DER TALIBANISMUS BEENDET DEN ISLAMISCHEN FUNDAMENTALISMUS
: Die Mythen sind vorbei

Der Talibanismus ist am Ende. Nicht nur, weil sein Erzeuger Pakistan und dessen Geheimdienst notgedrungen die Seiten gewechselt haben – die Koranschüler sind auch an den innerafghanischen tribalen Verhältnissen gescheitert. Denn was sind Gottesglaube und mythische Personen wie Mullah Mohammed Omar und Ussama Bin Laden wert in einem Land, in dem hochrangige Kommandanten für ein paar Millionen US-Dollar oder wegen neu aufflammender Blutrache-Feindschaften eine ganze Front dem Feind überlassen und samt der Truppe zu ihm überlaufen? Es würde nicht verwundern, wenn schließlich Bin Laden und der Mullah von den eigenen Leuten ausgeliefert würden.

Und schließlich ist der Talibanismus an seinen kompromisslosen Grundmaximen für das Verhältnis zwischen Religion und Gesellschaft gescheitert. Der Talibanismus ist ein politisch-religiöser Diskurs, der sich von den anderen Varianten des islamischen Fundamentalismus konstitutiv unterscheidet, weil er Ratio und den Rationalismus verachtet und die Geschichte abstrakt und undynamisch betrachtet. Seine Beziehung zwischen Religion und Gesellschaft erzwang, Mensch und Gesellschaft maßgerecht zu formen – für die afghanische Gesellschaft eine Last, die sie nur auf Grund der Gewalttätigkeit der Koranschüler ertrug.

Aber der islamische Fundamentalismus befindet sich auch insgesamt in einem Erschöpfungszustand. Mehr als zwei Dekaden nach seinem Aufbruch im Iran sind die Kräfte zermürbt, die Utopien der nüchternen Realität gewichen. Seine politischen Konzepte haben sich als untauglich erwiesen. In Ägypten, Tunesien, Algerien, Sudan und der Türkei, überall hat die Bewegung an Schwung und Faszination verloren, und selbst Chomeinis Glanz im „Gottesstaat“ Iran ist verblasst. Es ist das Verdienst von Ussama Bin Laden, den islamischen Fundamentalismus noch einmal ins Gespräch gebracht zu haben: ein Verzweiflungsakt, der die letzten Potenziale eines gescheiterten Projektes markiert. BEHROUZ KHOSROZADEH

Der Autor ist Iraner und Doktorand an der Abteilung für Internationale Beziehungen der Universität Göttingen.