Der allseits nützliche Dämon

Der CNN-Reporter Peter Bergen hat eine kundige Biografie des meistgesuchten Mannes der Welt geschrieben: Ussama Bin Laden

Was treibt Ussama Bin Laden an? Um diese Frage ernsthaft zu beantworten, dürfen wir uns nicht auf Zerrbilder in der westlichen Welt verlassen, wir sollten uns vielmehr mit Bin Ladens eigenen Aussagen über die Gründe seines Krieg gegen die USA beschäftigen. Das schreibt Peter Bergen, seit 1990 CNN-Reporter und in dieser Eigenschaft häufig in Afghanistan. Bin Laden kennt Bergen auch, gemeinsam mit seinem CNN-Kollegen Peter Arnett führte er 1997 das erste Interview, das der Anführer des al-Qaida genannten Terrornetzes einem westlichen Fernsehsender gewährte. Nach Ahmed Raschids Taliban-Buch und dem Band „Osama bin Laden und der internationale Terrorismus“ von Michael Pohly und Khalid Duran hat jetzt Peter Bergen unter dem Titel „Heiliger Krieg Inc.“ eine sachkundige Studie über den zurzeit meistgesuchten Mann der Welt veröffentlicht.

„Wir haben es nicht mit irgendeinem dahergelaufenen Araber zu tun, der eines Morgens mit dem falschen Fuß aufgestanden ist und aus heiterem Himmel erklärt hat, dass Amerika DER FEIND sei“, formuliert Bergen etwas flapsig. Bin Laden nenne immerhin Gründe für seinen Hass, „und nur wenn wir diese Gründe verstehen, werden wir erahnen können, was zu diesen schrecklichen Ereignissen am 11. September führte“. Auffällig sei, was Bin Laden entgegen allen Erwartungen an einen Islamisten in seinen Äußerungen ausklammere. Er wettert weder gegen den verderblichen Einfluss von Hollywood, noch geißelt er die Drogen- und Alkoholkultur des Westens oder dessen Toleranz gegenüber Homosexuellen.

Bin Laden, so Bergen, verurteilt die USA aus einem anderen, sehr einfachen Grund: wegen ihrer Politik im Nahen und im Mittleren Osten. Damit meint er die anhaltende amerikanische Präsenz in Arabien, die US-Unterstützung Israels, die anhaltende Bombardierung des Irak sowie die Unterstützung der autokratischen Regimes in Ägypten und Saudi-Arabien, die sich in den Augen von Bin Laden vom wahren Islam abgewandt haben. Bin Laden befinde sich in seiner Wahrnehmung tatsächlich in einem „politischen“ Krieg mit den Vereinigten Staaten, gerechtfertigt durch seine persönliche Auslegung des Islam. Dieser Krieg richte sich folglich gegen herausragende Symbole und Institutionen von Amerikas politischer, wirtschaftlicher und militärischer Macht wie das Pentagon und das World Trade Center. Für Bergen fügt sich das perfekt in das Muster früherer Angriffe von al-Qaida. Deren Ziele waren die amerikanischen Botschaften in Nairobi und Daressalam, US-Militäreinrichtungen und Kriegsschiffe in der Golfregion.

Der nach dem 11. September wiederholt vorgetragenen These, die Anschläge in den USA belegten den von Samuel Huntington behaupteten „Clash of Civilizations“, kann Bergen im Gegensatz zu manchen der durch die Medien gereichten Terrorexperten nichts abgewinnen. Huntington betrachte die Besetzung Afghanistans durch die Sowjetunion als „Krieg zwischen Kulturen, weil die Muslime ihn allenthalben als solchen ansahen und sich gegen die Sowjetunion versammelten“. Schon möglich, meint Bergen. Aber gerade das Beispiel Afghanistan habe sich schon kurze Zeit später „in einen Bumerang verwandelt, denn nach dem Abzug der Sowjets wurde das Land von unzähligen Kriegen gebeutelt, in denen Afghanen gegen Afghanen, Islamisten gegen Islamisten, Schiiten gegen Sunniten und Tadschiken gegen Paschtunen kämpften“. Wenn überhaupt, dann müsste man wohl von einem „Kampf der Kumpanen“ sprechen.

Bin Laden vertrete eine einigermaßen kohärente Ideologie des Antiamerikanismus und des Widerstandes gegen jene Regierungen im Nahen und im Mittleren Osten, die der Terrorfürst als „unislamisch“ ansieht. Um das Phänomen Bin Laden zu beschreiben, greift Bergen auf General Pervez Muscharraf zurück, der als Militärmachthaber über 140 Millionen Muslime in Pakistan herrscht: „Die Dämonisierung von Osama Bin Laden durch den Westen hat ihn bei jenen Muslimen zur Kultfigur werden lassen, die gegen alles zürnen, ob es der Verfall moralischer Werte ist oder Amerikas fehlende Unterstützung für die Palästinenser, ... ob es das Unrecht ist, das die Russen den Muslimen in Tschetschenien antun und der Westen den Muslimen in Bosnien ... oder die Unterdrückung der Muslime in Kaschmir durch Indien [...] Die sehr lange Liste von Klagen hat einen ausgeprägten Verfolgungszwang erzeugt, dessen Kultfigur Osama Bin Laden geworden ist. Er ist heute eine Heldengestalt auf dem Podest des muslimischen Extremismus.“

Mit seinem Buch bietet Bergen einen umfassenden Bericht über Bin Laden, das Netzwerk al-Qaida und dessen weltweite Verbindungen. WOLFGANG GAST

Peter L. Bergen: „Heiliger Krieg Inc. Osama Bin Ladens Terrornetz“, 352 Seiten, Siedler Verlag, Berlin 2001, 39,90 DM (19,95 €)