Fit für die Millionenshows

„Ich weiß, dass ich nichts weiß.“ Heute ist der Mensch nicht weiter, als es Sokrates im Jahr 400 vor Christus war. Er ist sogar einen Schritt zurück: Wir wollen wieder wissen

von JUDITH LUIG

Unglaublich. Als Einziger hat Hansjochen vier der sieben Weltwunder chronologisch richtig geordnet. „Gewusst oder geraten?“ Selbst der Quizmaster ist beeindruckt. „Das wusste ich.“ Doch schon die vierte Frage stürzt den Berufsschullehrer fast vom illuminierten Wissensthron. Die Mundwinkel erinnern plötzlich an die Hängenden Gärten der Semiramis. Das selbstgefällige Lächeln verlässt das Gesicht und kehrt an seinen angestammten Platz bei Günther Jauch zurück. Ha, so klug tun und dann schon bei „Was ist ein Schreibspiel für Kinder auf kariertem Papier?“ nach dem Joker jammern.

Infotainment, so heißt das Spiel um Fakten und Fiktionen. Wer hier gewinnen will, muss zocken können. Aber nicht nur. Phänomene wie die in vielen Städten abgefeierte „Lange Nacht der Wissenschaft“ und Allgemeinbildungstests in fast jedem Vorstellungsgespräch zeigen: Wissen ist wieder gefragt.

Dabei sind es weder die exotischen Spezialgebiete der Experten, noch ist es der humanistische Weisheitskanon, was zur schlauen Seligkeit verhilft. Das Wissen des uomo universale“, des Universalgelehrten der Renaissance, in postmoderner Ausführung – Popsong, Poetik, Politik – ist das neue Ideal.

Nichts zeigt diese Tendenz so deutlich wie der anhaltende Boom der Quizshows. Nicht zuletzt mit dem bundesweiten IQ-Test hat Günther Jauch das Containervolk von Listenplatz eins der Fernsehnation verdrängt. Es ist vorbei mit dem freudig herausgeplärrten Stolz auf die eigene Blödheit. Die hohe Weisheit ist in die Demokratie gestürzt. Jeder kann jetzt beherzt beim Thema Bildung mitquasseln. Bis zu elf Quizshows mit durchschnittlichen Gewinnen im Bereich mehrerer zehntausend Mark flimmern an Hochfrequenztagen über die Mattscheibe.

Allgemeinbildung – was das sein soll, weiß keiner so genau. Hauptsache, sie füllt die Kassen. Und warum eigentlich immer nur die der anderen? Mittlerweile gibt es off- und online alle möglichen Trainingslager für die Millionenshows. Nur – wie wird man wirklich Millionär?

Das Nächstliegende ist das Internet. Die „Wer wird Millionär“-Produzenten wissen.de bieten Nachschlagewerk und „Qwissen“ am Bildschirm an. Wen dieses Angebot noch nicht erschlägt, der kann bei testcity.de, testedich.de oder quizmaster.de noch auf tausende weitere Links zurückgreifen. Nur ist das Onlinerätseln oft ein bisschen langweilig und gern mal etwas umständlich: Um den Quizring zu betreten, muss man erst mal Handynummer, E-Mail-Adresse und diverse andere Daten am Eingang abgeben. Das Zumüllen der elektronischen Postkästen schon nach einer kurzen Raterunde ist vorprogrammiert. Schlauer wird man nur auf begrenztem Gebiet: Nach wenigen Minuten wiederholen sich die Fragen.

Will man spielerisch bleiben, gibt es Bildung für unterwegs im Handyformat vom Moses Verlag. Gut ist, dass man anders als bei den meisten Internetquizangeboten weitergebildet wird. Jede Frage hat die korrekte Antwort mit kurzer Erklärung auf der Rückseite. Allerdings zeigt nähere Betrachtung, dass man mit dem Quiz nicht wirklich Eindruck machen kann: Die Pappschachtel schmückt eine braune Jeans. Damit gehört die Optik in die Achtziger, das Quartettkartenformat ruft Erinnerungen an den Pausenhof der dritten Klasse wach.

Inhaltlich sieht es ähnlich aus. Jede Menge Fragen, die man in Bio oder Mathe schon nie so genau wissen wollte, wenig Geschichte, noch weniger Literatur und fast gar nichts Aktuelles, wahrscheinlich um dem Verfallsdatum zu entgehen. Für unseren Zweck ungeeignet, bis auf ein paar lustige Fragen zur Herkunft von Sprichwörtern, die bei Pilawa ja oft in der ersten Runde drankommen.

Das wirklich ultimative Quiztraining mit weitester Reichweite versprechen die Neuerscheinungen vom Compact Verlag. Um die wild gemischte Fragensammlung des „Großen Buchs der Allgemeinbildung“ herum wimmelt es von winzig bis Großformat, von umfangreich bis monothematisch rund ums Wissen – fast schon ein bisschen zu viel und leider manchmal ein wenig platt.

Erste Hilfe kommt aus der etablierten Ecke: Dietrich Schwanitz hat es ja schon vor zwei Jahren vorgemacht, „Bildung“ (so der Titel) kann man kaufen. Und zwar vom Eichborn Verlag für 49,80 Mark. Schwanitz’ umstrittene Gebrauchsanweisung für Ungebildete erzählt in plätscherndem Plauderton von der abendländischen Kultur und all ihren großen Errungenschaften. „Bildung“ ist für Bildungsunsichere geschrieben, die sich durchs Hintertürchen in die Welt der Neointellektuellen einschleichen wollen. Wer das Buch gelesen hat, tut gut daran, gleich bei der nächsten Gelegenheit alle Fehler und Verfehlungen des Autors lauthals kundzutun. Auch wenn er ganz insgeheim ganz froh darüber ist, dass endlich mal jemand erklärt: Was hat Sigmund Freud gesagt, was wir nicht schon wussten?

„365 Wege zum Wissen“ (DuMont Verlag) schlägt mit dem Nachsatz „Bildung“ eindeutig in dieselbe Kerbe. Der Band eröffnet 365 wunderbar knapp beschriebene Wege zum Bildungsbürgertum. In Rubriken wie „Griechische Mythologie“, „Sprache“ oder „Politik“ findet man alle wichtigen Stichwörter und Daten in wenigen Sätzen. Der Wissenskanon des Schönen und Schöngeistigen wird dem nach Weisheit gierenden Studenten in Häppchenform dargeboten. Hässliche Realität hat hier nichts zu suchen, sie klingt höchstens kurz in der Unterrubrik „Unschönes schöngeredet“ an. Wichtige Punkte beschäftigen sich mit dem Lesen in der Badewanne oder geben einen Kurzüberblick über lateinische Ausdrücke zur Gesprächsaufpeppung. Nur: Wer die kulturelle Muße zur Lektüre dieses Büchleins hat, gehört schon zum Establishment und kann auf den eventuellen Millionengewinn pfeifen.

Der sicherste Weg zu einem hoch dotierten Preis wäre, eine komplette Unibibliothek samt Zeitungsarchiv auswendig zu lernen. Allerdings muss man dann mit der Million die Schuldenrechnung in der Cafeteria ausgleichen.

Also doch zurück zum Handbuch: Zuerst empfiehlt sich eine Bestandsaufnahme der persönlichen Bildungsmisere. Hier eignet sich „Das große Testbuch der Allgemeinbildung“, das mit einem Aufkleber „Fit für die Millionenshows“ lockt. Die Autoren Doris und Frank Brenner haben aus jeder Wissenskategorie Fragen mit je vier möglichen Antworten ausgewählt. Auf der Rückseite kann man die Lösung gleich nachschlagen (nicht schummeln!). Und sollte man danebengelegen haben, wird auch erklärt, warum. Die Fragen sind abwechslungsreich zusammengestellt und nicht allzu schwer, damit man das Projekt Bildung nicht gleich völlig frustriert wieder aufgibt.

Hat man erst mal verstanden, wo eigentlich die Lücken sind, geht es ans Auffüllen der Unbildungsschlucht. „Was so nicht im Lexikon steht“, der Untertitel von Brockhaus’ „Merkwürdiges, Kurioses und Schlaues“ reizt, und die Beiträge sind tatsächlich meist traumhaft skurril und manchmal auch informativ. Doch bringt einen das ins Fernsehen?

Wie so oft hilft der ADAC aus der Patsche. „Ich sage Dir alles“ heißt sein Werk für pragmatische Wissbegierige und verspricht damit nicht zu viel. Auf fast achthundert Seiten erfährt der Leser harte Fakten: die Hauptstadt von Burkina Faso (Ouagadougou) oder den Entdecker des Penizillins (Sir Alexander Fleming). Was man schon immer mal genauer wissen wollte, hier wird es erklärt. Von der Wüstenausbreitung über Baseballregeln bis hin zur Computersimulation. Die Sammlung von Fakten ist wie eine Zusammenfassung von Schulbüchern – etwas langweilig, aber dafür anschaulich durch Fotos, Zeichnungen, Darstellungen, Zeittafeln, Tabellen und Statistiken.

Ansprechender sind „100.000 Tatsachen!“ (Duden). Mit Themen wie Lifestyle und Wellness geben sich die Autoren trendig, biedern sich aber nicht an. Ähnlich wie das „Lexikon der Allgemeinbildung“ (Duden). Siebzehn Kapitel, je alphabethisch geordnet, liefern kurze Erklärungen zu einzelnen Stichwörtern, die im Unterschied zur „Duden Grammatik“ einfach zu verstehen sind. Mit einem eigenen Kapitel zum Thema „Die Wissenschaft vom Leben“, zusätzlich zu dem Teil „Medizin und Gesundheit“, reagiert das Lexikon auf aktuelle Erkenntnisse über den genetischen Code oder auch die ungeschlechtliche Fortpflanzung. Nach demselben Prinzip gibt es neben einem Kapitel zu „Religion und Philosophie“ auch einen Bibelteil.

Da im Religionsunterricht häufig nur Bildchenmalen oder gefährliche Sekten auf dem Lehrplan stehen, tun sich hier oft tiefste Wissensabgründe auf. „Bescheid wissen, mitreden können“ – der Untertitel des „Lexikons der Allgemeinbildung“, verspricht, was der Inhalt hält, und verrät, was wir mit der ganzen Bildung machen, wenn es mit dem Millionengewinn dann doch nicht klappt: besser wissen.

„365 Wege zum Wissen. Bildung“. DuMont (2001), 591 Gramm, 9,90 Mark „Das Lexikon der Allgemeinbildung. Bescheid wissen. Mitreden können“. Duden (2000), 1.657 Gramm, 46 Mark „Ich sage Dir Alles. Das große Buch des Wissens“. ADAC (2000), 2.372 Gramm, 89,90 Mark „Bildung. Alles, was man wissen muss“. Eichborn (1999), 1.003 Gramm, 49,80 Mark „Das große Testbuch der Allgemeinbildung“. Axel Juncker (2001), 585 Gramm, 15 Mark „Das große Buch der Allgemeinbildung“. Compact (2001), 949 Gramm, 19,99 Mark „100.000 Tatsachen! Das große Buch der Allgemeinbildung“. Duden (2001), 1.368 Gramm, 39,92 Mark „Pocket Quiz. Allgemeinwissen von A bis Z“. Moses (2000), 80 Gramm, 9,71 Mark JUDITH LUIG, 26, weiß jetzt endlich, was Katakana ist, kennt aber immer noch keine Neptunisten