In der Hauptstadt der literarischen Bewegung

Leseland DDR

1990 entwickelte ich neben dem empirischen Interesse an der ehemaligen DDR auch eins an ihren Büchern, speziell an Übersetzungen aus dem Ostblock. All diese Bände waren inzwischen auf dem Müll gelandet und kosteten bei den Trödlern 1 Mark pro Stück. Ich begann mit Sibiriensia, unternahm einen Exkurs zu den russischen Klassikern und landete bei der Partisanenliteratur.

Der Widerstand gegen die deutschen Besatzer erfasste spätestens nach dem Sieg der Roten Armee bei Stalingrad fast alle ost- und westeuropäischen Völker. Die Deutschen reagierten darauf mit speziellen Partisanenbekämpfungseinheiten. Nicht selten wurden diese SS-Sonderkommandos aus gepressten russischen Kriegsgefangenen und KZ-Insassen sowie Kriminellen zusammengestellt. Ihre Namen entliehen die Spezialbrigaden zur Banden- und Terrorbekämpfung oft den ersten deutschen Partisanen an der Seite Russlands, als es gegen Napoleon ging. Erwähnt seien das Kommando Lützow und die Kampfgruppe Schill. Bereits in den 20er-Jahren wurde ein Autor berühmt, der den Umschwung vom Volksaufstand gegen Fremdherrschaft zum staatlich befohlenen, euphorisch begrüßten Angriffskrieg literarisch absicherte: Edwin Erwin Dwinger. Der deutsch-russische WK1-Offizier thematisierte dabei vor allem seine Gefangenschaft in Sibirien, wo er sich der Antipartisanenarmee des Weißen Generals Koltschak angeschlossen hatte. Himmler ernannte ihn im Range eines SS-Obersturmführers dann zum Chefideologen des Ostfeldzugs.

Im Gegensatz zu den sowjetischen Partisanenberichten kosten Dwingers Bücher heute bis zu 80 Mark. Sie werden gerade wieder neu aufgelegt. Auch mein Neuköllner DDR-Antiquar spezialisiert sich derzeit mehr und mehr auf nationalistische und Kriegsliteratur. Mitunter komme ich mir bei ihm vor wie ein Sammler besonders perverser Pornografie. Und das ist es auch – geht es doch vor allem um das gewaltsame Eindringen in den Körper des Gegners.

Bei einer kleinen Recherche über ein SS-Sonderkommando, das zuletzt bei Cottbus eingesetzt war, verwies man mich in den dortigen Museen und Bibliotheken an lokale Kriegsforscher. Diese erwiesen sich durchweg als alte Landser, die statt ihr eigenes Erleben aufzuarbeiten unentwegt alte Schlachten rekonstruieren.

Obwohl DDR-Bürger, begriffen sie sich jetzt erst recht als ehemalige Wehrmachtsangehörige. Und kommunizierten vor allem mit ihren alten Vorgesetzten, deren Auslassungen über strategische Schachzüge sie nun kritisieren: „Stimmt gar nicht, was der da sagt! Die 1. Belorussische Front stieß nicht direkt auf Berlin zu!“ Auch junge Rechte beteiligen sich an dieser kalten und erkenntnislosen Detailforschung, wobei die US-Faschisten ihren Rassismus mit Hyperempirismus runterfahren – zum Beispiel in der SS-Zeitschrift: Siegrunen. Deren Ergebnisse werden vom Weddinger Verlag Rolf Michaelis zu Büchern übersetzt und ausgeweitet. Allein über die Kommandeure der Einheiten gibt es hunderte Internet-Einträge.

In einem Schöneberger Antiquariat wurde ich Zeuge, wie ein Kunde dem Besitzer für 300 Mark Adolf Hitlers „Mein Kampf“ verkaufte. Beide bekamen knallrote Gesichter dabei. Ich erbleichte dagegen eher. Zuvor war mir auf dem Flohmarkt am Berliner Museumsufer ähnlich Peinliches passiert. Ich klapperte parallel zu zwei älteren Feministinnen die Stände ab. Am riesigen Militaria-Stand, der zu jedem deutschen U-Boot- oder Stuka-Angriff einen Bildband anbietet, fragte ich den Händler nach der „36. Panzergrenadierdivision der SS“, so hatte man 1945 ein Sonderkommando umbenannt. „Das gibt’s nur im Sammelband über alle Grenadierdivisionen“, sagte er. Ich bezweifelte das und berief mich auf den Michaelis-Verlag, wo es vergriffen war, wechselte dann aber das Thema und fragte nach Partisanenbekämpfungsliteratur – „sozusagen aus erster Hand: keine Sekundärliteratur“, die seit dem Afghanistankrieg ja weggehe wie warme Semmeln.

„Au, da habe ich noch was, ist aber nicht billig“, flüsterte er. Ich schaute mich um – und erblickte neben mir die zwei Feministinnen mit lauter Julia Kristevas und Ayundatha Roys unterm Arm. Sie sahen mich entsetzt an – und wandten sich abrupt ab. Das Buch kaufte ich dann trotzdem: „Die Wölfe der Lika“ – für 50 Mark. Der Autor Adolf von Ernsthausen hatte 1944 ein Ustascha-Killerkomando gegen Tito-Partisanen als Leihmajor angeführt.

In seinen Erinnerungen beschrieb er 1959 feinfühlig, wie er die Truppe mit zivilisiertem Charme, aber auch Strenge vor allen Gräueltaten abhielt. Doch deren balkanisch-kroatisches Blut hätte sich als stärker erwiesen, sodass sie sich immer wieder zur Vernichtung ganzer Zivilpopulationen hinreißen ließen. Entschuldigt wird das mit dem Hinweis auf die kommunistischen Schandtaten zuvor.

In Ostdeutschland haben inzwischen fast alle Buchläden einen Tisch mit illustrierten Kriegsbüchern, die durchweg mit Scheinsachlichkeit verschleiern, dass es sich um Nazi-Literatur handelt. In den Schönhauser-Allee-Arcaden gibt es im Untergeschoss inzwischen sogar schon einen Riesenladen, der fast nur noch solche Bücher anbietet. HELMUT HÖGE