Gegen das eigene Verschwinden, gegen die Abblende

Liebevolle Plünderer des Film noir: In „The Man Who Wasn’t There“ zeigen die Coen-Brüder, wie ein Nobody mit kriminellen Methoden sein Stück vom Kuchen abbekommen will

Jeden Tag steht Ed Crane im Herrenfrisörsalon. Irgendwo im Amerika der ausgehenden 40er-Jahre. Jeden Tage säubert er Kämme, fegt, schneidet Haare. Eine Welt seltsamer Rückansichten. Eine Welt der Nacken, die in kleinen, fleischigen Rollen in Hemdkragen übergehen, der mühsam verdeckten Glatzen und der wackelnden Hinterköpfe, die manchmal vom Rückschlag der eigenen Rede in die Kopfstütze krachen.

Cranes Kunden plappern sich die Seele aus dem Leib, von den Zumutungen des Lebens im Allgemeinen und denen der Vorgesetzten und der Ehefrauen im Besonderen. In kühnen Erzählungen bauschen sie Glanz und Elend ihrer Kleinsparerexistenz auf. Und Ed Crane schweigt dazu, wie immer. Bei ihm wird das Handwerk, das eigentlich zu den wortseligsten überhaupt zählt, zur einsamsten Verrichtung auf der ganzenWelt. „I don’t talk much. I just cut hair.“ Eine Apathie, die manche mit Diskretion oder gar stiller Anteilnahme verwechseln. Deswegen kommen sie wieder.

Ed Crane ist ein Soldat betriebsamer Monotonie. Billy Bob Thornton spielt ihn konsequent als einen Statisten im eigenen Leben. Die Brüder Ethan und Joel Coen loben zu Recht und bei jeder Gelegenheit Thorntons „ability to be passive without disappearing“: Ein langsames Hochziehen der Augenbraue, ein Zug an der Zigarette, das sind schon die aufgeregtesten Gesten in Thorntons Repertoire. Und das reicht für Crane, diesen Zukurzgekommenen, der in seinem kleinen, verkorksten Leben noch einmal den Klimmzug zum American Way of Life probieren möchte. Doch er muss das ganze Programm der Film-noir-Desaster durchlaufen, von Erpresssung, Mord, Intrigen bis zu Verführung und Verderben.

Ed Crane ist genau jene Art von Kleinbürger der 40er-Jahre-Filme, die im Verbrechen nichts anderes sehen können als eine Maßnahme, um mit höchster Effektivität den eigenen sozialen Aufstieg zu verfolgen. Um sich endlich, wenn schon nicht das individuelle, so doch das materielle Glücksversprechen des amerikanischen Traums einzulösen. Der Erfolglose nimmt sich beim Erfolgreichen, was er selbst nie kriegen konnte, weil er in seinen Handlungen in Artigkeit, Anpasserei und Durchschnittlichkeit verharrte.

Auch Ed Crane will nur aus der puritanischen Schattenexistenz heraustreten. Er will erfolgreich werden mit dem technologischen Wunder der Trockenreinigung. Um sich an der Vermarktung dieser Neuheit zu beteiligen, braucht er Geld: Er erpresst den Liebhaber und Chef seiner Frau Doris. Gespielt wird dieses von spießigen Ausbruchfantasien getriebene Paar wunderbar handfest und tragisch zugleich von James Gandolfini und Frances McDormand. Mit seiner unverhofften kriminellen Aktivität setzt Crane allerdings eine fantastische Kette von Unvorhersehbarkeiten in Gang, für deren Erklärung Übereifrige später Ufos und Heisenbergs Unschärferelation bemühen werden.

Dass ein Gegenstand sich dadurch verändert und unbegreiflicher wird, dass man ihn ansieht, wird für Ed Crane wie für den gesamten Film zum Programm. Schließlich betrachtet er 116 unhektische Minuten lang noch einmal sein Leben, mal in stolpernden Rückblenden, die in absurden Kuchenwettessen und anderen Bauernspielen enden, mal in Männerfantasien, die im Klavierspiel des Nachbarkindes Birdy (Scarlet Johansson) den Lockruf der Unschuld vernehmen.

„The Man Who Wasn’t There“ ist eine ebenso durchstilisierte wie kluge Variation auf die Melancholie und den Existenzialismus der Schwarzen Serie. In ruhigen Einstellungen erzählen die Coen-Brüder die Passionsgeschichte ihres Nobodys. Dabei zitieren sie, schaffen Abbilder von Abbildern und führen Struktur und Muster des geplünderten Genres liebevoll und präzise vor. Jede Einstellung gleicht dann einer Schwarzweißpostkarte, in der Crane, der zum triebgesteuerten Kapitalverbrecher und Halbwelthelden einfach nicht taugen will, der einzige Fehler im Bild ist. Ein verrutschtes Abbild, das sich selbst nur zum Fluch wird. Crane, der sich nur im Rasierspiegel wahrzunehmen scheint, ist eine perfekte Reflektorfigur für den amerikanischen Jedermann. Je knapper sein Spiel ausfällt, desto länger werden die Voice-over-Monologe. Im Off wird er zum Objekt seiner eigenen erzählerischen Ironie oder seines eigenen Mitleids. Entsprechend changiert er zwischen einem verkappten Helden kleinbürgerlichen Protests und einem schmucklosen Opfer der Umstände. Viel Zeit bleibt ihm dabei allerdings nicht mehr. Und so redet er jetzt langsam doch und immer mehr. Gegen das eigene Verschwinden, gegen die Abblende und klammert sich an genau das Leben, das ihm einmal so lästig war. BIRGIT GLOMBITZA

„The Man Who Wasn’t There“. Regie: Joel Coen. Buch: Joel und Ethan Coen. Mit Billy Bob Thornton, Frances McDormand, James Gandolfini, Katherine Borowitz, Scarlet Johansson u. a. USA 2000, 116 Min.