Keine politische Lösung in Sicht

Die Vorbereitung von Strukturen einer Nach-Taliban-Ära ist nicht vorangekommen. Rivalitäten schon im Vorfeld

DELHI taz ■ Mit dem Näherrücken der Front an die Hauptstadt Kabul wächst der Druck, endlich eine politische Übergangslösung zu finden. Hierbei ist man in den letzten Wochen nicht vorangekommen. Nach Meinung pakistanischer Beobachter war es die frühe Bildung „einer unheiligen Allianz zwischen einem rachsüchtigen Sieger und einem bedeutungslosen Exmonarchen“, die eine breite Lösungssuche unter Führung der UNO und unter Einschluss Pakistans blockierte. Selbst die von der Nordallianz und Exkönig Zahir Schah vereinbarte Bildung eines Interimsausschusses von 120 Persönlichkeiten, welche die bedeutend umfangreichere Einberufung einer „Loya Jirga“ an die Hand nehmen sollte, steht aus – ein Zeichen, dass bereits hier intensive Rivalitäten zum Tragen kommen.

Ein bisher nicht gelöstes Problem bei der Einberufung einer Loya Jirga sei auch ihr Ort, wie die taz aus UN-Kreisen in Islamabad erfuhr. Denn die Autorität dieser Versammlung sei wesentlich größer, wenn sie auf afghanischem Boden abgehalten werde als im Ausland. Bisher sei eine solche Versammlung aus Sicherheitsgründen aber allenfalls im Gebiet der Nordallianz denkbar. Doch dies sei eine Zumutung für die paschtunischen Führer. Für die Vertreter des Exkönigs hieße das, der wegen ihrer Herrschaft von 1992 bis 1996 diskreditierten Nordallianz die Absolution zu erteilen.

Allerdings zwingen der ins Land ziehende Winter und die militärische Entwicklung die internationale Diplomatie zu einer rascheren Gangart. Dies gilt selbst für Lakhdar Brahimi, den Afghanistan-Beauftragten des UNO-Generalsekretärs, der keinen Hehl aus seiner Auffassung macht, dass sich ein dauerhaftes Fundament nur mit langsamer und mühsamer Kleinarbeit im komplexen ethnischen Teppich des Landes legen lässt.

Entscheidend für den Forschritt wird zweifellos das Verhalten der Nordallianz in den von ihr zurückeroberten Regionen werden. Es wird sich zeigen, ob sie fähig ist, Entscheidungen zu fällen und dazu zu stehen, oder ob die Regionalfürsten wiederum unter Missachtung der etablierten Machtstrukturen in den eroberten Gebieten ihre Territorialansprüche abstecken werden. Ein besonders scharfes Auge wird dabei auf General Rashid Dostum fallen, der sich als Herr von Masar-i Scharif fühlt und früher wenig Lust zeigte, sich in eine kollektive Disziplin zu fügen. Aber es gibt auch zahlreiche lokale Kommandanten, die es gewohnt sind, dass man ihnen – als Preis für ihre Unterstützung – freie Hand lässt.

Der UNO-Beauftragte Brahimi ließ bisher nichts von den Gesprächen bei seiner Reise in die Region verlauten. Auch Pakistan hat sich Zurückhaltung auferlegt und vermeidet es nun, offen gegen die Nordallianz zu polemisieren, wohl wissend, dass es in den Augen vieler Afghanen der eigentliche Spielverderber ist. Pakistans Präsident Pervez Muscharraf wird es auch leichter fallen, sich aktiv an einer Lösung zu beteiligen, nachdem ihm seine Reise nach Paris, London und New York auch innenpolitisch den Rücken gestärkt hat. Die Dollarversprechen Frankreichs, Großbritanniens und vor allem der USA sind wichtige Argumente in einem Land, das in einer tiefen wirtschaftlichen Krise steckt. Und mit der cleveren Art, in der Muscharraf vor der UNO-Generalversammlung eine feine Trennlinie zwischen Terrorismus und dem Freiheitskampf in Kaschmir ziehen konnte, stärkte er eine breite nationale Plattform, die Terrorismus ablehnt, aber den bewaffneten Kampf in Kaschmir unterstützt. Mit der Verbindung von Kaschmir, Palästina und Bosnien hat er auch das solidarische Band des Islam wieder geknüpft, das mit der Beteiligung Pakistans am Krieg gegen Afghanistan gerissen war.

BERNARD IMHASLY