„Sie haben die Distanz verloren“

Gründungsmitglied Willi Hoss hat der grünen Partei wegen des Afghanistan-Beschlusses nach über 20 Jahren den Rücken gekehrt. Grüne Positionen seien endgültig perdu: „Die Grünen haben ihren Weg auf der Seite der armen Länder verlassen.“

Interview HEIDE PLATEN

taz: Herr Hoss, wie lange sind Sie bei den Grünen gewesen?

Willi Hoss: Über 20 Jahre. Ich war als undogmatischer Linker von Anfang an dabei, bei den ersten Gründungsgesprächen in Bremen, dann beim Kongress mit Rudi Dutschke und Rudolf Bahro in Offenbach und beim ersten Parteitag in Karlsruhe. Da war ich noch als Betriebsrat bei Mercedes Benz und eher die Ausnahme, es waren ja kaum aktive Gewerkschafter und Arbeiter dabei, schon gar nicht aus der Autoindustrie. Wir hatten uns damals gegen den Bau der Teststrecke am Bocksberg engagiert.

Welches Zeichen soll Ihr öffentlicher Austritt setzen?

Wir sind ja zu dritt ausgetreten und haben gemeinsam eine Erklärung verfasst, in der es heißt, dass die Zustimmung zum Bundeswehreinsatz in Afghanistan für uns der Schlusspunkt ist bei einer Entwicklung des Wegrutschens grüner Positionen. Das gilt für die Verwendung der Ökosteuer, den nicht zu verantwortenden Atomausstiegskompromiss und jetzt auch für die Position des uneingeschränkten Vertrauens in Bush und die USA. Unsere Haltung gegen den Terrorismus ist klar, aber mit dieser Zustimmung haben die Grünen endgültig ihren Weg auf der Seite der armen Länder verlassen.

Was bedeutet der Abschied von der Partei für Sie?

Das hat zwei Seiten. Einerseits Traurigkeit, dass sich die Dinge so entwickeln, dass ich sie nicht mehr mittragen will, andererseits aber auch eine Befreiung. Die eine Tür fällt zu, eine andere geht auf. Meine Sympathie ist schon seit einiger Zeit auf der Seite von Attac und den Globalisierungsgegnern.

Wären Sie ohne den Afghanistan-Beschluss auch ausgetreten?

Sicher nicht. Da war zwar schon vorher viel Empörung da, aber das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Beim Kosovo war das noch anders, da war ich zwar auch zerrissen. Aber den Krieg gegen die Zivilbevölkerung in Afghanistan halte ich für ein Signal der reichen Länder gegen die Dritte Welt. Ich engagiere mich für den Erhalt des Regenwaldes in Brasilien. Auch da hat man eine ganz distanzierte Haltung zu dem Einsatz der USA.

Hat Sie Ihre Jugenderinnerung an den Zweiten Weltkrieg ebenfalls beeinflusst?

Das hat Spuren hinterlassen, aber für mich ist der Pazifismus nicht so sehr die Gewissensfrage. Ich habe mehr durch Karl Marx gelernt, zu analysieren und nach den tieferen Gründen und nach den Interessen zu fragen. Es gibt hunderte von Millionen Autos auf der Welt. Die UdSSR und jetzt die USA haben und hatten immer ein Interesse daran, sich die Erdölvorkommen in der Region zu sichern. Bei den Grünen wird darüber nicht mehr diskutiert.

Woran liegt das ?

Ich war schon älter, als ich die Partei mitbegründet habe und brauchte die Grünen eigentlich gar nicht. Ich hatte meinen Beruf, eine Aufgabe und war schon bekannt. Jüngere haben die Grünen auch zur Entwicklung ihrer Persönlichkeit genutzt, sind in ihre Funktionen hineingewachsen, die sie jetzt behalten wollen. Sie haben die Distanz verloren. Da hatte der Westerwelle nicht ganz Unrecht, als er sagte, die wollen nicht auf ihren Dienstwagen verzichten.

Was werden Sie weiter tun?

Ich hoffe auf eine Diskussion über unseren Austritt. Außerdem arbeite ich weiter am Projekt Poema „Armut und Umwelt in Amazonien“, das sich mit den Ursachen der Vernichtung des Regenwaldes befasst. Ich reise, halte Vorträge und vermittle Patenschaften zwischen den Kommunen.

Geben Sie eine Wahlempfehlung für 2002?

Das soll man nicht so weit vorausplanen. Ich habe in meinem Wahlkreis schon letztes Mal meine Stimmen zwischen SPD und Grünen gesplittet.