Mit LSD zum Frieden

Von der fortschreitenden Kastration: In seinem Film „Suck My Dick“ versucht Oskar Roehler, mit ziemlich brachialen Mitteln über etwas sehr Fragiles zu sprechen

Mit dem Erfolg kamen auch die Erwartungen. Zwar hat wohl niemand geglaubt, dass Oskar Roehler nach „Die Unberührbare“ nur noch Schwarzweißfilme über alternde, depressive Kulturarbeiterinnen drehen würde. Aber selbst der kleinsten Hoffnung in dieser Richtung kam er jetzt mit einer strikten Abweisung vermeintlicher Zuschreibungen zuvor. „Suck My Dick“ sollte ganz anders sein, und der Filmvorspann macht Aussichten auf einen wilden und witzigen Trip.

So völlig anders ist der Film dann aber doch nicht geworden. Aus der Schriftstellerin wurde ein alternder, gerade noch nicht depressiver Schriftsteller. Die Hauptfigur in Jeckylls Roman macht sich selbstständig, tritt aus dem Kopf in die Realität hinaus und übernimmt das Beste, das der Körper des Autors zu bieten hat. Zuerst wird Jeckylls stadtbekannt langes Glied entwendet, dann sind die psychisch nicht weniger aufgeladenen Haare und Zähne dran. Hinter dieser fortschreitenden Kastration steckt eine Künstlerin namens Jeannie. Sie kann Wünsche erfüllen, stellt das Ergebnis ihrer Aktionen aber auch im Kunstkontext aus. Jeckylls Therapeut ist von seinem Patienten inzwischen überfordert, dafür nimmt er ihn zur Eröffnung von Jeannies Ausstellung mit. Die Angst vor dem Totalverlust von Selbstvertrauen, Ansehen und körperlicher Integrität, also vor dem Altern, bekommt dadurch eine Öffentlichkeit.

Spätestens jetzt wird das Jeckyll/Hyde-Motiv zur Satire über eine Gesellschaft, die von derbsten Biologismen getrieben wird und mit körperlicher Veränderung nicht gut zurechtkommt. Jeckyll, dem eine gewisse Schwanzfixierung angedichtet wird, muss sich ganz ohne Glied nun ganz neu erfinden. Er überwindet die paranoide Phase, indem er zum Bürgerschreck wird, und findet unter dem Einfluss von LSD zu innerer Ruhe.

Sich auf drastisch signifikante Themen wie Penisverlust einzulassen, stellt aber auch schwer zu füllende Anforderungen. Phallus zu sagen, letztlich aber die eigenen Ängste vor Destabilisierung zu meinen ist nur ein Beispiel für mögliche Schräglagen. Etwas anderes als ein wenig konkretes, kaum verortbares Gehirntheater konnte aus dieser Filmidee wohl auch nicht hervorgehen. Die Erzählung ist instabil und zerrissen, bei allerdings großer Geschmeidigkeit im Detail, und das liegt an der heißen Nadel der Improvisation und an schwanzfixierten Konzeptschwächen. „Suck My Dick“ fehlt es jedenfalls völlig an jener Prägnanz und Wärme, die in „Die Unberührbare“ so beindruckend war.

Eine „Satansbraten“-Überdrehtheit ist aber auch nicht dabei herausgekommen. Zehn niedliche Dialogpartikel in einem sonst eher unübersichtlichen Psychohaufen ergeben nicht unbedingt eine Satire, ganz zu schweigen von einem noch radikaleren Gesellschaftsbild. Gerade in der Darstellung des Sozialen wirkt „Suck My Dick“ wie ein Rückgriff auf den Ton von „Gierig“, und dessen stellenweise nicht unerhebliche Scheußlichkeit ist dem schalen Glanz von RTL-Weltpremieren nicht abgeneigt und weckt nicht zuletzt Erinnerungen an Schlingensiefs Filme und deren krachlederne Anfälle und gepresste Verspieltheiten.

Ohne Edgar Selges eiskalt possierliche Dreistigkeit wäre hier gar nichts gegangen. Es ist aber nicht zuletzt Wolfgang Joop, der in der Rolle des Therapeuten für ein sehr spezielles Klima sorgt. Was zunächst wie ein Witz wirkt, dann wie die etwas ausgewalzte Neigung zum skurrilen Laienauftritt, verändert bei näherer Betrachtung seinen Charakter. Joops unruhige Präsenz, sein ledriges Blicken, Bewegen und Sprechen bekommen auf einmal etwas sehr Würdevolles.

Ansonsten gibt es genügend Gründe, konfus, genervt und fassungslos auf das Geschehen zu blicken oder sich Fragen zu stellen wie: Ist das nun frauenfeindlich oder männerfreundlich? Männerfeindlich oder frauenfreundlich? Vieles ist denkbar, aber Eines wird doch klar: Roehler hat mit ziemlich brachialen Mitteln versucht, über etwas sehr Fragiles zu sprechen. Als Autor hat er damit breite Flanken geöffnet: Jeckyll wird Frau oder Nicht-Mann und stimmt seiner Kastration am Ende zu.

MANFRED HERMES

„Such My Dick“. Regie: Oskar Roehler. Mit Edgar Selge, Wolfgang Joop, Katja Flint u. a. Deutschland 2001, 83 Min.