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: Eine Teenage-Version des amerikanischen Traums

Nicky Twisp, der Held

Pu-ber-tät! Kann eine einzige Laut- und Buchstabenfolge Ekel und Elend treffender komprimieren? Jedenfalls stecken in Pubertät mindestens Pickel, Unbeholfenheit, Begehren, Enttäuschung, Romantik, Titten, Ärger, Tagebuchschreiben. Und Nicky Twisp, 14 Jahre, wohnhaft in Ukiah (CA). Der amerikanische Autor C. D. Payne erfand Nick 1993 und machte ihn zum Protagonisten von „Crazy Times – Die Tagebücher des Nick Twisp“ – und damit zum US-Zwilling von Sue Townsends Adrian Mole, der seinem durchschnittlichen Schüler-, Liebes- und Familienleben durch schonungslose Chronistentätigkeit und schwarzen Humor Glanz und Verve verlieh. So wie der Durchwurschtler Mole en passant auch noch eine Milieustudie der britischen Under-Middleclass liefert, stellt Twisp sich tapfer der Teenage-Version des American Dream: ein hochtouriger Trip durchs multikulturelle Kalifornien, hinter dessen Ziellinie Unabhängigkeit, Sex mit der großen Liebe und das dicke Geld warten.

Eigentlich verfügt Twisp über die besten Voraussetzungen, die erste Phase krisenhafter Introspektive depressiv zu durchwaten: IQ, Testosteron- und Talgproduktion überdurchschnittlich hoch, Ex-Hippie-Eltern geschieden und jeweils neu liiert, Fantasie überbordend und natürlich: Probleme, Probleme. Aber Nick folgt dem Pursuit of Happiness weitaus zu unverdrossen, um ernsthaft in Selbstmitleid oder gar Weltschmerz zu verfallen – bezeichnenderweise hört er lieber Frank Sinatra als Nirvana.

Der Autor, Regisseur und Dramaturg Oliver Sturm hat Twisps Abenteuer zu einer ziemlich großartigen Hörspielfassung verdichtet – wenn man davon absieht, dass sich auf jeder der insgesamt vier CDs sechsmal der widerwärtige Erkennungsjingle einer Pseudo-Kinderband ins Ohr bohrt. Parallel zum schlagfertigen, pointierten Text verläuft ein eigenständiger Geräuschstrang, der manchmal einfach illustriert, manchmal aber auch den Stand der Emotionen verstärkt. Außerdem hat Sturm eine grandiose Stimmbesetzung zusammengebracht: Sven Plathe liest den twispschen Hauptpart mit leicht krächzender Verschlagenheit und fiebernder Selbstbegeisterung. Geschickt gleiten die Tagebuchaufzeichnungen in Dialoge – häufig am Telefon, wobei die Regie für raffinierte akustische Seitenwechsel sorgt. Zum Beispiel mit Nicks resoluter Mom, die nach abgeschlossener Blumenkindvergangenheit eine erotische Schwäche für Fernkraftfahrer und Bullen hat, noch einmal schwanger wird und in diesem Zustand verständlicherweise nichts weniger ertragen kann als einen Sohn, der seiner frankophilen Flamme zuliebe „Außer Atem“-Belmondo zu kopieren versucht.

Die Volksbühnenschauspielerin Astrid Meyerfeldt bestückt den Muttersound mit der ganzen Bandbreite schamloser Orgasmusschreie, schlampenhafter Schimpftiraden, voll schlechten Gewissens geflüsterter Zärtlichkeit und formt damit aus verhältnismäßig wenigen Einsätzen die plastischste Figur des Hörspiels. Kollegin Kathrin Angerer haucht bittersüß und leicht bekifft die Frisösen-Freundin von Nickys Vater, einem verhinderten Beatnik, den Christian Berkel mit glaubhaft sarkastischem Missmut gegenüber Vaterrolle und Verantwortung ausstattet, und Carola Ewerts bestreitet Sheeni Saunders arroganten Dauerflirt mit Nick so poshy wie nur möglich.

Überhaupt ist Sheeni schuld, die intellektuelle Bestie: Ihretwegen muss Nick immer wieder den teuflischen Köter Albert – benannt nach Camus – betreuen, seinen besten Freund Lefty mit bemerkenswertem Erfolg für tot erklären, Berkeley mit Mutters Auto abfackeln und von zu Hause abhauen – allerdings nicht, wie alle denken, nach Indien, sondern bloß zu Dad nach San Francisco, wo er zufällig Millionenerbe wird. Dummerweise kann er, da die CIA nach ihm fahndet, nur als Mädchen verkleidet nach Ukiah zurückkehren und zur finalen Werbung um Sheeni ansetzen. Kurz: Stoff für oder aus locker fünf Hollywoodstreifen.

EVA BEHRENDT

C. D. Payne: „Crazy Times I und II“. Ab 14 Jahre, jew. 2 CDs, SWR & Der Audio Verlag 2000/2001