„Ich fand ‚No Future‘ einfach geil“

Die Beweislage ist erdrückend: Jürgen Teipels Doku-Roman „Verschwende Deine Jugend“ beweist, dass Ben Becker nicht nur Berlins, sondern ganz Deutschlands größter Punk war und ist. Wer jetzt noch anderes behauptet, der lügt

Wer nochmals aufarbeiten möchte, wie das damals war, als Punk endlich auch in Deutschland explodierte und man sich als Teil einer Jugendbewegung noch so richtig schön als geschellschaftsunfähig erweisen konnte, bekommt in dem als Interview-Collage gestalteten Doku-Roman „Verschwende Deine Jugend“ von Jürgen Teipel (Suhrkamp) Informationen aus allererster Hand. Neben Düsseldorf und Hamburg war Berlin eines der Zentren der bundesdeutschen Bewegung. Und unsere Punks waren damals echt prima drauf. Blixa Bargeld noch kein Boheme mit Bulthaup-Küche, sondern einer, der in einem Kellerloch ohne Fenster hauste und im Sommer Gummistiefel trug, und Nina Hagen hatte noch keinen Guru in Indien, sondern lebte eine Zeit lang „mit ein paar Punks auf dem Bauernhof von dem Komiker Otto“. Doch am wildesten überhaupt trieb es Ben Becker. Dass der berühmte Schauspieler und Besitzer des verruchten Etablissements „Trompete“ heute in diversen Peinlichkeitslisten ganz oben landet, beruht auf einem Missverständnis. Der Mann versucht eben mit seinen Bad-Boy-Ambitionen, Kinski-Imitationsversuchen und -Hommagen, Partypöbeleien und tollen Rockstargesten nur bei sich selbst zu sein. Bei Jürgen Teipel erfährt man, dass niemand anders als Ben Becker nicht nur Berlins, sondern ganz Deutschlands größter Punk war und ist. Wer etwas anderes behauptet, der lügt. Denn die Beweislage ist erdrückend. Hier ein paar Auszüge dazu, wie Ben Becker erkannte, was Punk ist und wie er deshalb den Blixa in Ruhe gelassen hat, wie Ben Becker zu „No Future“ stand, wie er erklärt, was Punk ist, und warum er selbst so ist, wie er ist:

„Blixa kam mal in den Dschungel und hatte sich die Haare und die Kopfhaut eingeschnitten. Die Haare mit dem Rasierapparat sowieso total wirr geschnitten. Der hatte Stellen auf dem Kopf, die ganz kahl waren. Aber dann hatte er sich wohl zu Hause noch Verletzungen zugefügt, indem er in diese kahlen Stellen mit der Rasierklinge schnitt. Außerdem rannte er im Taucheranzug herum und mit Gummistiefeln. Und ein kleiner Junge wie ich hat da halt komisch gekuckt. Wir haben ja immer Leute fertig gemacht. Aber Fetisch hat gesagt: ‚Den lassen wir in Ruhe.‘ Fetisch wusste immer: Welche Klamotten, welche Musik – der war der Kopf des Ganzen. Für mich war er so ein großer Bruder. So ein Szenekönig. Genau wie Blixa. Und da hat Fetisch immer gesagt: ‚Den Typ müssen wir respektieren.‘ “

„Ich habe Fahrräder geklaut. Und habe mir damit mein Geld verdient. Ich hatte einen Dietrich und bin in Wilmersdorf rumgelaufen, habe Keller aufgeschlossen und Fahrräder geklaut. Oder ich bin mit Fetisch abends losgezogen – und wir haben geklaut. Einmal war eine Kunstveranstaltung in der Disko. Ein Super-8-Abend. Und in dem Moment, als das Licht ausging, haben wir alle Handtaschen und alle Rotweinflaschen und alles geklaut, was nicht niet- und nagelfest war. Und sind dann die 500 Meter zu mir nach Hause, nicht ohne drei Autos zu demolieren und einen Feuermelder einzuschlagen. Ich fand ‚No Future‘ einfach geil. Ich weiß gar nicht, wie viele Autos ich verbrannt und zerstört habe. Ich bin nachts herumgelaufen und habe Mercedes-Benze kaputtgehauen, Backsteine reingeschmissen und Benzin drübergekippt. Ich kam mir vor wie die ganze Baader-Meinhof-Bande zusammen.“

„Mich zieht das immer noch oft an – dieses harte Element von Punk. Dieses Auf-die-Kippe-Gehen und dort dann auch leben. Ich habe aus dieser Zeit noch ein gutes Gefühl, das ich immer dabei habe. Ich fühle mich auch heute noch als Punk. Weil ich Punk eher wie Pop-Art verstehe. Ich habe mir als Bettdecke die amerikanische Fahne nähen lassen. Aber nicht mit 52 Sternen drauf, sondern mit 52 Hakenkreuzen. Das ist Punk.“

„Irgendwie ist das so ein seltsamer Masochismus, der von Punk übrig geblieben ist. Aber sonst ist um mich herum ja wirklich immer Zustimmung und dieses Schwammig-Nette. Wenn ich mich wie ein verzogener 16-jähriger Antennenabbrecher aus gutem Hause aufführe, da passiert dann wenigstens was.“

zusammengestellt von:

ANDREAS HARTMANN

Jürgen Teipel: „Verschwende Deine Jugend“. Suhrkamp, 2001, 375 Seiten, 24,90 DM