„Am Kauf-nichts-Tag gebe ich Geld aus“

Der Bremer Ökonom Rudolf Hickel geht heute einkaufen – und zwar richtig. Konsumenten sollen auf Nachhaltigkeit setzen

taz: Herr Hickel, lassen Sie am Kauf-nichts-Tag Ihr Portmonnee zu Hause?

Rudolf Hickel: Nein, das werde ich nicht tun.

Eine Ihrer Hauptforderungen ist, die Massenkaufkraft zu stärken, um die Binnennachfrage anzukurbeln.

Das hat aber nichts mit wildem Konsumieren zu tun. Bei der Stärkung der Massenkaufkraft geht es darum, es beispielsweise sozial Schwachen überhaupt zu ermöglichen, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Das bedeutet nicht, dass ihnen ein Warenkorb ohne Rücksicht auf ökologische Ziele zugänglich gemacht wird. Es geht also um Beides: Zugang zum Konsum durch mehr Verteilungsgerechtigkeit und zugleich ökologischer Umbau der Konsumwirtschaft. Dazu gehört eine konsumkritische Haltung.

Die haben Sie also?

Ich bemühe mich jedenfalls. Ich werde heute Geld ausgeben – aber richtig. Ich besorge mir ein ÖPNV-Ticket. Und ich gehe in die Mensa essen. Dort wird ökologisch und gesund gekocht.

Damit kommen Sie Ihren Pflichten zur Rettung der Weltwirtschaft aber nicht genügend nach. Der Bundesfinanzminister sagt, wer jetzt den Aufschwung will, muss mehr ausgeben.

Es ist ein eindimensionaler Wachstumsfetischismus, den die meisten Politiker und viele Ökonomen predigen. Der Druck durch die weltweite Wachstumsschwäche und die Arbeitslosigkeit belastet die Diskussion über Nachhaltigkeit. Nicht jede Art und nicht jeder Inhalt der Produktion rechtfertigt Arbeitsplätze. In Deutschland gab es lange den Konsens, dass die Rüstungsproduktion mit dem Arbeitsplatzargument nicht zu rechtfertigen ist. Dieses Prinzip zählt heute kaum noch. Der Bundesfinanzminister hat es in der Hand, die Wirtschaftskraft mit öffentlichen Investitionen in die Umwelt – etwa in die Sanierung der Flüsse oder der Abwassersysteme – zu stärken. Aber wer auf das profitwirtschaftliche Wachstum um jeden Preis setzt, fällt in die ökologisch finsteren fünfziger Jahre zurück. Unter den damals produzierten Umweltschädigungen leiden wir heute noch.

Welche Rolle spielt der private Verbraucher?

Es ist schon richtig, auf den privaten Verbraucher zu starren. Auf ihn konzentrieren sich 55 Prozent der Produktion in Deutschland. Diese ökologisch zu gestalten, bringt Fortschritt. Allerdings sind neben den Konsumentscheidungen die Investitionen und damit überhaupt die unternehmerischen Produktionsentscheidungen wichtig. Wer soll hier einen Rahmen setzen, wenn nicht der Staat?

Rot-grün hat damit ja angefangen . . .

. . . ist aber nicht weit gekommen, auch wenn die Bundesregierung das anders sieht. Die Ökosteuer ist widersinnig. Die Einnahmen dienen der Stabilisierung des Rentenbeitrags. Diese Einflussnahme auf die Arbeitskosten hat wahrlich keine neuen Arbeitsplätze geschaffen. Gleichzeitig fehlen die Einnahmen zur Finanzierung ökologischer Infrastruktur. Vor dringend notwendigen ökologischen Regulierungen der Wirtschaft schreckt die rot-grüne Regierung zurück.

Sozialökologen haben ausgerechnet, dass auch nachhaltiges Wirtschaften nur nützt, wenn die Wirtschaft zunächst einmal schrumpft. Gehen Nachhaltigkeit und Kapitalismus überhaupt zusammen?

Früher hätte ich energisch nein gesagt. Heute denke ich, dass zwei Faktoren den Kapitalismus in Richtung ökologischer Umbau bewegen können. Einerseits bedarf es einer breiten außerparlamentarischen Opposition. Andererseits ist eine eigenständige Anpassungsdynamik der Wirtschaft durchaus zu erkennen und zu unterstützen. Leider bedarf es oft der ökologischen Krise als Lehrmeister. Erst durch brutale Umweltkatastrophen merkt die Wirtschaft, dass sie ihre Tendenz zur ökologischen Selbstzerstörung durchbrechen muss.

INTERVIEW: BEATE WILLMS