Deutscher Einsatz in Afghanistan

Schriften zu Zeitschriften: Der Gott des Handels zeigt asymptomatische Sympathien für den Gott des Krieges. Das neue „Merkur“-Heft, gelesen am Tag einer „historischen Entscheidung“ (G. Schröder), der Entsendung von Einsatzkräften

Es ist schon sechs Jahre her, da veröffentlichte der Merkur, die Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken, den Essay „Die Feinde und die Freunde des Islam“. Jetzt in der neuesten Nummer ist Siegfried Kohlhammers Analyse der deutschen Angst vor einem „Feindbild Islam“ wieder abgedruckt. Man kann das als ein Signal deuten: Wir vom Merkur hatten Recht, wir haben schon damals gesagt, statt sich an dem Phantasma eines Feindbildes Islam abzuarbeiten, schaue man sich besser den Islam und seine (fundamentalistischen) Vertreter genau an. Wäre man dem gefolgt, wäre man heute nicht so erschüttert über das, was in New York und Washington passierte, und man hätte den islamistischen Terror in Ländern wie Algerien, den Philippinen oder Ägypten mit größerer Aufmerksamkeit wahrgenommen. Man kann den Wiederabdruck aber auch als eine Dienstleistung sehen. Denn die Frage, inwieweit die Religion dem fundamentalistischen Terror und den etwa von amnesty international in sämtlichen islamischen Staaten beklagten Menschenrechtsverletzungen Vorschub leistet, hat an Aktualität nicht verloren. Man kann die Reprise sogar als Notlösung sehen – der aktuellen Reaktion auf den 11. September geschuldet.

Egal: Kohlhammers Analyse ist das erneute Lesen wert. Ohne über das notwendige Maß an Polemik hinauszuschießen, deckt er ein merkwürdiges Interesse daran auf, den Islam gutzusprechen; belegt er, wie die Verbrechen, die in seinem Namen begangen und von seinen Verteidigern gar nicht in Abrede gestellt werden, von diesen wohl aber dem Westen, dem Kapitalismus, den Amerikanern als den eigentlichen Verursachern angelastet werden. Welche Arroganz darin liegt, den orientalischen Verächtern von Volk, Frauen und demokratischen Rechten nicht einmal zuzugestehen, aus eigener Kraft despotisch zu sein, liest man ganz nebenbei. Außer diesem Essay, der schon bekannten Reaktion des Literaturwissenschaftlers Hans Ulrich Gumbrecht auf den 11. September, sowie einem sehr parteiischen Editorial der Herausgeber hat das Heft ganz andere Themen.

Es ist das Editorial von Kurt Scheel und Karl-Heinz Bohrer, das im Zusammenhang der Debatte um Krieg und Frieden interessiert. Beide zweifeln so wenig an der Legitimität des militärischen Einsatzes in Afghanistan wie Schröder und Fischer, der standfeste sozialdemokratische Kanzler und sein ebenso standfester grüner Außenminister, wie Bohrer die beiden lobt. Beide, Scheel und Bohrer, tun aber noch eines mehr: Sie wollen für diese Haltung werben (Scheel), und sie polemisieren gegen die, denen die Standfestigkeit fehlt (Bohrer). Man mag sich ihren Argumenten eigentlich gar nicht verschließen, denn nichts ist falsch daran, wenn Kurt Scheel meint, dass es auch in unserem ganz eigenen Interesse sei, die Bedrohung durch den islamistischen Terror kämpferisch anzunehmen. Es ist genau genommen nur der starke Ton, der verwundert. Und er verwundert heute vielleicht noch mehr in einer Situation, in der fast 4.000 Mann Bundeswehrkräfte zur Abwehr von ABC-Kampfstoffen, zum Luftransport für Menschen und Material und als Seestreitkräfte zur Sicherung von Schiffstransporten zum Einsatz kommen. Nach dem bundesdeutschen Nato-Einsatz im Kosovo-Konflikt ist die Folgeleistung auf die Anforderung der Amerikaner längst nicht mehr so umstritten, wie es viele der von Karl-Heinz Bohrer aufs Korn genommenen Friedensfreunde noch hoffen möchten. Konkret wird sich der grüne Koalitionspartner ihr nicht entziehen können, zumal sich damit eine Änderung der Kriegsführung anzuzeigen scheint. Die Bombardements, die als ziellos wahrgenommene, improvisiert erscheinende militärische Strategie und der damit verbunde Entsolidarisierungseffekt könnten womöglich bald marginale Streitpunkte sein. Man meint, das Editorial fällt noch hinter die sechs Jahre zurück, die Kohlhammers Essay unbeschadet überstanden hat, und erinnert – nicht ganz so unbeschadet – zu sehr an den Streit um den Golfkrieg.

Doch wie die Herausgeber selbst schreiben, die Situation hat sich geändert. Deutschland ist nicht erst seit gestern, sondern nun schon seit über zehn Jahren ein wiedervereinigtes Land, eine wichtige europäische Mittelmacht; eine politische Tatsache, die ausgerechnet bei einem grünen Außenminister gut angekommen ist. Und da möchte man Karl-Heinz Bohrer schon zugute halten, dass ihn nicht Kritik an sich reizt, sondern eine Kritik, die seltsam stereotyp daherkommt und in jede Lage passt, weil sie eben neue Lagen erst gar nicht zur Kenntnis nehmen will. Seine große Ungeduld gegenüber dem Konformismus einer Kritik, ihrer Indolenz gegenüber historischen Veränderungen kann den Begriff vom Appeasement-Ritual provozieren, sie ist aber keine Absage an ein öffentliches Räsonnement.

BRIGITTE WERNEBURG

Merkur, Heft 631, 19 Mark