stark gibt. Insofern spielt da ein westlicher Diskurs, der die arabische Welt ausschließlich durch ihre Religion definiert, einem fundamentalistischen Diskurs, der ebenso verfährt, in die Hände. Andererseits sind aus dieser Denkrichtung auch modernistische Kräfte hervorgegangen, denen es darum ging, die Religion radikal zu reformieren.

Statt einer Reform der Religion gab es in vielen arabischen Staaten aber eine starke Islamisierung. Warum?

Das hängt mit dem Scheitern des arabischen Nationalstaats zusammen. Nach der Unabhängigkeit haben sich im Nahen Osten zunächst vollkommen säkulare Bewegungen durchgesetzt. Das waren nationalistische Bewegungen, die zum Teil sogar, wie die Baath-Partei im Irak und Syrien, von arabischen Christen geführt wurden, in der Türkei Atatürk und im Iran Schah Reza Pahlewi. Da gab es überhaupt keinen religiösen Impuls. Erst als diese Versuche nationalistischer Selbstbestimmung scheiterten, schlug die Stunde des Islamismus. Das Fanal für die arabische Welt war 1967 die demütigende Niederlage gegen Israel. Das war mehr als eine militärische Niederlage – damals platzte der Traum von einer arabischen Moderne. Nasser war ja das Symbol für den Versuch in Ägypten, gegründet auf arabischen Wurzeln, eine säkulare Moderne zu schaffen. Mit ihm scheiterte 1967 der linksnationalistische Entwicklungsweg, danach tat sich ein ideologisches Vakuum auf. Der Islamismus, den es vorher schon als intellektuelle Bewegung und als Wohlfahrtsinstitutionen gab, hat sich erst nach 1967 politisch herausgebildet, sein Aufstieg seither ist ohne dieses Datum nicht zu verstehen.

Welche Rolle spielen die Taliban in dem islamistischen Spektrum? Sie wirken archaisch, mittelalterlich. Sind sie das? Oder sind Sie auch ein modernes Phänomen?

Sie sind beides: moderne Schöpfung und radikalisierte Tradition. Vor allem das Puritanische der Taliban ist eine moderne Erscheinung. Zwar gibt es auch in der paschtunischen Tradition die Trennung der Geschlechter und einen rigiden Moralkodex, aber bei weitem nicht in der militanten Form wie bei den Taliban.

Die Taliban entstammen einer dörflichen Herkunft und haben in den Koranschulen Pakistans eine ideologische Schulung durchlaufen. Die Taliban sind der seltene Fall eines Extremismus, der aus der Provinz stammt – denn politischer Extremismus stammt fast immer aus den Metropolen.

Den Aufstieg der Taliban kann man nicht ohne Blick auf ihre Helfer verstehen: den pakistinischen Geheimdienst, Saudi-Arabien, den zentrale Bündnispartner der USA in der Region, und die CIA. Die Taliban sind ein Regime mit faschistoiden Zügen, eine Geißel für die Afghanen – und dass der Westen dem Land dieses Übel beschert hat, gehört zu den dunkelsten Kapiteln der Außenpolitik der USA.

Seit vier Wochen bombardieren die USA Afghanistan. Welche Solidarisierungseffekte befürchten Sie in der islamischen Welt? Wird der Terror Zulauf erhalten?

Es kann sein, dass sich eine Minderheit radikalisieren wird. Die Mehrheit hat aus dem 11. September den umgekehrten Schluss gezogen. Deshalb wachsen die inneren Spannungen.

Bis zum Bürgerkrieg?

Nein, das wird oft übertrieben. Auch das hiesige Pakistan-Bild täuscht. Die Islamisten verlieren bei den dortigen Wahlen stets haushoch, und sie bilden auch keine Massenbewegung. In Pakistan gibt es oft Demonstrationen von 200.000 bis 500.000 Menschen – aber nicht von Islamisten. Wichtig ist aber etwas anderes: Direkt nach dem 11. September schien Bin Ladens Strategie nicht aufzugehen. Direkte Solidarisierungen mit dem Terror waren in der islamischen Welt selten, wenn überhaupt war die Reaktion: Es trifft nicht die Falschen.

Klammheimliche Freude?

Ja, aber es gab auch noch einen anderen Impuls: Dieser Anschlag hat mit dem Islam nichts zu tun. So etwas können wir nicht getan haben. Unsere Religion verbietet es uns. Das ist auch das Grundmotiv für die Verschwörungstheorien: Wenn wir es nicht waren, muss es jemand anderes gewesen sein – die USA selbst oder Israel. Selbst in diesen hanebüchenen Komplottgedanken ist demnach eine innere Distanzierung angelegt. Jetzt aber, nach vier Wochen der Bombardierung Afghanistans, provozieren die USA genau jenen Solidarisierungseffekt, den sie gerade vermeiden müssten. Die allabendlichen TV-Bilder von zerstörten Häusern und zivilen Opfern wecken den Eindruck, dass die USA nicht bloß den Terror, sondern ein ganzes Land bekämpfen.

Deswegen ist der Luftkrieg der USA falsch?

Ja, er schürt in der islamischen Welt Extremismus. Vor allem aber nutzt er dem wünschenswerten Ziel, dem Sturz der Taliban, nicht. Im Gegenteil: Er schadet. Die Hoffnung, dass Milizführer sich unter dem Eindruck der Bombardements von den Taliban trennen und dass die Taliban zerfallen, hat sich bis jetzt nicht erfüllt. Stattdessen hat sich bis jetzt die Prognose bewahrheitet, dass Afghanen nicht mit Invasoren gegen Afghanen kämpfen.

Was müsste man also tun?

Ich kann Ihnen kein Erfolgsrezept geben. Natürlich gilt es, die Finanzströme und den Fluss der Waffen trocken zu legen – und die afghanische Opposition, Nordallianz, Paschtunen und Exilafghanen, zu stärken. Das wird beides auch versucht, das ist auch richtig – doch die Militäraktion, das wochenlange Bombardement von ohnehin halb zerstörten Städten, behindert diese politischen Maßnahmen eher.

Man sollte lieber von den Taliban lernen, wie man Afghanistan erobert: mit Geld, indem man Stammesfürsten kauft und lockere Loyalitäten ausnutzt. Das war das Erfolgsrezept der Taliban: Sie schmiedeten mit Geld Bündnisse mit anderen Milizführern.